Die Geschlechtergleichheit gehörte zum Zukunftsversprechen des Sozialismus in der DDR und war ein wesentliches Element der Systemkonkurrenz gegenüber der BRD, mit dem sich die DDR als moderner(er) Staat hervorheben konnte. Vor diesem Hintergrund war die Gleichberechtigung der Geschlechter auch Ziel der Erziehungs- und Bildungspolitik in der DDR. Da die Bildungsmedien ein wichtiger Bestandteil der umfassenden schulischen und außerschulischen Lesepädagogik waren, die zur Herausbildung einer allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeit maßgeblich beitragen sollte, wurden Schul- und Kinderbücher aus der Zeit 1949–1990 in den Blick genommen und analysiert. Zur Frage stand, wie das Gleichheitsversprechen hinsichtlich der Geschlechterverhältnisse in den Schul- und Kinderbüchern vermittelt wurde. Welche Vorstellungen und Bilder also kamen in den Bildungsmedien zur Darstellung und wurden so von Generation zu Generation weitergegeben?
Halbierte Gleichberechtigung: Berufstätigkeit als Chiffre für Gleichberechtigung
Das Gleichheitsversprechen der Geschlechter war staatliches Ziel und in der Verfassung der DDR (Verfassung der DDR, 1949) verankert, um die rechtliche und politische Gleichberechtigung der Frau auf allen Ebenen des öffentlichen und privaten Lebens zu gewährleisten. Die Gleichberechtigung der Geschlechter bezog sich dabei in erster Linie auf die Integration von Frauen in die Berufs- und Arbeitswelt. Diese Integration war durchaus erfolgreich: Im Jahr 1989 betrug die Erwerbsquote von Frauen 91,2 % in der DDR (Winkler, 1990, S. 63). In den alten Bundesländern betrug die Erwerbsquote von Frauen zu dieser Zeit hingegen ca. 51% (vgl. Statistisches Bundesamt, 1989).
Trotz dieser hohen Erwerbsquote von Frauen lässt sich auch für die DDR von einer Hierarchisierung der Geschlechter sprechen. Die traditionelle Zuordnung von Frauen in ihrer Verantwortlichkeit für Reproduktions-, Care- und Erziehungsaufgaben wurde im Kern nicht in Frage gestellt (vgl. Trappe, 1995; Dölling, 1991; Kaminsky, 2016), sodass „zwischen dem Verfassungsgebot der Gleichberechtigung und der realen Lebenswirklichkeit der DDR-Frauen“ (Winkler, 1990, S. 10) eine erhebliche Lücke bestand. Die Gleichstellungspolitik der DDR fokussierte nicht auf beide Geschlechter gleichermaßen und nicht geschlechterübergreifend auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es kann also von einer „halbierten Gleichberechtigung“ (Baader, Koch, Neumann, 2023) von Frauen gesprochen werden, die sich in erster Linie auf die Integration in den Arbeitsmarkt bezog, bei der jedoch die Berufe in der Regel immer weiter vergeschlechtlicht blieben.
