Glossar

Die außerunterrichtliche Tätigkeit wurde in der DDR als Teil des einheitlichen Systems der Bildung und Erziehung der jungen Generation gesehen (Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem, 1965, § 6 (2)). Maßnahmen hierzu galten als Instrument einer sinnvollen Freizeitgestaltung ebenso wie der Begabungsförderung und der Persönlichkeitsbildung auf den Grundsätzen der Einheit von Bildung und Erziehung (Gesetz über die Teilnahme der Jugend der Deutschen Demokratischen Republik am Kampf um den umfassenden Aufbau des Sozialismus und die allseitige Förderung ihrer Initiative bei der Leitung der Volkswirtschaft und des Staates, in Beruf und Schule, bei Kultur und Sport, 1964, § 11(1)).

Als Tätigkeitsfelder, in denen Schüler*innen und Lehrlinge sich ihren Neigungen, Fähigkeiten, Begabungen und Talenten entsprechend betätigen sollten, wurden alle Gebiete der Wissenschaft, der Technik, des Sports und der Kultur definiert, wobei ein besonderer Fokus auf den Naturwissenschaften lag. Zur außerunterrichtlichen Tätigkeit zählten ebenso Arbeits- und Interessengemeinschaften wie Freizeitbetätigungen im Hort oder auch im Rahmen von Pionierorganisation und Freier Deutschen Jugend (FDJ). Seit den 1960er Jahren wurden sogenannte Arbeitsgemeinschaften (AG) mit unterschiedlichsten Freizeitangeboten geschaffen, deren Thematik unter Berücksichtigung des in den Lehrplänen festgelegten Rahmenprogrammes (AG/R) selbst gewählt werden konnte. Sie konnten als Möglichkeit zur Differenzierung in Form von ergänzendem und vertiefendem Kursunterricht sowie zur Bereicherung des regulären Unterrichts gesehen werden (für die Klassen 9 bis 12). Etwa ab Mitte der 1970er Jahre wurden diese AGs immer mehr als Formen der „individualisierenden Gemeinschaftserziehung“ etabliert, in denen aktiver Arbeit und den Interessen der Schüler*innen ein größerer Raum gewährt wurde (Benner & Kemper, 2009, S. 202). Die außerunterrichtliche Tätigkeit kann, im Vergleich zum streng systematisierten schulischen Lernen, als ein gewisser Freiraum sowohl inhaltlicher als auch methodischer Art interpretiert werden.

Literatur

  • Benner, D. & Kemper, H. (2009): Theorie und Geschichte der Reformpädagogik: Teil 3.1: Staatliche Schulreform und reformpädagogische Schulversuche in SBZ und DDR. 2. überarb. Aufl. Weinheim: Beltz.

  • Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem (1965). (Abruf 22.04.2024: https://ghdi.ghi-dc.org/sub_do...).

  • Gesetz über die Teilnahme der Jugend der Deutschen Demokratischen Republik am Kampf um den umfassenden Aufbau des Sozialismus und die allseitige Förderung ihrer Initiative bei der Leitung der Volkswirtschaft und des Staates, in Beruf und Schule, bei Kultur und Sport (1964). (Abruf 30.04.2024: https://www.verfassungen.de/dd...).

In pädagogischen Diskursen, in Bildungsmedien, in Dokumenten des Bildungs- und Erziehungsprozesses selbst und schließlich in begleitenden und retrospektiven Berichten, (auto-)biographischen Erzählungen und ästhetischen Darstellungen finden sich unterschiedliche Elemente, Motive und Ideen über Bildung und Erziehung, die ein mythisierendes Potenzial aufweisen. Bildungsmythen sind ganz grundlegende Erzählungen, manche sagen hier, weil sie sich oft wiederholen, auch „Narrative“, in denen unterschiedlichen Ideen und Motiven über Bildung und Erziehung zusätzliche Sinndimensionen verliehen werden und den Begriff der Bildung selbst in besonderer Weise aufladen. So hat Jessen (2004) ein immer wieder für die deutsche Bildungsgeschichte beschriebenes Deutungsmuster (Bollenbeck, 1994) charakterisiert, in dem eine besondere Form der Verschränkung der National- mit einer Bildungs- als Kultursemantik stattfand. Sie leitete im 19. Jahrhundert Wahrnehmungen, veranlasste Institutionalisierungen und motivierte auch das Verhalten einer geisteswissenschaftlichen Bildungselite, auch wenn gegen sie schließlich andere Ideen, etwa die eines Bildungswertes der Wissenschaften und auch der Naturwissenschaften, aufgeboten wurden (vgl. z.B. zur Auseinandersetzung um den ‚Bildungswert‘ der Naturwissenschaft Brüggemann, 1967; Daum, 1998). Bildungsmythen in dem hier genutzten Sinne bestehen aus verschiedenen Elementen, aus Bildern und anderen Versatzstücken, die immer wieder im Zusammenhang mit dem Konzept der Bildung und dem der Erziehung, wie sie sich vor allem in Europa in den letzten etwa 250 Jahren im Zusammenhang mit der Entstehung von Bildungssystemen herausgebildet haben, aufgerufen und neu in Umlauf gesetzt werden. Ein solches mythisierendes Potenzial hat z.B. die Idee eines legitimen, umfassenden Bildungsanspruches für alle Menschen, einer „Bildung für alle“, zu dem Erzählungen, etwa der sich dafür einsetzenden pädagogischen Helden, von Lehrkräften aber auch Schulpolitiker*innen, die versuchen, diesen Anspruch auf die eine oder andere Weise durchzusetzen oder des armen, sozial benachteiligten, an Bildung zwar interessierten, aber keinen Zugang dazu besitzenden und sich schließlich doch bildenden Kindes gehören. Gegenerzählungen dazu ranken sich um die Ideen einer „Freien Bahn dem Tüchtigen“ oder um die des hochbegabten Kindes. Auch die Vorstellung von einer „schönen Kindheit“ hat mit verschiedenen Elementen – etwa dem freien und unbeaufsichtigten Zugang zur Natur – eine mythisierende Kraft und kann einem Bildungsmythos dienen. Für das Handeln von Akteuren und das Wirken von Institutionen im pädagogischen Feld, sowohl innerhalb von Organisationen selbst, in den pädagogischen Diskursen des Feldes, in Selbstdarstellungen und in der Bildungspolitik wirken solche Bildungsmythen verbindend und orientierend. Beobachtbar sind im pädagogischen Feld und zu unterschiedlichen Zeiten, in verschiedenen Zeitperioden und in spezifischen Kontexten Einsprüche und Widersprüche, Kämpfe und Auseinandersetzungen um solche Bildungsmythen, um ihre Deutung und individuelle Aneignung.

Literatur

  • Bollenbeck, G. (1994): Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters. Frankfurt a.M.: Insel Verlag.

  • Brüggemann, O. (1967): Naturwissenschaft und Bildung. Die Anerkennung des Bildungswertes der Naturwissenschaften in Vergangenheit und Gegenwart. Heidelberg: Quelle & Meyer.

  • Daum, A. W. (1998): Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert. Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und deutsche Öffentlichkeit, 1848–1914. München: Oldenbourg.

  • Jessen, R. (2004): Zwischen Bildungsökonomie und zivilgesellschaftlicher Mobilisierung. Die doppelte deutsche Bildungsdebatte der sechziger Jahre. In: Haupt, H.-G. (Hrsg.): Aufbruch in die Zukunft – die 60er Jahre zwischen Planungseuphorie und kulturellem Wandel. DDR, CSSR und Bundesrepublik Deutschland im Vergleich. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft, S. 209–231.

Mit dem Begriff der „Bildwürdigkeit“ wird angezeigt, dass nicht alles gleichermaßen für Wert gehalten wird, ins Bild gesetzt um damit gerahmt sowie herausgestellt zu werden.

Den Begriff „bildwürdig“ entwickelte Irene Dölling unmittelbar im Rahmen ihrer Analysen zu stereotypen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit in der DDR. Damit weist die Entstehung des Begriffs einen direkten Gegenstandsbezug zur Frage nach den Geschlechterverhältnissen in Bilderwelten der DDR auf. Dölling untersuchte dafür Fotos in auflagenstarken Zeitschriften der DDR, die „Frauen und Männer in ihrer Alltagsrealität zeigen“ (Dölling, 1991, S. 7). Ausgehend von der These, dass es insbesondere im Hinblick auf die Verteilung der Produktions- und Reproduktionsarbeit zwischen den Geschlechtern keine Gleichberechtigung in der DDR gab und bis zum Ende der DDR diese grundsätzliche „Trennung nicht beseitigt“ (ebd., S. 197) wurde, kann Dölling anhand der Bilder zeigen, dass die traditionellen Geschlechterverhältnisse trotz Berufstätigkeit der Frauen „weitgehend ungebrochen“ blieben (ebd., S. 8; vgl. auch für die Illustrationen in Schul- und Kinderbücher der DDR Baader/Koch/Neumann, 2023).

Hintergrund der Bildanalysen von Dölling sind zwei grundsätzliche bildtheoretische Annahmen, nämlich, dass Bilder eine hohe Kraft der Faszination entfalten und, dass sich in Bildern gesellschaftliche und politische „Vorstellungen und Normen“ zeigen (Dölling, 1991, S. 8). Im Rahmen ihrer „Kulturgeschichte der Geschlechterverhältnisse für die DDR“ (ebd., S. 9) maß Dölling Bildern eine große Bedeutung zu und untersuchte u.a., „welche Seiten des Lebens von Frauen und Männern ins Bild beziehungsweise nicht ins Bild kommen, das heißt nicht bildwürdig sind“ (ebd., S. 7). Die Frage nach der Bildwürdigkeit hat bei Dölling eine heuristische als auch methodische Dimension mit Blick auf die Analyse von Lebens- und Geschlechterverhältnissen, die einerseits den Blick auf die Geschlechterverhältnisse schärft und andererseits wichtige Ergebnisse zur gesellschaftlichen Positionierung von Frauen produziert. Zentrale Ergebnisse dieser Studie lassen sich an der „Charakterfigur der berufstätigen Mutter“ (ebd., S. 197) verdeutlichen. Mütterlichkeit wird bspw. bildlich durch die „Symbiose von Frauen- und Kinderkörpern“ (ebd., S. 201) inszeniert, wodurch sich die Vorstellung vermittelt, „daß Frauen eine ‚andere Bestimmung‘ haben als Männer“ (ebd.). Zugleich aber wird die Hausarbeit durch die dominante Darstellung der Berufstätigkeit von Frauen bildlich „an den Rand gedrängt“, (ebd., S. 200), indem diese „keine anschauliche Gestalt“ (ebd., S. 211) erlangte. Ins Bild gesetzt wurde vielmehr die gelungene Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Mutterschaft als Ergebnis einer sozialistischen Erwerbs- und Familienpolitik, nicht oder nur sehr selten ins Bild gesetzt wurde hingegen die damit verbundene Doppelbelastung von Frauen (vgl. ebd., S. 208ff).

Literatur

  • Baader, M. S./ Koch, S./ Neumann, F. (2023): Von Soldaten und Lehrerinnen. Geschlechterverhältnisse in Bildungsmedien der DDR. In: Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 69, S. 21–39.

  • Dölling, I. (1991): Der Mensch und sein Weib. Frauen- und Männerbilder. Geschichtliche Ursprünge und Perspektiven. Berlin: Dietz Verlag.

