In der DDR war eine möglichst frühe Heranführung an ‚Wissenschaftlichkeit‘ schulpolitisches Ziel. Die Lehrplanreformen zwischen 1965 und 1972 sollten den Fachunterricht noch stärker wissenschaftlich ausrichten und sozialistisch einbetten. In dialektisch-materialistischer Perspektive wurden dabei ‚Wissenschaftlichkeit‘ und ‚Parteilichkeit‘ so aufeinander bezogen, dass das marxistisch-leninistische Weltbild zugleich als richtig, wahr, objektiv und damit als wissenschaftlich bestimmt wurde und umgekehrt, dass sich Wissenschaft innerhalb dieses politischen Wertungsgefüges bewegen musste.
‚Wissenschaftlichkeit‘ und ‚Parteilichkeit‘
Im Selbstverständnis der DDR spielte ‚Wissenschaftlichkeit‘ eine zentrale Rolle und das Narrativ der ‚wissenschaftlich-technischen Revolution‘ (→ Wissenschaftlich-technische Revolution) wurde so als pädagogische Aufgabe gedeutet. Im Rahmen der polytechnischen Bildung (→ Polytechnische Oberschule (POS); Polytechnischer Unterricht) und vor dem Hintergrund des Kalten Krieges (→ Kalter Krieg) wurde daher die Ausbildung in den Technik- und Naturwissenschaften in besonderem Maße gefördert. Im Streben nach technischem Fortschritt und ökonomischer Rationalität sollten Kinder und Jugendliche auf ihre aktive Rolle als berufstätige Bürger*innen vorbereitet werden. Der Unterricht sollte von Beginn an sowohl didaktisch als auch inhaltlich wissenschaftlichen Prinzipien folgen. Um die inhaltliche Ausrichtung an der jeweiligen Fachwissenschaft zu zeigen, nutzten naturwissenschaftliche Unterrichtsfilme eine sachliche Bildsprache und die entsprechenden Fachtermini. Doch ‚Wissenschaftlichkeit’ erschöpfte sich nicht in dieser fachwissenschaftlichen Orientierung, sondern bezog sich auch auf den Marxismus-Leninismus als ‚wissenschaftliche Weltanschauung’ des Sozialismus. Im Verständnis der DDR waren ‚Wissenschaftlichkeit’ und ‚Parteilichkeit’ ein untrennbares Paar. In gleicher Weise setzte die Bildung der ‚sozialistischen Persönlichkeit‘ voraus, dass Wissen und Haltung miteinander verkoppelt waren. Mit dem Narrativ der ‚wissenschaftlich-technischen Revolution‘, das seit den 1960er-Jahren auch für das Selbstverständnis und die Selbstbehauptung der Naturwissenschaften in der DDR ein wichtiger Bezugspunkt war, wurde zugleich ein Anspruch der Moderne thematisiert, der auch als ‚Verwissenschaftlichung‘ oder ‚Scientification‘ gefasst werden kann.
Im Jahr 1970 wurde in der Internationalen Zeitschrift für Erziehungswissenschaft der Artikel „Wissenschaftlich-technische Revolution und Bildungsreform in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR)“ von Gerhart Neuner1 veröffentlicht. Neuners Artikel wendet sich an eine internationale – d.h. auch westliche – erziehungswissenschaftliche Leserschaft und begründet die Entwicklungen des DDR-Bildungssystems (→ Volksbildungswesen):
„Jener gesellschaftlichen Ordnung gehört die Zukunft, die in der Lage ist, die größeren geistigen Potenzen, ein Maximum an Bildung, jenen Bildungsverlauf hervorzubringen, der für die Meisterung der Probleme und Aufgaben der wissenschaftlich-technischen Entwicklung zum Wohle des Menschen im letzten Drittel unseres Jahrhunderts erforderlich ist.“ (Neuner, 1970, S. 291)
Im Selbstbild der DDR war die ‚technische Überlegenheit‘ Bestandteil der ‚wissenschaftlichen Weltmachtstellung‘ der DDR, ein weiteres Narrativ, das auf die besondere Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft abhob und die Relevanz wissenschaftlichen Wissens begründete. In diesem Sinne zielten auch die Lehrplanreformen zwischen 1965 und 1972 auf die Ausrichtung des Unterrichts auf Wissenschaftlichkeit, die dabei immer mit Anwendungsbezügen gekoppelt wurde.