Schul- und Kinderbücher: Die Darstellung berufstätiger Mütter
Die Bildungsmedien der DDR waren, teilweise subtil, von einer Darstellung verschiedener Geschlechterungleichheiten – insbesondere in der Darstellung der Berufstätigkeit der Frauen – durchzogen. Während die Berufstätigkeit von Männern in Text und Bild äußerst präsent war, also Männer sowohl in ihren Berufsbezeichnungen als auch beruflichen Tätigkeiten benannt und erzählt wurden, wurden Frauen hingegen häufig als berufstätige Mütter dargestellt. Dabei fällt auf, dass der genaue Beruf der Mutter und die konkrete berufliche Tätigkeit von Frauen zumeist vage blieb. Ausnahmen waren Lehrerinnen, Erzieherinnen oder Frauen, die in Dienstleistungsgeschäften, wie bspw. als Friseurin arbeiteten.1
Ein hoher Anteil von Frauen wurde also in den Bildungsmedien in erzieherischen, sorgenden und pflegerischen Tätigkeiten abgebildet und umgekehrt wurden in Erziehungs-, Sorge- und Haushaltstätigkeiten textlich wie bildlich vorrangig Frauen dargestellt. Insofern erscheint die Darstellung der Berufstätigkeit von Frauen als „Chiffre für die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Erwerbstätigkeit“ (Baader, Koch, Neumann, 2023), denn insbesondere in dieser Verbindung waren Frauen im Schul- und Kinderbuch „bildwürdig“ (Dölling, 1991, S. 212) (→Bildwürdigkeit). De-thematisiert blieben dabei einerseits die ungleiche Verteilung der familialen Aufgaben, wie andererseits auch die Doppelbelastung von Frauen durch Erwerbs- und Reproduktionsarbeit. Beide Aspekte, sowohl die Ungleichverteilung als auch die Doppelbelastung, wurden im Schulbuch gar nicht aufgegriffen und im Kinderbuch nur sehr selten.
Die traditionelle Zuordnung von Frauen in ihrer Verantwortlichkeit für Reproduktions-, Care- und Erziehungsaufgaben wurde also auch in den Bildungsmedien im Kern nicht in Frage gestellt. Im Vergleich zwischen Schul- und Kinderbüchern zeigte sich, dass im Schulbuch tendenziell das Gleichheitsnarrativ aufgegriffen wurde, während im Kinderbuch in seltenen Fällen auch eine subtile Kritik an den Geschlechterverhältnissen zu finden war. In Ansätzen thematisierten sie also durchaus ein ‚gebrochenes‘ Gleichheitsversprechen, womit sich die Gleichberechtigung in den Bildungsmedien als ein Bildungsmythos erweist.
Ein weiterer Unterschied zwischen Schul- und Kinderbüchern bestand im Verhältnis von Text und Bild. Die Bilder im Schulbuch waren meist eine unmittelbare, eindeutige sowie konkrete Übersetzung des Textes und das Bild- und Textverhältnis somit wenig spannungsreich. Im Kinderbuch hingegen bildeten die Illustrationen eine weitere, eigensinnige Erzählebene und -struktur, was abstraktere und deutungsoffenere Übersetzungen des Textes erlaubte.
Doppeltes Generationenverhältnis und verschränkte Geschlechter- und Generationenverhältnisse
In beiden Bildungsmedien wurden ältere Kinder und Jugendliche dazu aufgefordert und verpflichtet, die jüngeren Kinder im Sinne der sozialistischen Ideale mit zu erziehen. So wurde ein doppeltes Generationenverhältnis (Baader, Koch, Kroschel, 2021) konstruiert, das den älteren Kindern und Jugendlichen mit Blick auf die Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit der Jüngeren eine Erziehungsverantwortung zuschrieb. Aus der Perspektive verschränkter Geschlechter- und Generationenverhältnisse (Baader, Koch, Neumann, 2023) zeigte sich, dass es auch hier vor allem die weiblichen Kinder sind, die bei der Care-Arbeit halfen, was sowohl in den Schul- als auch in den Kinderbüchern auf einen Modus der Erziehung zur Care-Tätigkeit verweist. Der Dienst der Kinder galt ausschließlich der Hilfe für die Mutter. Auch wenn männliche Kinder durchaus hin und wieder bei der Hausarbeit gezeigt wurden, so ist die Tendenz zu erkennen, dass die Care-Arbeit wie selbstverständlich von einer weiblichen Generation an die nächste weitergegeben wurde. Erst mit dem Wandel des Männlichkeitsbildes in den 1980er-Jahren änderte sich die Darstellungsweise in den Bildungsmedien und auch Väter wurden vermehrt bei der Kinderbetreuung und bei Freizeitaktivitäten, nicht jedoch bei der Hausarbeit gezeigt.