Als ‚bürgerliche Pädagogik‘ wurde in der DDR die sich seit dem 18. Jahrhundert von der Philosophie ablösende und zu einer eigenständigen Wissenschaft von der Erziehung entwickelnde Theorie und Forschung bezeichnet. Geleitet vom ‚marxistisch-leninistischen‘ Umgang mit dem bürgerlichen Erbe unterschied man in der DDR zunächst grundsätzlich zwischen einer ‚progressiven‘ bzw. ‚klassischen‘ bürgerlichen und einer spätbürgerlichen resp. ‚imperialistischen‘ Pädagogik, die sich seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts herausbildete. Die sog. klassische bürgerliche Pädagogik wurde als ‚fortschrittliche‘ Tradition rezipiert und positiv bewertet. Intensiv beschäftigte man sich in der DDR etwa mit der Pädagogik Wolfgang Ratkes (1571–1635) und Jan Amos Komenskys (1592–1670), aber auch mit der von Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827), Friedrich Wilhelm August Fröbel (1782–1852) und von Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg (1790–1866). Im Ergebnis entstanden hierzu zahlreiche Zeitschriftenaufsätze, Monografien und Editionen. Die in der Forschung der DDR weithin vernachlässigte sog. imperialistische oder spätbürgerliche Pädagogik – dazu zählte etwa auch die Reformpädagogik – wurde hier ausgesprochen kritisch gesehen; sie galt als Gegenstand klassenkämpferischer Auseinandersetzung zwischen den fortschrittlichen Kräften, der Arbeiterbewegung, und bürgerlich-reaktionären Bewegungen. In den 1980er Jahren geriet dieser Umgang mit der pädagogischen Tradition im Kontext der geschichtswissenschaftlichen Diskussion der DDR über den Umgang mit dem bürgerlichen Erbe zunehmend in die Kritik, ohne dass dieses allerdings einschneidende praktische Folgen zeitigte und Teile der Reformpädagogik nun differenzierter bewertet wurden.

Literatur

  • Günther, K.-H. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1987): Geschichte der Erziehung. 14. Aufl. Berlin: Volk und Wissen.

  • Tenorth, H.-E. & Wiegmann, U. (2022): Pädagogische Wissenschaft in der DDR. Ideologieproduktion, Systemreflexion und Erziehungsforschung. Studien zu einem vernachlässigten Thema der Disziplingeschichte deutscher Pädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Als didaktische Grundprinzipien oder Grundprinzipien des Unterrichts wurden in der DDR eine Anzahl von didaktischen Vorgaben bezeichnet, die die Unterrichtsgestaltung in der allgemeinbildenden Schule betrafen. Bis heute finden sich in erziehungswissenschaftlichen und bildungspolitischen Diskursen über die DDR starke Bezüge zu einigen dieser Prinzipien.

Mit der „Verordnung über die Unterrichtsstunde als Grundform der Schularbeit, die Vorbereitung, Organisation und Durchführung der Unterrichtsstunde und die Kontrolle und Beurteilung der Kenntnisse der Schüler“ (MfV, 1950) wurden die didiaktischen Prinzipien ministeriell festgelegt. Diese Verordnung hatte einen Beschluss über die „Lehrpläne und die Schulordnung der Grund- und Mittelschule“ des ZK der KPdSU von 1932 zum Vorbild und orientierte sich an Schulunterricht stalinistischer Prägung (vgl. Anweiler & Meyer, 1961, S. 33-37), ebenso wie an vergleichsweise konservativen Vorstellungen deutscher Schultradition. Die Prinzipien sind zumeist auf Synthesen hin dimensioniert. So wurde z.B.: mit dem Prinzip des „systematischen Charakters des Unterrichts“ eine Ausrichtung der Inhalte an aktuelle Erkenntnissen der jeweiligen Fachwissenschaften verbindlich vorgeschrieben, gleichzeitig aber der wissenschaftlichen Grundlage parteiliche Funktion und Dimension zugewiesen: „Die Verbindung der Wissenschaftlichkeit des Unterrichts mit der Erziehung der Schüler zu fortschrittlichen Demokraten (…) im Kampf um den Frieden (…), die Einheit Deutschlands (…), die Umgestaltung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse“. Dieser Duktus richtete sich vorrangig gegen alle didaktischen und methodischen Ansätze, die in der Nähe sog. „bürgerlicher Schulreformer“ (MfV, 1950, II) verortet und als „reaktionär“ und „imperialistisch“, verlangte neben vermehrter Strukturierung und Standardisierung in der Unterrichtsgestaltung auch „Faßlichkeit“, den abwechselnden Einsatz von Methoden und Bezug auf die jeweiligen Bedürfnisse der Schüler*innen.

In der Schulordnung von 1959 (MfV, 1959) und den Gesetzesvorgaben zum einheitlichen sozialistischen Bildungssystem eher fragmentarisch enthalten, blieben diese Prinzipien auch weiterhin kennzeichnend für Theorie und weithin auch die Praxis in der Schule. So wurden noch 1987 im Pädagogischen Wörterbuch der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften (APW) z.B.: „die Einheit von Wissenschaftlichkeit und Parteilichkeit“, die „Verbindung von Theorie und Praxis“, „das Prinzip des individuellen Eingehens auf die Persönlichkeit des Schülers auf der Grundlage der Arbeit mit dem Schülerkollektiv“ und das „Prinzip der führenden Rolle des Lehrers und der Selbstätigkeit der Lernenden“ als „aus den Zielen und Gesetzmäßigkeiten des Unterrichts“ abgeleitete Kategorien (Laabs et al., 1987, S. 84-85) definiert. Das oft auf die ‚führenden Rolle des Lehrers‘ begrenzte Prinzip entwickelte sich zu einem zentralen Terminus in Lehrerbildung und Didaktik. Wie die anderen Prinzipien wurde es einerseits auf fachliche, andererseits auch gesellschaftspolitische Anforderungen bezogen. In Reflexionen ab 1989 wird kritisiert, dass starke Hierarchiebildung und mangelnde methodische Konsequenz die Verwirklichung der Prinzipien verhindert habe, z.B. niemals eine symmetrische Beziehung zwischen Lehrkräften und Schüler*innen angestrebt wurde (vgl. Fuhrmann, 1994, S. 269).

Literatur

  • Anweiler, O. & Meyer, K. (Hrsg.) (1961): Die sowjetische Bildungspolitik seit 1917. Dokumente und Texte. Heidelberg: Quelle & Meyer.

  • Fuhrmann, E. (1994): Didaktik und Unterrichtsforschung in der DDR – Was bleibt? [Symposion 8. Schule und Unterricht in Ost und West]. In: Benner, D. & Lenzen, W. (Hrsg): Bildung und Erziehung in Europa. Beiträge zum 14. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft vom 14.–16. März 1994 in der Universität Dortmund. Weinheim: Beltz, S. 269–272.

  • Laabs, H. J./ Dietrich, G./ Drefenstedt, E./ Günther, K.-H./ Heidrich, T./ Herrmann, A./ Kienitz, W./ Kühn, H./ Naumann, W./ Pruß, W./ Sonnschein-Werner, C./ Uhlig, G. (Hrsg.) (1987): Pädagogisches Wörterbuch. Berlin: Volk und Wissen.

  • Ministerium für Volksbildung (Hrsg.) (1950): Verordnung über die Unterrichtsstunde als Grundform der Schularbeit, die Vorbereitung, Organisation und Durchführung der Unterrichtsstunde und die Kontrolle und Beurteilung der Kenntnisse der Schüler. Berlin: Ders.

  • Ministerium für Volksbildung (Hrsg.) (1959): Verordnung über die Sicherung einer festen Ordnung an den allgemeinbildenden Schulen – Schulordnung, 12.11.1959. In: Günther, K.-H. (Hrsg.) (1969): Dokumente zur Geschichte des Schulwesens in der Deutschen Demokratischen Republik. Teil 2: 1956–1967/68. Berlin: Volk und Wissen, S. 303.

Wenn Erwachsene erwerbstätig sind und zugleich die Hauptverantwortung für die Erziehung und Betreuung von Kindern, für die Versorgung weiterer Personen sowie für den Haushalt tragen, dann wird dies als „Doppelbelastung“ bezeichnet. Da von dieser Konstellation historisch, systemübergreifend wie aktuell Frauen deutlich stärker betroffen sind, ist der Begriff der Doppelbelastung im Kontext der politischen, soziologischen wie historischen Auseinandersetzungen mit der Erwerbstätigkeit von Frauen entstanden. Von Doppelbelastung war erst die Rede, „als sich mit der Durchsetzung industriell kapitalistischer Produktionsverhältnisse die Anforderungen (z.B. Zeitstrukturen) häuslicher, bedarfsorientierter und außerhäuslicher, erwerbsmäßiger Arbeit auseinander zu entwickeln begannen“ (Ostner, 1983, S. 57). Während der Begriff historisch zunächst mit Blick auf die Folgen für den Ehemann benutzt wurde, geriet nach 1945 die Belastung der Frauen durch die verschiedenen Formen der Arbeit, die Erwerbs- und die Hausarbeit, zunehmend in den Blick (ebd.). In der Folge untersuchten sogenannte Zeitbudgetstudien regelmäßig, wieviel Zeit berufstätige Frauen und Männer für die Kindererziehung, für Sorgetätigkeit und für die Hausarbeit aufbringen. Dabei zeigt sich über Jahrzehnte bis heute der gleiche Trend: die Erwerbstätigkeit von Frauen führt nicht zu vergleichbaren Kindererziehungs- und Hausarbeitszeiten der Männer.

In der DDR zielte sowohl die Arbeitsmarkt- als auch die Familienpolitik auf die erwerbstätige Frau. Die Erwerbstätigkeit war dabei zugleich der offizielle Maßstab für die Gleichberechtigung der Frau, die im Staatsvertrag der DDR festgeschrieben war. Faktisch war es aber auch in der DDR so, dass Kindererziehung und Hausarbeit gewissenmaßen selbstverständlich primär Aufgabe der Frauen blieben. Soziologisch gesprochen war dadurch die doppelt vergeschlechtlichte Vergesellschaftung, also die im Produktionsbereich und die im privaten Reproduktionsbereich (vgl. Becker-Schmidt, 2003), auch in der DDR de-thematisiert worden. Damit hatte der in der DDR ‚real existierende Sozialismus‘ das Problem der Geschlechterungleichheit in der Praxis nicht lösen können, sondern präsentierte eine „halbierte Gleichberechtigung“ (vgl. Baader/Koch/Neumann, 2023), bei der die Doppelbelastung nach wie vor vorrangig Frauen betraf. Aus der marxistischen Theoriearbeit innerhalb der DDR wurde weder die Naturalisierung der Zuständigkeit der Frauen für die private Reproduktion noch die gesellschaftliche Hierarchisierung von Produktion und Reproduktion infrage gestellt.

Literatur

  • Baader, M. S./ Koch, S./ Neumann, F. (2023): Von Soldaten und Lehrerinnen. Geschlechterverhältnisse in Bildungsmedien der DDR. In: Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 69, S. 21–39.

  • Becker-Schmidt, R. (2003): Zur doppelten Vergesellschaftung von Frauen. Soziologische Grundlegung, empirische Rekonstruktion. In: gender… politik … online, S. 1–18. (Abruf 07.05.2024: https://www.fu-berlin.de/sites...).

  • Ostner, I. (1983): Doppelbelastung. In: Beyer, J./ Lamott, F./ Meyer, B. (Hrsg.): Frauenhandlexikon. Stichworte zur Selbstbestimmung. München: Beck, S. 55–57.

Der Begriff ‚Einheitsschule‘ beschrieb im bildungspolitischen und pädagogischen Selbstverständnis der DDR das auf einheitlichen inhaltlichen und weltanschaulichen Prinzipien aufgebaute und in den Schul- bzw. Bildungsgesetzen von 1946, 1959 und 1965 festgelegte Bildungssystem vom Kindergarten bis zur Hochschule. Sie galt als Bedingung der Verwirklichung einer gleichen allgemeinen Bildung für alle mit dem Ziel, ‚allseitig und harmonisch entwickelte Persönlichkeiten‘ herauszubilden und war exklusiv im Sozialismus verwirklicht.