Audiovisuelle Medien
Audiovisuelle Medien2 wie Unterrichtsfilme galten in der DDR als besonders effektive Instrumente, um weltanschauliche Haltungen zu vermitteln; man war sicher, mit ihrer Hilfe sei ‚Wissenschaftlichkeit‘ überzeugend mit ‚Parteilichkeit‘ zu verknüpfen. In diesem Sinne appellierte Ewald Topp3 an die Lehrkräfte:
„Seine Aufgabe ist es, ihnen [den Schülern] die Verbindung von Ideologie und Technik und damit die Rolle der Technik im Klassenkampf deutlich zu machen. Der Lehrer soll überzeugend darlegen können, daß die Technik Instrument in der Hand der Menschen zur immer besseren Beherrschung der Natur ist. [...] Es kommt darauf an, daß der Pädagoge erkennt, wie notwendig diese Technik ist, um den pädagogischen Prozeß rationeller und effektiver zu gestalten, und daß die Lehrertätigkeit künftig nicht mehr ‚technikfrei’ sein kann.“ (Topp 1973, S. 89)
In den Unterrichtsfilmen deuten wissenschaftliche Settings wie Labore oder Experimentalaufbauten sowie abstrakte Zeichensysteme (wie Diagramme, Schaltpläne, Schema- und Modelldarstellungen, aber auch Formeln und Ikons) auf eine naturwissenschaftliche ‚Wissenschaftlichkeit‘ hin. Mit weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund wurde ein Bildmuster aufgerufen, das auf das in dieser Zeit übliche Schreiben auf einer dunklen Wandtafel in akademischen wie schulischen Lehrkontexten verwies. Die ‚Wissenschaftlichkeit‘ der Lerninhalte wurde durch die Montage wissenschaftlicher Bilder wie Röntgen- oder Mikroskopaufnahmen hervorgehoben. Dokumentarische Filmaufnahmen etwa von Industriebetrieben wurden genutzt, um professionell agierende Akteur*innen als ‚Werktätige‘ ins Bild zu setzten. Grundsätzlich wurde mit diesen filmischen Strategien – Dokumentarstil, wissenschaftliche Grafik usw. – der Eindruck einer besonderen (naturwissenschaftlichen) ‚Faktizität‘ erzeugt. In Tonfilmen betont der sachlich gehaltene Voice-Over-Kommentar unter Verwendung naturwissenschaftlicher Terminologien auch akustisch die ‚Wissenschaftlichkeit‘ des Gezeigten. Wurden Animationen verwendet, vermittelte sich das Image einer kausalen Prinzipien folgenden Wissenschaft, die logisch agierte, aber deren Bildlichkeit eine Informiertheit – wie etwa Modellkompetenz – voraussetzte, ohne die sich das Dargestellte für die Betrachtenden nicht erschließt. Grundsätzlich wurde in den Filmen eine Autorität von ‚Wissenschaftlichkeit‘ konstruiert, die sich auf naturwissenschaftliche Methoden in Experiment, Notation und Terminologie berief und so wissenschaftliche Objektivität beanspruchte.