Die Geschlechtergleichheit in der DDR galt zwar offiziell als wichtiges Erziehungs- und Bildungsziel, erwies sich bei differenzierterer Betrachtung jedoch als Bildungsmythos. Mehr oder weniger subtil dargestellte Geschlechterungleichheiten durchzogen die Texte und Bilder in den Schul- und Kinderbüchern. Insofern erfuhr die Gleichberechtigung der Geschlechter Brüche durch die „halbierte Gleichberechtigung“ sowie durch „ein doppeltes Generationenverhältnis“ (→Generationenverhältnisse), denn Frauen und Männer als auch Mädchen und Jungen werden in den Bildungsmedien nicht gleichberechtigt dargestellt, weder in den erzählten Geschichten noch in den Bildern. Die Gleichberechtigung in der DDR ist also auch in den Bildungsmedien ein Bildungsmythos, wodurch sich auch die Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit (→Allseitig gebildete sozialistische Persönlichkeit) als vergeschlechtlicht erweist, „anders als es die offizielle Rhetorik postuliert“ (Baader, Koch, Neumann, 2023, S. 36). Um diese Ungleichheiten genauer herauszuarbeiten und konkreter zu benennen, war sowohl ein Vergleich der Schulbücher mit der Kinderliteratur produktiv als auch eine Analyse des Spannungsverhältnisses von Text und Bild, das durch den Eigensinn der Bilder bei den Kinderbüchern stärker als Spielraum für Kritik an den realen Bedingungen der Geschlechterverhältnisse in der DDR genutzt werden konnte.
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Damit ist nicht gemeint, dass nicht auch Frauen als Mitarbeiterinnen eines Betriebes, als Straßenbahnfahrerinnen oder als Kranfahrerinnen abgebildet werden. Der Unterschied zur Darstellung der Berufstätigkeit von Männern besteht darin, dass dem Beruf von Müttern im Unterschied zum Beruf von Vätern und Männern in den erzählten Geschichten keine wesentliche Bedeutung zukommt.
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Baader, M. S./ Koch, S./ Kroschel, F. (2021): Kinder und Jugendliche als Erziehende. Umkämpfte Kindheit und Jugend in Bildungsmedien der DDR. In: Baader, M. S. & Kenkmann, A. (Hrsg.): Jugend im kalten Krieg. Zwischen Vereinnahmung, Interessenvertretung und Eigensinn. Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 159-178.
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Baader, M. S./ Koch, S./ Neumann, F. (2023): Von Soldaten und Lehrerinnen. Geschlechterverhältnisse in Bildungsmedien der DDR. In: Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 69, S. 21–39.
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Dölling, I. (1991): Der Mensch und sein Weib. Frauen- und Männerbilder. Geschichtliche Ursprünge und Perspektiven. Berlin: Dietz Verlag.
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Kaminsky, A. (2016): Frauen in der DDR. Berlin: Ch. Links.
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Ritter, A. & Ritter, M. (2016): „Mama am Herd“ Zur Inszenierung von Geschlecht und sozialer Rolle in den Fibeln der SBZ/DDR und ihren Nachfolgern. In: Roeder, C./ Josting, P. /Dettmar, U. (Hrsg.): Immer Trouble mit Gender? Genderperspektiven in der Kinder- und Jugendliteratur und -medien(forschung). München: kopaed, S. 79–96.
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Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (1989): Statistisches Jahrbuch 1989 der Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart: Metzler-Poeschel.
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Trappe, H. (1995): Emanzipation oder Zwang. Frauen in der DDR zwischen Beruf, Familie und Sozialpolitik. Berlin: De Gruyter.
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Verfassung der DDR (1949). (Abruf 16.06.2024: http://www.documentarchiv.de/d...).
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Winkler, G. (Hrsg.) (1990): Frauenreport ´90. Im Auftrag des Ministerrates für die Gleichstellung von Frauen und Männern, Dr. Marina Beyer. Berlin: Verlag Die Wirtschaft Berlin GmbH.
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