Über den Zugang zu höherer Bildung entschieden schulische Leistungen, Fähigkeiten, Begabungen sowie soziale, politische und ökonomische Kriterien in unterschiedlicher Gewichtung und mit zum Teil gravierenden sozialen Konsequenzen in der Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR. Der aus der Tradition ‚fortschrittlicher‘ bürgerlicher Bildungsbestrebungen abgeleitete Begriff bezeugte den Willen, auf Einheitlichkeit etwa des Unterrichtsinhalts ohne sonderliche Rücksicht auf die Individualität der Schülerinnen und Schüler zu beharren und sich über die schulische Logik der Erzeugung von Differenz hinweg zu setzen. Komplexe praktische, vor allem soziale und wirtschaftliche Wirkungen eines solchermaßen durchgesetzten Einheitsprinzips wurden weitgehend ignoriert. Die Durchsetzung von Gleichheit zu Ungunsten der Förderung von Begabungen sowie individueller Neigungen und Bildungsinteressen bei gleichzeitig widerwilligen bildungspolitischen Konzessionen gegenüber ökonomischen Notwendigkeiten etwa in Gestalt sog. Spezialschulen oder eines fakultativen Unterrichts war die Folge. In der zweiten Existenzhälfte der DDR wurde über das Verhältnis von Einheitlichkeit und Differenzierung diskutiert und daraus didaktische Folgerungen in Gestalt einer sog. ‚inneren Differenzierung‘ gezogen.

Literatur

  • Drewek, P. (1997): Begriff, System und Ideologie der Einheitsschule. Ein Kommentar zu Gerhart Neuners Beitrag über „Das Einheitsprinzip im DDR-Bildungswesen“. In: Zeitschrift für Pädagogik 14, 4, S. 639–657.

  • Frankiewicz, H. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1963): Pädagogische Enzyklopädie. 2 Bde. Berlin: Deutscher Verlag der Wissenschaften.

  • Geißler, G. (1997): Die konsequente Realisierung des Einheitsprinzips. Bemerkungen, veranlaßt durch einen Analyseversuch Gerhart Neuners. In: Zeitschrift für Pädagogik 14, 4, S. 659–673.

  • Laabs, H. J./ Dietrich, G./ Drefenstedt, E./ Günther, K.-H./ Heidrich, T./ Herrmann, A./ Kienitz, W./ Kühn, H./ Naumann, W./ Pruß, W./ Sonnschein-Werner, C./ Uhlig, G. (Hrsg.) (1987): Pädagogisches Wörterbuch. Berlin: Volk und Wissen.

  • Waterkamp, D. (1985): Das Einheitsprinzip im Bildungswesen der DDR. Bildung und Erziehung, Nr. 3. Köln, Wien: Böhlau.

Erinnerungen lassen sich aus kulturwissenschaftlicher Perspektive als soziale Phänomene beschreiben (vgl. Moller, 2010). Individuelle Erinnerungen werden durch das soziale und kulturelle Umfeld geprägt, beispielsweise durch Gespräche mit Anderen oder auch aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen. Da in Erinnerungen aus heutiger Perspektive auf frühere Erfahrungen und Erlebnisse geblickt wird, hat die Gegenwart einen stärkeren Einfluss auf Erinnerungen als die Vergangenheit. Das, was Menschen erinnern, wird in gegenwärtigen sozialen Interaktionen immer wieder abgerufen und weiter ausgebildet. So sind Erinnerungen für die Gruppe, in der sie weitergegeben werden, identitätsbildend. Erlebnisse und Erfahrungen, die nicht abgerufen werden, geraten über die Zeit in Vergessenheit (vgl. Welzer, 2011). Somit sind Erinnerungen immer selektiv und perspektivisch (vgl. Assmann, 2013). Neben den sozialen Interaktionen, die die Auswahl der Erinnerungen leiten, sind auch Emotionen bedeutsam für die Bildung von Erinnerungen. Kulturwissenschaftliche Studien haben in diesem Zusammenhang herausgefunden, dass aufgrund der Emotionalisierung auch Filme oder Erzählungen Anderer als eigene Erinnerungen wahrgenommen werden können (vgl. u.a. Welzer, Moller, Tschuggnall, 2002).

Neben individuellen und gemeinschaftlichen Erinnerungen existiert auch eine öffentliche Erinnerungskultur (Assmann, 2013). Hierunter fallen bspw. Gedenktage, mediale Darstellungen oder Gedenkstätten. Im Hinblick auf die Erinnerung an die DDR lassen sich nach Martin Sabrow (2009) drei verschiedene Erinnerungsdimensionen in Bezug auf die DDR ausmachen: Das Diktaturgedächtnis, das Arrangementgedächtnis und das Fortschrittsgedächtnis. Das Diktaturgedächtnis fokussiert auf das politische System und dessen repressive Seiten. Das Arrangementgedächtnis umfasst die Erinnerung an das ‚richtige Leben im falschen‘ und das Fortschrittsgedächtnis stellt die sozialistischen Errungenschaften in den Vordergrund, wie die vermeintlich gleichberechtigtere Rolle der Frau.

Literatur

  • Assmann, A. (2013): Das neue Unbehagen in der Erinnerungskultur. Eine Intervention. München: Beck.

  • Moller, S. (2010): Erinnerung und Gedächtnis. (Abruf 12.04.24: https://docupedia.de/zg/Erinne...).

  • Sabrow, M. (2009): Die DDR erinnern. In: Sabrow, M. (Hrsg.): Erinnerungsorte der DDR. München: Beck, S. 11–27.

  • Welzer, H. (2011): Gedächtnis und Erinnerung. In: Jaeger, F. & Liebsch, B. (Hrsg.): Handbuch der Kulturwissenschaften. Band I: Grundlagen und Schlüsselbegriffe, Sonderausgabe. Wiesbaden: Springer, S. 155–174.

  • Welzer, H./ Moller, S./ Tschuggnall, K. (2002): „Opa war kein Nazi“ Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Frankfurt a.M.: Fischer.

Als Konsequenz aus der ab 1959 eingeführten zehnjährigen polytechnischen Oberschule (POS) als allgemeinbildende Pflichtschule wurde die zur Hochschulreife führende Oberschule in ‚Erweiterte Oberschule‘ (EOS) umbenannt. Die Erweiterung betraf nicht nur die Bezeichnung. Die Maßgabe des Gesetzes über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens vom 2. Dezember 1959, Schule und Berufsausbildung miteinander zu verbinden, mündete in die Festlegung, gleichzeitig mit der Erlangung allgemeiner Hochschulreife eine Berufsausbildung zu durchlaufen. Dieser zu Beginn der 1960er Jahre umgesetzte Versuch wurde 1967 abgebrochen. Bis zum Ende der DDR erhalten blieb allerdings eine Berufsausbildung, die gleichzeitig den Erwerb des Abiturs ermöglichte. Hochschulreife konnte außer in den EOS (1,6 Prozent aller Schulen 1990) in Spezialschulen (0,6 Prozent), Kinder- und Jugendsportschulen (0,5 Prozent) (vgl. Uhlig & Wiegmann, 1994) und Einrichtungen der Erwachsenenbildung erworben werden.

Erheblichen Konfliktstoff barg das mit dem Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem vom 25. Februar 1965 angebahnte einheitsschulpolitische Ziel, den Übergang zu einer lediglich zwei Schuljahre umfassenden EOS ausschließlich nach Abschluss der obligatorischen POS zuzulassen. In Vorbereitung auf die zeitliche Reduzierung der vierjährigen EOS auf zwei Jahre wurden 1968/69 sog. Übergangsklassen an den EOS eingeführt, für die die Lehrpläne der POS galten. Ab 1982/83 setzte das Volksbildungsministerium die Maßgabe des geltenden Bildungsgesetzes konsequent um. Weiteren gesellschaftlichen Konfliktstoff boten kontinuierlich die nach ökonomischen, sozialen und politischen Kennziffern festgelegten Zugangskriterien, die in der Regel etwa lediglich ein bis zwei Schülerinnen und Schülern einer Klasse den Übergang zur EOS erlaubten. Ein Rechtsanspruch bestand nicht. Ausschlaggebend für die Entscheidung über die Zulassung durch Kommissionen unter Leitung der zuständigen Schulrätin bzw. des Schulrates waren neben schulischen Leistungen das gesellschaftliche Engagement der Schülerinnen und Schüler. Politische Mindestanforderungen an die Elternhäuser und politische Loyalität der Bewerberinnen und Bewerber wurden vorausgesetzt. Die soziale Herkunft (Förderung sog. Arbeiter- und Bauernkinder) und weitere Maßnahmen zur Schaffung einer sog. sozialistischen Intelligenz spielten vor allem in den ersten zwei Jahrzehnten nach 1945 eine bedeutende Rolle. Die Abiturquote aus allen zur Hochschulreife führenden Einrichtungen des Bildungswesens stieg von rund 3 Prozent eines Altersjahrganges in den ersten Nachkriegsjahren auf im Durchschnitt 14 Prozent seit den 1970er-Jahren. Die Absolventen der EOS erreichten einen Anteil von durchschnittlich 8–9 Prozent. Rund 98 Prozent der Abiturienten nahm ein Studium auf, das rund 80 Prozent der Studienanfänger erfolgreich absolvierten (vgl. Geißler, 2011, S. 210–217).

Literatur

  • Anweiler, O./ Mitter, W./ Peisert, H./ Schäfer, H.-P./ Stratenwerth, W. (Hrsg.) (1990): Vergleich von Bildung und Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik. Köln: Verlag Wissenschaft und Politik.

  • Geißler, G. (2011): Schulgeschichte in Deutschland. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Frankfurt a.M.: Lang.

  • Günther, K.-H. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1978): Quellen zur Geschichte der Erziehung. 8. Aufl. Berlin: Volk und Wissen.

  • Uhlig, C. & Wiegmann, U. (1994): Struktur- und Funktionswandel des Schulwesens in der DDR. In: Müller, D. K. (Hrsg.): Pädagogik Erziehungswissenschaft Bildung. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, S. 261–293.

Die Bezeichnung ‚Fachmethodik‘ entspricht dem in der BRD üblichen Terminus ‚Fachdidaktik‘. Beide Begriffe wurden nicht systematisch voneinander abgegrenzt. In der Selbstbezeichnung verschiedener institutioneller Bereiche sind aber unterscheidbare Schwerpunkte ersichtlich. Der Begriff der Didaktik wurde in der DDR zumeist für konzeptuelle allgemeindidaktische Ausführungen genutzt (vgl. Drefenstedt et al., 1976), die in Verbindung mit Traditionslinien ausgehend von Radke und Comenius bis hin zur marxistisch-leninistischen Pädagogik gesetzt wurden. Dabei stand eine enge Eingrenzung auf überfachliche, stark an der Persönlichkeitsbildung orientierte Prinzipien des Lehrens und Lernens im Unterricht im Vordergrund (Laabs et al., 1987, S. 82), die sich z.B. im Institut für Didaktik der Akademie für Pädagogische Wissenschaften (APW) und in dessen Arbeit an einer übergreifenden „Unterrichtstheorie“ (Malycha, 2008, S. 95) niederschlugen. Der Begriff der Fachmethodik bezog sich im Gegensatz dazu immer auf ein spezifisches Unterrichtsfach, wurde also nicht nur als „Methodenlehre des Unterrichts oder einer praktizistischen Sammlung von Handreichungen zur Unterrichtsgestaltung“, sondern auch als „Wissenschaft vom [jeweiligen] Unterrichtsfach“ (Mader, 1959, S. 381) gesehen.