Besonders in den komplexeren Filmen wurden Anwendungsszenarien eingebunden, die sich als Formulierungen und Deutungsvarianten des übergeordneten Narrativs der ‚wissenschaftlich-technischen Revolution‘ (→ Wissenschaftlich-technische Revolution) verstehen lassen. Visuelle Anwendungsbezüge und ideologische Kommentare implementierten die fachlichen Vermittlungsinhalte dabei in das sozialistische Wertesystem. Ein zu vermittelndes Schulwissen wurde so räumlich und zeitlich gebunden – und zugleich als gesellschaftlich relevant legitimiert. Im Vergleich zum Unterrichtsgeschehen war der Unterrichtsfilm von vornherein im Ablauf festgelegt und dabei grundsätzlich um Eindeutigkeit bemüht. Allerdings wurde die Wirkung des Unterrichtsfilms vor allem durch die Lehrkraft gesteuert: Sie musste ihn wegen seiner Kürze in das Unterrichtsgeschehen implementieren, den Film einführen, kommentieren (insbesondere, wenn der Film ohne Ton war) und nachbereiten. In staatlich beauftragten, pädagogischen Studien zum Einsatz von Unterrichtsfilmen deutete sich an, dass gerade die eher erzählenden Filme bei den Fachlehrer*innen mit Verweis auf didaktische Erwägungen weniger beliebt waren, wohingegen Filme, die sich auf eine konkrete Themeneinheit konzentrierten, als geeignetere didaktische Instrumente betrachtet wurden. Auch diese fokussierten Filme waren als ‚objektive‘ Darstellungen gestaltet und vermittelten so ein spezifisches, wenngleich nicht im engeren Sinne als sozialistisch lesbares Bild moderner Naturwissenschaft.
Die pädagogische Medienwirkungsforschung der DDR betonte die emotionale Wirkung des Films generell und verwies hinsichtlich des Lehrfilms auf seine besondere Eignung für die ideologische Bildung. Das Emotionale stand dabei in der materialistischen Bildungsauffassung dem körperlichen Reagieren nahe und so fanden besonders in den 1960er-Jahren auch Einsprengsel der Pawlowschen Reflextheorie (→Pädagogische Psychologie) Eingang in filmtheoretische Überlegungen. Der Lehrfilm wurde als Mittel der Konditionierung diskutiert. Mit Ansätzen der Kybernetik, die in der DDR in den 1970er-Jahren auch hinsichtlich der technischen Ausstattung der Schulen diskutiert wurden, wurde die Idee filmischer Steuerung in den Funktionszusammenhang informationswissenschaftlicher Programmierung von Unterricht eingeordnet. Nach eher unbefriedigenden Ergebnissen in Praxisstudien wurde in den 1980er-Jahren das Fernsehen (bzw. die Videoaufzeichnung) als neuer Hoffnungsträger gehandelt. Gleichwohl besann man sich in der DDR-Pädagogik grundsätzlich auf die zentrale Rolle der Lehrperson für das Gelingen des Unterrichts, denn nur sie konnte die technischen Hilfsmittel adäquat einsetzen.
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[1]
Neuner (ausgebildeter Chemie- und Biologielehrer) war nach Promotion und Habilitation in Leningrad ab 1970 erster Direktor der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR und damit unmittelbar in die Steuerung des DDR-Bildungssystems eingebunden.
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[2]
Generell wurde der Medien-Begriff in den pädagogischen Texten der DDR nicht verwendet. Differenzierend wurde mit Bezug auf die Schule von „Unterrichtsmitteln“ und für die Hochschule von „Lehr-Lernmitteln“ gesprochen. Als audiovisuelle Mittel wurden dabei Filme, Dias, Tonbänder und Projektionsfolien bezeichnet. Eine Sonderrolle nahmen Fernsehsendungen ein.
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[3]
Ewald Topp leitete von 1964 bis 1968 die Sektion Unterrichtsmittel am Deutschen Pädagogischen Zentralinstitut (DPZI) und wurde 1971 zum stellvertretenden Leiter des Instituts für Unterrichtsmittel an der APW berufen. In seiner 1973 teilweise publizierten Dissertation betrachtete Topp den Einsatz technischer Lehrmittel aus der Perspektive von Bildungsökonomie und Unterrichtsorganisation. Unterrichtsfilme waren dabei Teil der fachspezifischen Unterrichtsmittel und gehörten zur TGA, der technischen Grundausstattung der Schule.
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Neuner, G. (1970): Wissenschaftlich-technische Revolution und Bildungsreform in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). In: Internationale Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 16, 3, S. 286–297.
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Topp, E. (1973): Zur Funktion, Nutzung und Weiterentwicklung der technischen Grundausstattung der Oberschulen der DDR. Berlin: Volk und Wissen.
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