Der Begriff der Fach- bzw. Unterrichtsmethodiken diente entsprechend auch als Ordnungskategorie für die Organisation von Planung und Forschung im Bereich der Unterrichtsfächer in den ‚pädagogischen Leitinstitutionen‘ (Stellenplan des DPZI, 1951). Diesen war die Zielstellung auferlegt, „der Schulpraxis theoretische Grundlagen und praktische Anleitung für einen wissenschaftlichen Unterricht zu liefern“ (APW, 1987, S. 255) und dabei die effektive Gestaltung des Unterrichts und die dafür notwendige Produktion von Unterrichtsmitteln und -medien zu gewährleisten. Orientierungspunkte bildeten dabei einschlägige Veröffentlichungen aus der Sowjetunion und eigene Ausarbeitungen. In der Rezeption von naheliegenden Bereichen der einzelnen universitären Fachwissenschaften, der Erziehungswissenschaft und der Pädagogischen Psychologie wurden internationale Trends bzw. transatlantische Konzepte aufgegriffen.

Ebenso wie die didaktische Forschung standen die Fachmethodiken in der Transformationszeit ab 1989 in öffentlicher Kritik, sie hätten sich von ideologischen Zielstellungen und dogmatischen Vorgaben zumindest vereinnahmen lassen (vgl. Fuhrmann, 1994, S. 269). DDR-Methodiker*innen betonen demgegenüber fachliche und wissenschaftliche Ansprüche in ihrer Arbeit ebenso wie die direkte Verpflichtung gegenüber den Lehramtsstudierenden.

Literatur

  • Drefenstedt, E./ Drews, U./ Jandt, C. (1976): Die didaktisch-methodische Konzeption des Lehrplanwerks und der Unterrichtsprozeß. In: Neuner, G. (Hrsg.): Allgemeinbildung. Lehrplanwerk. Unterricht. Berlin: Volk und Wissen, S. 102–144.

  • Fuhrmann, E. (1994): Didaktik und Unterrichtsforschung in der DDR – Was bleibt? [Symposion 8. Schule und Unterricht in Ost und West]. In: Benner, D. & Lenzen, W. (Hrsg): Bildung und Erziehung in Europa. Beiträge zum 14. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft vom 14.–16. März 1994 in der Universität Dortmund. Weinheim: Beltz, S. 269–272.

  • Laabs, H. J./ Dietrich, G./ Drefenstedt, E./ Günther, K.-H./ Heidrich, T./ Herrmann, A./ Kienitz, W./ Kühn, H./ Naumann, W./ Pruß, W./ Sonnschein-Werner, C./ Uhlig, G. (Hrsg.) (1987): Pädagogisches Wörterbuch. Berlin: Volk und Wissen.

  • Malycha, A. (2008): Die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR 1970–1990. Zur Geschichte einer Wisenschaftsinstitution im Kontext staatlicher Bildungspolitik. Leipzig: Akademische Verlagsanstalt.

  • Mader, O. (1959): Aufgaben der Unterrichtsmethodik beim Aufbau der allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule. In: Pädagogik 14, 5, S. 381– 386.

  • Stellenpläne des Deutschen Pädagogischen Zentralinstituts. Stellenplanüberwachungsliste Berlin und Zweigstellen 1949 – 1951 (1951): DIPF/BBF/Archiv, APW DPZI 1018.

Generationen lassen sich in dreierlei Hinsicht betrachten: So gibt es Generationen innerhalb von Familien, in pädagogischen Beziehungen und im historisch-gesellschaftlichen Sinne. Dabei bestehen familiäre Generationen auf Basis der Ahnenfolge und lassen sich als Kinder-, Eltern-, Großeltern und gegebenenfalls Urgroßelterngeneration beschreiben (vgl. Alexi, 2014). Generationen in pädagogischen Beziehungen umfassen in ihrem klassischen Verständnis eine vermittelnde, ältere Generation und eine aneignende, jüngere Generation. Neuere Theorien hierzu betonen inzwischen jedoch ein gegenseitiges Lernen zwischen den Generationen, sodass diese nicht mehr klar in eine vermittelnde und eine aneignende Generation voneinander abgegrenzt werden können (vgl. Ecarius, 2008).

Das historisch-gesellschaftliche Verständnis von Generationen basiert auf Ideen Karl Mannheims (1964) und beschreibt Generationen als Personengruppen, die aufgrund ihrer Geburtsjahrgänge und ihrer räumlichen Verortung ähnliche historische, kulturelle und soziale Erfahrungen gemacht haben und damit ähnliche Mentalitäten ausbilden. Im Kontext der deutschen Teilungsgeschichte haben Thomas Ahbe und Rainer Gries (2011) eine DDR-spezifische Generationensystematisierung vorgenommen. Sie umfasst die Geburtsjahrgänge 1893 bis 1986 und differenziert sechs verschiedene Generationen: Die Generation der misstrauischen Patriarchen (1893–1916), die Aufbau-Generation (Kernjahrgänge 1925–1934), die funktionierende Generation (Kernjahrgänge 1935–1945), die integrierte Generation (Kernjahrgänge 1949–1956), die entgrenzte Generation (Kernjahrgänge 1960–1972) und die Wende-Jugendlichen und -Kinder (1975–1986). Ausschlaggebend hierfür sind deren Erfahrungen in den jeweiligen politischen Systemen sowie in den miterlebten Entwicklungsprozessen der DDR.

Literatur

  • Ahbe, T. & Gries, R. (2011): Geschichte der Generationen in der DDR und in Ostdeutschland. 3. Aufl. Erfurt: Landeszentrale für politische Bildung.

  • Alexi, S. (2014): Kindheitsvorstellungen und generationale Ordnung. Leverkusen: Budrich.

  • Ecarius, J. (2008): Generation, Erziehung und Bildung. Eine Einführung. Stuttgart: Kohlhammer.

  • Mannheim, K. (1964): Das Problem der Generationen. In: Wolff, K. H. (Hrsg.): Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk. Berlin: Luchterhand, S. 509–613.

Ideell war das DDR-Gesundheitswesen orientiert am aus der Arbeiterbewegung hervorgegangenen Ziel des Abbaus bzw. der Beseitigung von „Ungleichheit vor Krankheit und Tod“ (Spree, 1981; zit. n. Braun, 2020). Dazu gehörten ein Ausgleich ungleicher Gesundheitsverhältnisse verschiedener Bevölkerungsgruppen, allgemeiner und unentgeltlicher Zugang zu Gesundheitsversorgung und eine umfassende Entkommerzialisierung des Gesundheitswesens (vgl. Süß, 1998). Es wurde eine einheitliche und umfangreiche Sozialversicherung etabliert, die Finanzierung und Zugang zu medizinischer Versorgung für alle Bürger*innen organisieren sollte. Neben der kurativen medizinischen Versorgung spielte dabei die Krankheitsprävention eine hervorgehobene Rolle, wie bspw. durch Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen (vgl. Ahrens, 2002, S. 42). Im Sinne der Prävention war ein deutlicher Ausbau des Gesundheitswesens in Form von Polikliniken und sog. Ambulatorien vorangetrieben worden (vgl. ebd.). Diese an die Sozialpolitik der Weimarer Republik anknüpfenden Einrichtungen spielten in der flächendeckenden Gesundheitsversorgung der Bevölkerung der DDR eine bedeutende Rolle und ihre Anzahl stieg kontinuierlich über die gesamte Dauer der DDR (vgl. Süß, 1998, S. 100).

Um „Struktur und Kosten des Gesundheitswesens auf gesetzlichem Wege in eine umfassende gesamtwirtschaftliche Planung einzuordnen“ (Ahrens, 2002, S. 42) wurde das Gesundheitswesen, zunächst durch eine in der Sowjetischen Besatzungszone etablierte Deutsche Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen und nach Gründung der DDR durch das Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen bzw. ab 1950 das Ministerium für Gesundheitswesen, zentral gesteuert. Dabei nahm das Ministerium eine Schanierfunktion zwischen den planenden, staatlichen Akteuren und staatlich geführten medizinischen Versorgungseinrichtungen ein. Das Schulpflichtgesetz verfügte ab 1950, dass „alle Bildungs- und Erziehungsfragen von Schwererziehbaren aus dem Sonderschulwesen ausgegliedert und den Organen für Jugendhilfe/Heimerziehung übertragen“ (Becker, 1984, S. 61) werden sollten. Anhand der durch die Gesetzgebung geltenden Trennlinie ‚bildungsfähig‘ bzw. ‚bildungsunfähig‘ wurden fortan Kinder und Jugendliche an das Gesundheits- und Sozialwesen delegiert und vom Volksbildungswesen ausgeschlossen (vgl. Hübner, 2000).

Vor dem Hintergrund einer scheinbar umfassenden, unentgeltlichen Gesundheitsversorgung gehört das Gesundheitswesen „zu den wenigen Gesellschaftsbereichen des SED-Staates, die bis heute mit einer Vielzahl positiver Bewertungen und Konnotationen belegt werden“ (Braun, 2020, S. 352–354). Diese allgemeinen Einschätzungen werden von konkreten Analysen konterkariert, in denen kritische Befunde zum Gesundheitswesen ausgewiesen werden. Dabei wird hervorgehoben, dass die pharmazeutische Versorgung häufig ungenügend und vielfach auf Basis sog. „Nachentwicklungen“ im Westen erhältlicher Präparate aufgebaut war (Braun, 2020) und dass entgegen der vermeintlichen Gleichbehandlung eine geheime Sonderversorgung von politischen Funktionären stattfand (ebd.). Insbesondere wird eine Nähe zu sozialutilitaristischen Ideen im Sinne einer Sozialhygiene kritisiert, nach denen die Gesundheit des ‚Volkes‘ bzw. der ‚Volkswirtschaft‘ und eine Steigerung von Leistungsfähigkeit die eigentlichen Ziele der Gesundheitspolitik der DDR gewesen seien (vgl. Süß, 1998; Ahrens, 2002).

Literatur

  • Ahrens, R. (2002): Planwirtschaft, Prävention und Effizienz. Zur Wirtschaftsgeschichte des Gesundheitswesens in der Sowjetischen Besatzungszone und frühen DDR. In: Schagen, U. & Schleiermacher, S. (Hrsg.): Sozialmedizin, Sozialhygiene und Public Health. Konzepte und Visionen zum Verhältnis von Medizin und Gesellschaft in historischer Perspektive. Berlin: Forschungsstelle Zeitgeschichte im Institut für Geschichte der Medizin, S. 41–52.

  • Becker, K.-P. & Autor*innenkollektiv (1984): Rehabilitationspädagogik. 2. erw. Aufl. Berlin: Volk und Wissen.

  • Braun, J. (2020): Politische Medizin. Ideologie und Gesundheitsökonomie im SED-Staat der 1950er- und 1960er-Jahre. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 17, 2, S. 349–361.

  • Hübner, R. (2000): Die Rehabilitationspädagogik in der DDR. Zur Entwicklung einer Profession. Frankfurt a.M.: Lang.

  • Süß, W. (1998): Gesundheitspolitik. In: Hockerts, H.-G. (Hrsg.): Drei Wege deutscher Sozialstaatlichkeit. NS-Diktatur, Bundesrepublik und DDR im Vergleich. München: R. Oldenbourg, S. 54–100.

Der Begriff der Ideologie, wie er in der DDR verwendet wurde, unterschied sich explizit von anderen, etwa wissenssoziologischen Fassungen des Begriffs (etwa von Karl Mannheim) und fußte auf den Überlegungen von Marx und Engels zur Deutschen Ideologie (MEW 3), wo diese zuerst die Ideen und Weltanschauungen von Menschen mit den gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen sie leben und ihrer Stellung in den gesellschaftlichen Verhältnissen, in Verbindung brachten. Ganz allgemein gesprochen wurde Ideologie in der DDR gefasst als ein „System der gesellschaftlichen (politischen, ökonomischen, rechtlichen, pädagogischen, künstlerischen, moralischen, philosophischen u.a.) Anschauungen, die bestimmte Klasseninteressen zum Ausdruck bringen und entsprechende Verhaltensnormen, Einstellungen und Wertungen einschließen“ (Philosophisches Wörterbuch, Bd. 1, S. 546).

Nach dem historischen Materialismus – als solchen charakterisierten Karl Marx und Friedrich Engels ihre Geschichtsauffassung – gebe es eine durch die Entwicklung der ‚Produktivkräfte‘ vorangetriebene, gesetzmäßige Abfolge unterschiedlicher ‚Produktionsverhältnisse‘ in verschiedenen Gesellschaftsformationen. Es wird davon ausgegangen, dass das Bewusstsein die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen die Träger des Bewusstsein leben, eben deren gesellschaftliches Sein, widerspiegele. In einer Klassengesellschaft, wie etwa im Kapitalismus, existieren unterschiedliche Klassen von Menschen, die eben je verschiedene Positionen in den ökonomischen Verhältnissen einnehmen – im Kapitalismus die Klasse der Lohnarbeiter und die der Bourgeoisie, der Kapitalbesitzer. Ihre jeweiligen Sichtweisen auf die Welt, die durch ihre ökonomisch-gesellschaftliche Position bestimmt sind, werden dann als eine Klassenideologie verstanden. Die Gesamtheit der Anschauungen und Interessen einer Klasse ist Widerspiegelung der gesellschaftlichen Lage der Mitglieder der Klasse.

Problematisch ist nun – der marxistischen Position folgend – nicht die Tatsache eines gesellschaftlich bestimmten und partikularen Bewusstseins, sondern diejenige Ideologie, die ein partikulares Interesse zum Interesse aller erkläre: die Ideen der herrschenden Bourgeoisie, die bürgerliche Ideologie. Durch die Trennung der Arbeit in geistige Arbeit (der herrschenden Klasse) und körperliche Arbeit (der ausgebeuteten Klasse) verselbstständige sich das Bewusstsein und verschleiere so die ‚objektiven Verhältnisse‘, die materielle Praxis. Die Arbeiterklasse, die den Kapitalismus zu überwinden helfe, besitze aufgrund ihrer ‚objektiven Stellung‘ in der Gesellschaft eine Ideologie, die als ‚wahrhaft wissenschaftlich‘ angesehen werden könne. Der Antagonismus von bürgerlicher und sozialistischer Ideologie wurde als ‚unversöhnlicher Kampf‘ gesehen, bei dem eine Schwächung der einen Seite eine zwangsläufige Stärkung der jeweils anderen bedeutete.

Sozialistische Ideologie wurde so zur Sache eines/einer jeden: Man hatte parteilich mit der Arbeiterklasse und ihren Interessen zu sein, die bürgerliche Ideologie zu bekämpfen sowie sich für den Aufbau von Sozialismus und Kommunismus einzusetzen. Auf Basis dieses Verständnisses einer notwendig auszubildenden Ideologie wurde ideologische Bildung zu einem wichtigen Erziehungsziel in der DDR. Ziel war die Ausbildung einer ‚allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeit‘, deren Fähigkeiten und Kenntnisse eng mit der ‚wahrhaft wissenschaftlichen‘ Ideologie der Arbeiterklasse verbunden sein sollten (vgl. Neuner, 1973).

Literatur

  • Klaus, G. & Buhr, M. (1976): Ideologie. In: Klaus, G. & Buhr, M. (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. Bd. 1. 12. Aufl. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, S. 546–548.

  • Marx, K. & Engels, F. (1978): Werke. Bd. 3. Hrsg. v. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Berlin: Dietz Verlag.

  • Neuner, G. (1973): Zur Theorie der sozialistischen Allgemeinbildung. Hrsg. v. Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR. Berlin: Volk und Wissen.

Unter Kalter Krieg wird nicht ein Krieg im klassischen Sinne verstanden, sondern eine spannungsreiche Weltlage, die die Weltgeschichte zwischen 1945 und 1991 maßgeblich bestimmte. Dabei rivalisierten zwei Militärallianzen, die für unterschiedliche Gesellschaftssysteme standen: zum einen die westliche Staatengemeinschaft unter der Führung der Vereinigten Staaten, die sich seit dem Jahr 1949 in dem Nordatlantischen Militärbündnis North Atlantic Treaty Organisation (NATO) versammelte; zum anderen die sozialistische Staatengemeinschaft, die sich 1955 vertraglich als Reaktion auf die NATO-Gründung konstituierte. Beide militärischen Bündnisse rivalisierten offen auf der Weltbühne. Erste Spannungen waren bereits bei der Blockade Berlins durch die Sowjetunion 1948/49 entstanden. Obwohl dieser Krieg „kalt“ in dem Sinne war, dass die Waffen der NATO und des Warschauer Pakts nicht direkt „heiß“ wurden, also, nicht direkt eingesetzt wurden, bestimmte diese Rivalität eine ganze Reihe von sog. stellvertretenden Konflikten, bspw. den Koreakrieg (1950/53) und den Vietnamkrieg (1955/75). Die Staatsgründung der DDR im Oktober 1949 stand im Zeichen der entstehenden Spannungen zwischen diesen sich noch formierenden Staatengemeinschaften und geschah in klarer Abgrenzung von den Militärbündnissen der BRD. Eine Trennlinie – auch „eiserner Vorhang“ genannt – verlief in Europa zwischen den westlichen und den sozialistischen Ländern. Diese Trennlinie, zunächst als innerdeutsche Grenze gesetzlich festgelegt, materialisierte sich ab 1961 auch physisch in Form einer Mauer durch das Land. Die Systemkonkurrenz der Staatengemeinschaften und Gesellschaftssysteme prägte auch die Politik im Inneren der DDR.

Literatur

  • Leffler, M. P. & Westad, O. A. (Hrsg.) (2010): The Cambridge History of the Cold War. Cambridge: Cambridge University Press.

  • Stöver, B. (2007): Der Kalte Krieg, 1947–1991. Geschichte eines radikalen Zeitalters. München: Beck.

Das Kollektiv galt als „typische soziale Lebensform“, als „sozialer Organismus“ (Laabs et al., 1987, S. 202f.) im Sozialismus. Bereits im Zuge der ‚Tendenzwende‘ 1948/49 löste der Begriff des Kollektivs in den Veröffentlichungen der Verantwortlichen in der SBZ den bis dahin im pädagogischen Diskurs gängigen Begriff der Gemeinschaft ab. Einer sachlichen, begrifflichen Auseinandersetzung bedurfte die semantische Ersetzung scheinbar nicht. Die Begriffe unterschieden sich entsprechend nur marginal: Während „Gemeinschaft“ eine „soziale Qualität der gesellschaftlichen Vereinigung von Menschen“ beschrieb (Klaus & Buhr, 1976, S. 449f.), war „Kollektiv“ selbst nicht definiert, wohl aber der „Kollektivbegriff“, der eine „geordnete Gesamtheit“ von Gegenständen oder Individuen beschrieb (ebd., S. 639f.). Vor dem Hintergrund marxistisch-leninistischer Interpretationen der Gesellschaft galt die „menschliche Persönlichkeit weder [als] fatalistisches Produkt der Gemeinschaft [...] noch Mittel übergeordneter sozialer Ganzheiten, sondern [als] Subjekt der sozialen Beziehungen, Träger sozialer Funktionen in einer ganz bestimmten sozialökonomischen Struktur der Gesellschaft“ (Neuner, 1975, S. 37). Diese Auffassung eines „sozialistischen Kollektivismus“ galt als „Wesensmerkmal der gesellschaftlich-sozialen Beziehungen“ (ebd.) und war damit semantisch fast deckungsgleich mit dem oben genannten Begriff der Gemeinschaft, nur sozialistisch spezifiziert. Maßgeblich trug die Propagierung und Aneignung der ‚Sowjetpädagogik‘ dazu bei, den Begriff des Kollektivs in der pädagogischen Fachsprache zu etablieren und den Begriff der Gemeinschaft auf den Terminus Gruppe zu reduzieren (Laabs et al., 1987, S. 145, 162).

Idealerweise fungierten Kollektivmitglieder als kollektive Interessenvertreter*innen und handelten entsprechend. Die Entwicklung der Individuen zu Persönlichkeiten galt dabei als untrennbarer Bestandteil kollektiver Vervollkommnungsprozesse. Mit dem Beginn der Rezeption der Schriften Makarenkos in der Sowjetunion eine Dekade nach dessen Tod und der Herausgabe seiner Werke in deutscher Übersetzung galt Makarenko auch in der DDR als Klassiker sozialistischer Kollektivpädagogik, mithin die in seinen Schriften überlieferten pädagogischen Erfahrungen als lehrreich und vorbildlich für die Praxis sozialistischer Erziehung. Gleichwohl blieb die erziehungswissenschaftliche Beschäftigung mit Makarenko randständig. Die Idee, Makarenkos Erziehungsverständnis als reformpädagogische Variante zu interpretieren, wurde erst sehr spät vor dem Ende der DDR diskutiert.

Literatur

  • Laabs, H. J./ Dietrich, G./ Drefenstedt, E./ Günther, K.-H./ Heidrich, T./ Herrmann, A./ Kienitz, W./ Kühn, H./ Naumann, W./ Pruß, W./ Sonnschein-Werner, C./ Uhlig, G. (Hrsg.) (1987): Pädagogisches Wörterbuch. Berlin: Volk und Wissen.

  • Neuner, G. (1975): Zur Theorie der sozialistischen Allgemeinbildung. 3. Aufl. Hrsg. v. Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR. Berlin: Volk und Wissen.

  • Tenorth, H.-E. & Wiegmann, U. (2022): Pädagogische Wissenschaft in der DDR. Ideologieproduktion, Systemreflexion und Erziehungsforschung. Studien zu einem vernachlässigten Thema der Disziplingeschichte deutscher Pädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Bei der Kollektivbiografie handelt es sich um eine sozial- und geschichtswissenschaftliche Methode, in der die Rekonstruktion des Werdegangs eines Kollektivs im Zentrum steht. Diese Rekonstruktion greift zwar auf den auf Individuen bezogenen Begriff der „Biographie“ zurück, geht aber stärker von einer Einbettung des Individuums in geteilte Erfahrungen eines Kollektivs aus. Damit antwortet sie auf eine Kritik, die gegen die Biographieforschung vorgetragen wird: Sie würde eine Heroisierung des Individuellen Vorschub leisten. Der Ansatz der Rekonstruktion von Kollektivbiographien wird seit den 1970er-Jahren in England verfolgt und wurde im deutschsprachigen Raum in den 1980er-Jahren weiterentwickelt. Während die in der Altertumswissenschaft und Mediävistik bekannte Prosopographie die systematische Rekonstruktion eines durch geteilten Raum bzw. geteilte Zeit oder gemeinsame Funktion definierten Personenkreises im Blick hat und entsprechende Personenverzeichnisse aufstellt, entwickelt die Methode der Kollektivbiographie den Begriff des Kollektivs auf Basis relevanter gemeinsamer Merkmale und versucht, vergleichende sowie interaktive Aspekte individueller Biographien einer Gruppe herauszuarbeiten. Kollektivbiographische Forschungen kontextualisieren somit in stärkerem Maße und erfordern eine breitere Datenlage und -dichte als die Prosopographie.

Literatur

  • Groppe, C. (2016): Die preußischen Reformer. Konzept und Fragestellungen einer kollektivbiographischen Analyse. In: Bios 29, 2, S. 192–207.

  • Schröder, W. H. (2011): Kollektivbiographie: Spurensuche, Gegenstand, Forschungsstrategie. In: Historical Social Research / Historische Sozialforschung, Supplement 23, S. 74–152. (Abruf 14.05.2024: https://www.ssoar.info/ssoar/b...).

1946 erklärte der Erziehungswissenschaftler Robert Alt Erziehung als „Funktion“ und „Daseinsform“ der Gesellschaft sowie als Aufgabe im „Gesamtkomplex sozialen Lebens“ (Alt 1975, S. 68 f.). Angesichts dieser in der ‚marxistisch-leninistischen Pädagogik‘ der DDR akzeptierten Auffassung einerseits und der komplizierten gesellschaftlichen Situation in den ersten Jahren nach der DDR-Gründung andererseits erzeugte der 1952 erfolgte Beschluss der SED-Führung, sofort damit zu beginnen, die Grundlagen des Sozialismus aufzubauen, Unverständnis und Ablehnung in breiten Kreisen der Bevölkerung. In diesem Zuge wurde das in den 1940er Jahre formulierte Ziel einer „demokratischen Schulreform“ von der Aufgabe abgelöst, ‚allseitig entwickelte sozialistische Persönlichkeiten‘ zu bilden und zu erziehen. Dieses Vorhaben geriet auch nicht auf den Prüfstand, als nach Auffassung der SED ein ‚umfassender Aufbau‘ des Sozialismus erfolgt war und nach dem Mauerbau die Gestaltung einer entwickelten sozialistischen Gesellschaft propagiert wurde. Kommunistische Erziehung blieb bis Anfang der 1970er Jahre Bestandteil eines in fernen Zeiten erwarteten Überganges zu wirklich menschlichen Daseinsbedingungen bzw. eines erwarteten „Sprung[es] der Menschheit aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit“ (Engels 1962, S. 264), in diesem Sinne einer Überflussgesellschaft, in der „vollseitig“ (Marx 1962, S. 508) entwickelte Individuen ihr Leben nach Maßgabe eigener Fähigkeiten und Bedürfnisse gestalten würden. Angesichts einer der UdSSR zuerkannten menschheitsgeschichtlichen Vorreiterrolle und unabhängig von der dort herrschenden gesellschaftlichen Realität und der Entwicklung institutionalisierter Erziehung und Bildung galt kommunistische Erziehung zudem als Privileg der Sowjetunion. 1972 irritierte die Volksbildungsministerin Margot Honecker dann allerdings damit, dass sie kraft ihres Amtes die kommunistische Erziehung kurzerhand zur Hauptaufgabe für die kommenden Jahre erklärte. Was unter kommunistischer Erziehung verstanden werden sollte, war unklar. Für Margot Honecker war sie im Wesentlichen Erziehung zur kommunistischen Moral. Vor dem Hintergrund des administrativen Auftrags, das Wesen kommunistischer Erziehung zu entschlüsseln, entwickelte sich eine rege erziehungswissenschaftliche Forschung. Sie blieb jedoch ergebnislos und mündete in einen weitgehend intern ausgetragenen Konflikt zwischen zunehmend selbstbewusst agierenden pädagogischen Wissenschaftlern und der übergeordneten Volksbildungsadministration.

Literatur

  • Alt, R. (1975): Zur gesellschaftlichen Begründung der neuen Schule. In: Alt, R. (Hrsg.): Erziehung und Gesellschaft. Pädagogische Schriften. Berlin: Volk und Wissen, S. 68–85.

  • Engels, F. (1962): Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft. („Anti-Dühring“). In: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hrsg): Werke, Bd. 20. Berlin: Dietz Verlag, S. 1–303.

  • Günther, K.-H. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1978): Quellen zur Geschichte der Erziehung. 8. Aufl. Berlin: Volk und Wissen.

  • Honecker, M. (1986): Zur Bildungspolitik und Pädagogik in der Deutschen Demokratischen Republik. Ausgewählte Reden und Schriften. Berlin: Volk und Wissen.

  • Marx, K. (1962): Das Kapital. Erster Band. In: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hrsg): Werke, Bd. 23. Berlin: Dietz Verlag, S. 504–530.

  • Tenorth, H.-E. & Wiegmann, U. (2022): Pädagogische Wissenschaft in der DDR. Ideologieproduktion, Systemreflexion und Erziehungsforschung. Studien zu einem vernachlässigten Thema der Disziplingeschichte deutscher Pädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Die ‚Lebensverbundenheit‘ beschrieb in der DDR ein allgemeindidaktisches „Prinzip“, das bei der Planung von Lehrplänen und methodischen Vorgaben vor allem im Verlauf der 1970er-Jahre eine immer größere Rolle spielte. Im pädagogischen Wörterbuch, herausgegeben von der Akademie der pädagogischen Wissenschaften der DDR, wurde der Terminus gefasst als „die Beziehungen eines Bildungssystems, eines Erziehungs- oder Unterrichtsprozesses, zum gesellschaftlichen Leben“ (APW, 1987b, S. 223). Die Nutzung des Begriffes verweist einerseits auf Problemerhebungen, die die Schwierigkeiten einer ineffektiven, ‚szientifischen‘ Ausrichtung der Unterrichtspraxis zu adressieren suchten. Im Zuge der angespannten wirtschaftlichen Lage und des sich verschärfenden Fachkräftemangels galt es andererseits, Wissen zu sichern und anwendbar zu machen.

Mit der Vorgabe der Lebensverbundenheit wurden vorrangig Anforderungen an Lehrkräfte gestellt, in ihrem Unterricht zu bestimmten Fähigkeiten und Einstellungen zu erziehen, da „es von den erzieherischen Kräften fordert, die zu erziehenden auf die Erfordernisse der gesellschaftlichen Praxis vorzubereiten“ (APW, 1987b, S. 223). Allgemeine geistige Fähigkeiten, Flexibilität sowie ein tieferes Verständnis der Unterrichtsinhalte sollten entwickelt werden, selbstständige Problemlösungsfähigkeiten sollten stärker gefördert werden, um insgesamt zu einer erfolgreichen ‚Lebenspraxis‘ beizutragen.

Nach den Vorgaben marxistisch-leninistischer Theorie war mit „Lebenspraxis“ dabei dezidiert die gesellschaftspolitisch konnotierte Lebenspraxis gemeint, wie sie im propagierten Sozialismus zu sein bzw. zu erscheinen hatte (APW 1987a, 305): das „sozialistische Leben“ (Drefenstedt, Drews, Jandt, 1976, S. 126). Es handelte sich dabei nicht zwingend um eine – möglicherweise problembehaftete – reale Lebenswelt von Jugendlichen und Schüler*innen, war aufgrund dieser Implikationen also nicht deckungsgleich mit dem Terminus der „Lebensnähe“ zu verstehen. Der Bezug von Unterricht zu Bedarfen des Wirtschaftssystems unter dem Konzept der Polytechnik, der Fokus auf Kinder und Jugendorganisationen als Ort der Freizeitgestaltung und der umfassenden Anspruch gesellschaftspolitischer Erziehung im Unterricht wird dabei deutlich(APW, 1987b S. 223), Lebensverbundenheit steht so in Verbindung mit der ‚Wissenschaftlichkeit des Unterrichts ‘ und der ‚Parteilichkeit ‘.

Literatur

  • APW (1987a): Allgemeinbildung und Lehrplanwerk. Ausgearbeitet von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Gerhart Neuner. Berlin: Volk und Wissen.

  • APW (1987b): Pädagogisches Wörterbuch. Herausgegeben von einem Autorenkollektiv unter der Leitung von Laabs, H. J./ Dietrich, G./ Drefenstedt, E./ Günther, K./ Heidrich, T./ Herrmann, A/ Kienitz, W./ Kühn, H./ Naumann, W./ Pruß, W./ Uhlig, G. Berlin: Volk und Wissen.

  • Drefenstedt, E./ Drews, U./ Jandt, C. (1976): Die didaktisch-methodische Konzeption des Lehrplanwerks und der Unterrichtsprozeß. In: Neuner, G. (Hrsg.): Allgemeinbildung. Lehrplanwerk. Unterricht. Berlin: Volk und Wissen, S. 102–144.

Lehrerbildung in der DDR war ein politisches Großprojekt der Regierungspartei (SED) und des Ministerrats des Ministeriums für Volksbildung und bis zum Ende der 1980er-Jahre Gegenstand von Expansion und Reformvorhaben. Dabei lassen sich grob zwei Phasen bildungshistorisch verfolgen. Ab Mitte der 1940er-Jahre bis weit in die 1950er-Jahre hinein stand die Lehrerbildung zunächst offiziell im Dienst des Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaft (Gemeinsamer Aufruf der KPD und SPD zur demokratischen Schulreform, 1945, zit. nach Baske, 1998, S. 161). Dabei ging ein wortwörtlicher Auf- und Ausbau von Gebäuden der Bildungsinstitutionen sowie eine von „nazistischen und militaristischen Elementen gesäuberte“ Neuausrichtung der Lehrerausbildung einher mit der Akquise und Berufsbefähigung von Lehrpersonal im großen Stil (ebd.). Dem Mangel an geeignetem Personal wurde mit der Absicht des raschen Aufbaus eines hochdifferenzierten Ausbildungssystems begegnet. Mit einer Serie von SED-Beschlüssen Anfang der 1950er-Jahre wurde der ursprüngliche Plan, der ein Universitätsstudium für alle Lehrer vorgesehen und schon in den 1940er Jahren zur Einrichtung von Pädagogischen Fakultäten geführt hatte, aufgegeben und die Lehrerausbildung entsprechend sowjetischen Vorbilds nach dem Stufensystem der Bildungseinrichtungen differenziert. Es wurden gesonderte Ausbildungseinrichtungen und Kurrikula für Unter-, Mittel- und Oberstufenlehrer*innen geschaffen, wobei lediglich letztere an Hochschulen und Universitäten ausgebildet wurden.

Die zweite Phase der Lehrerbildung begann Ende der 1950er-Jahre mit Verabschiedung des Schulgesetzes (1959) und zog sich über die Konzeption des polytechnischen Unterrichts und der polytechnischen Schule und das „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ 1965 bis in die 1980er-Jahre (vgl. Schmidt, 1986). Bisher hatte der Fokus der Steuerungspolitik auf der grundständigen Allokation geeigneter Bewerber*innen in den Lehrberuf gelegen. Vor dem Hintergrund bildungspolitischer Absichten, Unterricht und Bildung (natur-)wissenschaftlich informierter und lebensnaher zu gestalten, verschob sich dieser Fokus nun auf umfassendere Reformen. Für die Lehrerbildung bedeutete dies die Weiterbildung bestehenden Personals sowie gesteigerte Förderung und Wertschöpfung von Erkenntnissen aus wissenschaftlichen Studien zur Effizienz der pädagogischen Tätigkeit. Die Pädagogische Wissenschaft der DDR brachte hierfür eigene Forschungseinrichtungen hervor, die breit angelegte Untersuchungen zur Lehrerbildung durchführten. Dabei wurden in der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften (APW) und im Deutschen Pädagogischen Zentralinstitut (DPZI) häufig eigene wissenschaftliche Disziplinzweige und dazugehörige Verwaltungsstrukturen geschaffen.

Literatur

  • Baske, S. (1998): Allgemeinbildende Schulen. In: Führ, C. & Furck, C.-L. (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2, 1945 bis zur Gegenwart. München: Beck, S. 159–201.

  • Richter, W. (2018): Die Lehrerbildung in der DDR. Eine Sammlung der wichtigsten Dokumente und gesetzlichen Bestimmungen für die Ausbildung der Lehrer, Erzieher und Kindergärtnerinnen. 2. Aufl. Berlin: Volk und Wissen. (Abruf 24.02.2024: https://www.db-thueringen.de/r...).

  • Schmidt, G. (1986): Lehrerbildung in der DDR: Aspekte einer Umgestaltung in den achtziger Jahren. In: Dilger, B./ Kuebart, F./ Schaefer, H.-P. (Hrsg.): Vergleichende Bildungsforschung. DDR, Osteuropa und interkulturelle Perspektiven. Festschrift für Oskar Anweiler zum 60. Geburtstag. Berlin: Berlin-Verlag Arno Spitz, S. 277–289.

  • Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem (1965). (Abruf 22.04.2024: https://ghdi.ghi-dc.org/sub_do...).

Die Wortschöpfung bezeichnete die vorgeblich von Karl Marx und Friedrich Engels begründete und von Lenin (und bis 1956 von Stalin) und weiteren politisch und weltanschaulich (zeitweilig) akzeptierten Theoretikern der Arbeiterbewegung weiterentwickelte „einzig wissenschaftliche“ (Eichhorn 1969 I) materialistische Lehre und Welterklärung. Sie diente als theoretische Grundlage für den Kampf der Arbeiterklasse bis zum globalen (Marx) oder zunächst nationalen (Lenin) Sieg unter Führung von revolutionären Parteien der Arbeiterklasse, der es dann – so die Überzeugung – erlaubte, einen Sozialismus aufzubauen und anschließend den Kommunismus zu erreichen. Der Marxismus-Leninismus umfasste dem eigenen Verständnis nach den „philosophischen“ bzw. „historischen und dialektischen“ Materialismus, die „politische Ökonomie“ und die Lehre vom „wissenschaftlichen Kommunismus“. Der Begriff setzte sich seit den 1920er Jahren in der Sowjetunion für die weltanschauliche Lehre der Kommunistischen Partei (in der Sowjetunion also der KPdSU/Bolschewiki) und weiterer nationaler „revolutionärer“ Arbeiterparteien bzw. „Parteien neuen Typs“ als Programm und Ideologie (im Sinne einer weltanschaulichen Lehre) durch. Er diente damit auch der Abgrenzung zu programmatisch und weltanschaulich abweichenden und konkurrierenden Arbeiterparteien. Der Marxismus-Leninismus als Ideologie und Programm nationaler Parteien mit Führungsanspruch in allen gesellschaftlichen Belangen verkürzte und verdichtete die Auffassungen insbesondere von Marx, Engels und Lenin zum weltanschaulichen Dogma ebenso, wie er sich teilweise in Widerspruch zu ihren Werken setzte, gegensätzliche Auffassungen überging oder glättete. Nach der sogenannten Errichtung einer „Diktatur des Proletariats“ in den Staaten des von der Sowjetunion geführten Blocks avancierte der Marxismus-Leninismus zur herrschenden „parteilichen“ Weltanschauung. Er durchdrang alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und bildete die weltanschauliche Grundlage der Lehrinhalte in allen Teilen des DDR-Bildungssystems.

Literatur

  • Eichhorn I. W. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1969): Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie. Berlin: Dietz Verlag, S. 431–441.

  • Klaus, G. & Buhr, M. (Hrsg.) (1975): Philosophisches Wörterbuch. 2 Bde. 11. Aufl. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts.

  • Schütz, G. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1988): Kleines politisches Wörterbuch. 7. Aufl. Berlin: Dietz Verlag.

Ein Mythos bzw. Mythen sind dem Alltagsverständnis bzw. dem Alltagsgebrauch folgend unwahre Erzählungen über die Welt, ihre Anfänge und Entwicklungen oder auch einfach nur hartnäckig bestehende, falsche Geschichten über in einer Gesellschaft oder Gemeinschaft bedeutungsvolle Ereignisse. Dabei wird zumeist davon ausgegangen, dass es sie, also ihre Unwahrheit, in einer kritischen Haltung zu entlarven gilt. Demgegenüber steht ein in den verschiedenen Geistes- und Kulturwissenschaften genutzter analytischer Begriff des Mythos, der als eine Art Heuristik in der Untersuchung gesellschaftlich bedeutsamer Erzählungen dienen kann (vgl. Segal, 2015). Segal schlägt – angesichts der verschiedenen Aspekte, die von unterschiedlichen Theoretiker*innen und in den verschiedenen Disziplinen für den Mythenbegriff in Anschlag gebracht werden – vor, ein nicht-rigides, also nicht eng an mehrere gleichzeitig auftretende Merkmalsausprägungen gebundenes Konzept von Mythos zu entwickeln (Segal, 2015, S. 3ff.). Mythen sind in diesem Sinne zunächst rudimentäre Erzählungen, haben einen Anfang und ein Ende. Das in ihnen zur Gestaltung kommende, zeitlich sich erstreckende Geschehen entwickelt sich um Hauptfiguren herum, oft in bestimmten Personenkonstellationen. Mythen bestehen also oft aus einer wiederkehrenden Konfiguration von Akteuren und Handlungen. Die Inhalte stellen etwas für die Einzelnen und eine bestimmte Gruppe Bedeutsames dar und entwickeln für eine größere Gruppe von Akteuren Sinn, stiften Identität und erfüllen damit auch soziale Funktionen, z.B. solche der Komplexitätsreduktion und der Legitimation. Mit dem Mythos vermittelt sind starke Überzeugungen oder gar eine Art Glaube an spezifische Deutungen. Der Mythos entfaltet eine bestimmte Macht über diejenigen, die an ihn glauben. Mit Roland Barthes, einem der bekannteren Mythentheoretiker, kann darüberhinausgehend Mythos als eine Darstellungsweise bestimmt werden, die an die Deutungen appelliert, die in einem kulturellen Kontext als vorausgesetzte oder unterstellte Hintergrundüberzeugungen enthalten sind. Er bezeichnet daher den Mythos als sekundäres Deutungsmuster bzw. als eine Rhetorik der ‚entwendeten Rede‘ (Barthes, 2012, S. 273). Die so charakterisierte Funktionsweise des Mythos kann entziffert werden und die ‚Mythologie‘ wird so zu einem Instrument der Gegenwartskritik. Barthes zeigt im Detail auf, wie Geschichte, geschichtliche Gewordenheit in den ‚Mythen des Alltags‘ ‚naturalisiert‘, in Natur verwandelt wird und damit so wenig wandelbar erscheint wie der Mythos der Rationalität keine Alternativen zulässt (vgl. Hericks, 2017).

Literatur

  • Barthes, R. (1964): Mythen des Alltags. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

  • Hericks, K. K. (2017): Rationalitätsmythos – ein Konzept. In: Kirchner S./ Krüger, A. K./ Meier, F./ Meyer, U. (Hrsg.): Institution – Organisation – Gesellschaft, Nano-Papers 4. München: Technische Universität München.

  • Segal, R.A. (2015): Myth. A very short introduction. 2. Aufl. Oxford: Oxford University Press.

Die Pädagogischen Kongresse der DDR waren ein wichtiges Format für die fachpolitische Auseinandersetzung, damit auch ein zentrales Instrument der politischen Steuerung des Bildungswesens der DDR (-->Volksbildungswesen). Auch in anderen Fachrichtungen, wie Philosophie, Soziologie, Geschichtswissenschaften u.a. wurden ähnliche Kongresse abgehalten. Der I. bis IV. Pädagogische Kongress fanden noch vor der Gründung der DDR sowie jährlich statt und wurden durch die von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) eingerichtete Zentralverwaltung für Volksbildung organisiert. Nach der Staatsgründung, ab dem 01. Januar 1950, wurden die insgesamt fünf weiteren – nun nicht mehr jährlich, sondern in weitaus größeren Zeitabständen stattfindenden – Kongresse (V. in 1956, VI. in 1961, VII. in 1970, VIII. in 1978 und schließlich IX. in 1989) durch das neu gebildete Ministerium für Volksbildung unter Einbindung verschiedener Kommissionen des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (ZK der SED) organisiert. Eingeladen waren zumeist Vertreter*innen der verschiedenen fachpolitischen Abteilungen des Ministeriums für Volksbildung sowie des ZK der SED, Wissenschaftler*innen der größten außeruniversitären Institutionen für die wissenschaftliche Pädagogik (-->Pädagogische Leitinstitutionen), aber auch von Universitäten und Hochschulen sowie Vertreter*innen der pädagogischen Praxis, wie Lehrkräfte, Erzieher*innen, Direktor*innen und Schulfunktionäre. Inhaltlich standen jeweils fachpolitisch aktuelle Fragen im Fokus der Auseinandersetzung. Anhand der Programme sind verschiedene bildungspolitische und pädagogische Zielsetzungen abzulesen, so z.B. Vorgaben für die Lehrerbildung, Jugendpolitik, Verbesserung der Verwaltungsarbeit, die theoretische und praktische Ausrichtung an der Sowjetpädagogik (-->Sowjetpädagogik) oder auch die Entwicklung und Durchsetzung des Polytechnischen Unterrichts (-->Polytechnischer Unterricht).

Das Programm der Kongresse bestand aus Vorträgen und Referaten sowie Arbeitsgruppen und sogenannten Rundtischgesprächen. Ergebnisse der Arbeit waren meist Erörterungen, Berichte und v.a. Beschlüsse zur weiteren Ausrichtung der fachpolitischen Arbeit. Dass die Pädagogischen Kongresse ein wichtiges Instrument der Steuerungspolitik waren, zeigt sich einerseits an den Vorgaben für die inhaltlichen Auseinandersetzungen durch Zentralverwaltung bzw. Ministerium für Volksbildung, die meist in einem Bezug zu den folgenden Fünfjahrplänen und realen politischen Problemen standen, andererseits aber auch in der z.T. intensiven Planung, inhaltlichen Vorbereitung und Organisation der Kongresse in Bezug auf Ablauf, Redebeiträge und die Zusammensetzung der Teilnehmenden. Ein besonders eindrückliches Beispiel hierfür ist der IX. und letzte Pädagogische Kongress vom 12. bis 16. Juni 1989, in dessen Vorbereitung ein „Drehbuch“ bzw. Regie- und Zeitplan entwickelt wurde, in denen sogar „Zeitpunkt und Dauer der Beifallsbekundungen“ geplant waren (Kaack 1993, S. 91; siehe auch Akten zum IX. Pädagogischen Kongress im Bundesarchiv, 1989).

Literatur

  • Akten zu Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der Pädagogischen Kongresse (1989): Bundesarchiv, BArch, DR 2/10849.

  • Baske, S. (1998): Allgemeinbildende Schulen. In: Führ, C. & Furck, C.-L. (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2, 1945 bis zur Gegenwart. München: Beck, S. 159–201.

  • Baske, S. & Engelbert, M. (Hrsg.) (1966): Zwei Jahrzehnte Bildungspolitik in der Sowjetzone Deutschlands. Dokumente. Erster Teil 1945 bis 1958. Berlin: Hildebrandt & Stephan.

  • Kaack, H. (1993): Reform im Wartestand. Die Bildungspolitik der DDR vor der Wende. In: Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 30, S. 89–101.

In Beiträgen zur DDR-Bildungsgeschichte werden das Deutsche Pädagogische Zentralinstitut (DPZI) und auch die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR (APW) oft als Leiteinrichtung (vgl. Eichler & Uhlig, 1993, S. 118; Malycha, 2009, S.171) oder Leitinstitution (vgl. Zabel, 2009, 88; Tenorth, 2017, S. 207) bezeichnet. Dieser Ausdruck verweist auf die zentralisierte staatliche Ausrichtung und den funktionalen Anspruch beider Einrichtungen, die dem Ministerium für Volksbildung (MfV) direkt unterstellt waren und nach den Beschlüssen des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (ZK der SED) operierten. Von diesen Stellen bekamen sie Aufgaben für die Bildungsforschung und -planung, Konzeption von Lehrmitteln, Lehrerbildung und Kaderbildung zugewiesen. In der Arbeit beider Einrichtungen spielten demnach Ansprüche an eine anerkannte Wissenschaftsinstitution eine ebenso große Rolle wie der Bedarf an umfassender ‚ideologischer‘ Kontrolle und Zensur durch die SED-Regierung.

Pläne zur Gründung des DPZI gehen bis ins Jahr 1945 zurück. Auf Weisung der Verwaltungsorgane der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) wurde 1949 ein außeruniversitäres pädagogisches Institut geschaffen, das 1954 das unabhängige Promotionsrecht erhielt. Als Hauptarbeitsfelder waren die fachmethodische Forschung (siehe auch Fachmethodiken) und deren Anwendung in Lehrplanarbeit und Lehrerbildung festgelegt. Unterstützend dazu wurden Referate gebildet, die theoretische Analysen erstellen sollten, z.B. „Sowjetpädagogik“ oder „Psychologie“ (vgl. Zabel, 2009, S. 402; siehe auch Pädagogische Psychologie). Ergebnisse dieser inhaltlichen Zuarbeit wurden in die Formulierung grundlegender bildungspolitischer Vorgaben und Gesetze aufgenommen, z.B. im Gesetz „„über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“(1965). Das DPZI wurde während seines Bestehens mehrfach umstrukturiert, dabei kam es stellenweise zu personellen Disziplinierungsmaßnahmen und Neubesetzungen von leitenden Positionen (Wiegmann 1993, S. 79f..)

Gegen Ende der 1960er-Jahre wurde die Gründung der APW nach dem gleichnamigen sowjetischen Vorbild aus dem DPZI heraus organisiert, die bisherigen Organisationseinheiten des DPZI gingen darin auf. Strukturiert in Institute, Arbeitsstellen und Abteilungen wurden der Akademie ab 1970 weitreichendere Befugnisse in der Koordination von pädagogischer bzw. fachmethodischer Forschung im Hochschulbereich und Gutachterfunktionen für Unterrichtmittel und Fachpublikationen in Schul- und Lehrerbildung übertragen. Sie sollte eine zentral und zweckrational ausgerichtete ‚Großforschung‘ verwirklichen und diese in Reformen und Evaluationen der Lehrpläne und -materialien in der allgemeinen Schulbildung auf gesamtstaatlicher Ebene implementieren. Ihr wurden darüber hinaus Forschungen und Erhebungen im Bereich der ideologischen Erziehung, der Bildungssoziologie und der pädagogischen Psychologie übertragen. Die dabei entstehenden Konfliktpunkte resultierten gegen Ende der 1980er-Jahre in internen Auseinandersetzungen von APW- und MfV-Führungskadern und der ministeriellen Abwertung zentraler Forschungsergebnisse (Döbert & Geißler, 1999, S.11f.).

In der beginnenden Transformationszeit 1989/90 wurde die Arbeit der APW von Wissenschaftler*innen aus Ost- und Westdeutschland vor allem im Hinblick auf ihre politisch-ideologische Funktion massiv kritisiert. Ihre Auflösung erfolgte zum Ende des Jahres 1990 durch das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (Malycha, 2008, S.160–163). Überlieferte Aktenbestände und Nachlässe beider Institutionen sind im Archiv der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung in Berlin aufbewahrt und einsehbar.

Literatur

  • Beschluss des Politbüros der SED 28. Juni 1949. In: Dietrich, G. (1993): Politik und Kultur in der SBZ. Bern: Peter Lang, S. 412–418.

  • Döbert, H. & Geißler, G. (1999): Zur Entstehungsgeschichte des Bilanzmaterials. In: Hoffmann, D./ Döbert, H./ Geißler, G. (Hrsg.): Die „unterdrückte“ Bilanz. Zum Verhältnis von Erziehungswissenschaft und Bildungspolitik am Ende der DDR. Weinheim: Beltz, S. 11–26.

  • Eichler, W. & Uhlig, C. (1993): Die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR. Was sie wollte, was sie war und wie sie abgewickelt wurde. In: Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 30, S. 115–126.

  • Malycha, A. (2008): Die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR 1970–1990. Zur Geschichte einer Wisenschaftsinstitution im Kontext staatlicher Bildungspolitik. Leipzig: Akademische Verlagsanstalt.

  • Tenorth, H.-E. (2017): „Erziehung gebildeter Kommunisten" als politische Aufgabe und theoretisches Problem. Erziehungsforschung in der DDR zwischen Theorie und Politik. In: Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 63, S. 207 – 275.

  • Zabel, N. (2009): Zur Geschichte des Deutschen Pädagogischen Zentralinstituts der DDR. Eine institutionengeschichtliche Studie (Dissertation). Chemnitz: Technische Universität.

  • Wiegmann, U. (1993): SED-Führung – Administration – erziehungswissenschaftliche Zentrale. Zur Entwicklung der Machtverhältnisse im Volksbildungsbereich der DDR an der Schwelle zur "entwickelten (real-)sozialistischen Gesellschaft". In: Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 30, S. 75–88.

In der Zeit der DDR konstituierte sich die Pädagogische Psychologie über die Schnittmengen mit ihren Nachbarwissenschaften Klinische Psychologie und Medizin. In den 1950er-Jahren boten physiologische Erkenntnisse des sowjetischen Mediziners Iwan Pawlow (1849–1936) den zunächst vor allem medizinisch-biologischen Inhalt, der ersten „große[n] wissenschaftspolitische[n] Offensive“ der DDR-Wissenschaft, diese nach sowjetischem Vorbild zu entwickeln (Busse, 1998, S. 166). Die junge psychologische Wissenschaft der DDR ist mit diesen Forderungen etwa aus der Arbeitsgruppe „Pädagogische Psychologie“ im Deutschen Pädagogischen Zentralinstitut (DPZI) konfrontiert worden. Dort versprach man sich von der Anwendung der Pawlowschen Reflextheorie Hilfe für die Entwicklung von „objektiven Methoden zur Untersuchung pädagogischer Wirklichkeit“ (Zabel, 2009, S. 149). Nach Stalins Tod 1953 entfiel das gesetzlich festgelegte Pädologieverbot und erweiterte das Repertoire der in der sozialistischen Pädagogik legal anwendbaren Forschungsmethoden um testpsychologische Verfahren (vgl. Shibanova-Harris, 2022). Eine DDR-interne, sowjetisch inspirierte Suche nach geeigneten ‚objektiven Methoden‘ für die pädagogischen Forschungsgegenstände Lehrerbildung, Unterrichtsgestaltung, Fähigkeits- und Schulübergangsbeurteilung wurde durch neue Möglichkeiten angereichert und standardisierte psychologische Forschungsmethoden (u.a. Experiment, Beobachtung) gerieten in den Fokus einer Entwicklung, die später als „sozialistische Mode“ (Mieskes, 1971, S. 50) bezeichnet wurde. Es waren durchweg vorrangig pädagogische Fragestellungen, die die psychologischen Instrumente lösen sollten: „[D]ie sozialistische Schulwelt sollte entstehen, die Lehrerbildung musste neu und besser werden, und zu alledem hatte die Psychologie ihren konkreten Beitrag zu liefern“ (ebd., S. 49). Auf dem VI. Pädagogischen Kongress 1961 wurde entsprechend festgestellt, „dass die Erforschung des Bildungs- und Erziehungsprozesses in der sozialistischen Schule künftig eine noch stärkere Beteiligung des Psychologen erfordere“ (ebd., S. 51).

Als die „Polytechnisierung“ (siehe auch polytechnische Bildung, POS) gegen Ende der 1950er-Jahre einen zusätzlichen Fokus auf Wertschöpfung aus ‚Produktivkraft‘ und ‚Werktätigkeit‘ auch in Bildung und Erziehung mit sich brachte, wurden beispielsweise Schüler*innen mit Behinderung in Sonderschulen und Heimen auf ihre Fähigkeit, arbeitstüchtig zu werden begutachtet oder Normalschüler*innen auf ihre Performanz während der Werktätigkeit hin. Des Weiteren veranstaltete die neugegründete “Gesellschaft für Psychologie in der DDR” in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre ihren 1. Kongress unter dem Titel “Psychologie als gesellschaftliche Produktivkraft”.

Trotz exponentiellen Wachstums in den letzten zwei Jahrzehnten der DDR wurde die Psychologie bis zum Ende der DDR eher wenig theoretisch beansprucht und stark für die Pädagogik funktionalisiert. Zensuren innerhalb des internen Gutachtensprozesses der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften (APW) verhinderten zwischen 1970 und 1986 die einwandfreie Veröffentlichung größerer Forschungspublikationen mindestens zweier wichtiger Wissenschaftler der Pädagogischen Psychologie, Adolf Kossakowski und Joachim Lompscher (vgl. Malycha, 2008, S.231ff.; 248ff.).

Dennoch bemühte sich die psychologische Wissenschaft um eigenständige fachpolitische Etablierung und Studiengangreformen. Bis 1970 gab es vier Universitäten in der DDR, die Hochschulbildung zum Diplompsychologen anboten. An der Universität Leipzig widmete sich die wissenschaftliche Psychologie „insbesondere der Lehrerbildung“ und operierte dabei unter „personellen Engpässen“ und „anhaltenden Bemühungen zur Reform des Studiums“ (Schönpflug & Lüer, 2011, S. 301). Zuletzt waren zum prestigeträchtigen „XXII. Internationalen Kongreß für Psychologie“ der Gesellschaft für Psychologie 1980 in Leipzig insgesamt 4000 Wissenschaftler*innen aus sozialistischen wie nicht-sozialistischen Ländern geladen (vgl. ebd.).

Literatur

  • Busse, S. (1996): Psychologie in der DDR. Die Verteidigung der Wissenschaft und die Formung der Subjekte. Weinheim: Beltz.

  • Malycha, A. (2008): Die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR 1970–1990. Zur Geschichte einer Wisenschaftsinstitution im Kontext staatlicher Bildungspolitik. Leipzig: Akademische Verlagsanstalt.

  • Mieskes, H. (1971): Die Pädagogik der DDR in Theorie, Forschung und Praxis. Entwicklung und Entwicklungsstand. Erster Teil: Selbstauffassung und Wesensbestimmung der sozialistischen Pädagogik der DDR. Oberursel/Taunus: Finken.

  • Schönpflug, W. & Lüer, G. (2011): Psychologie in der Deutschen Demokratischen Republik. Wissenschaft zwischen Ideologie und Pragmatismus. Wiesbaden: Springer VS.

  • Shibanova-Harris, V. L. (2022): Eine Geschichte der russischen Pädologie. Ansätze zur Verwissenschaftlichung und Normalisierung der Kindheit (1901–1936) (Dissertation). München: Ludwig-Maximilians-Universität.

  • Zabel, N. (2009): Zur Geschichte des Deutschen Pädagogischen Zentralinstituts der DDR. Eine institutionengeschichtliche Studie (Dissertation). Chemnitz: Technische Universität.

‚Parteilichkeit‘ ist ein Begriff, der in der DDR im Kontext der staatstragenden ‚marxistisch-leninistischen Philosophie und Wissenschaft‘ genutzt wurde, um ein bestimmtes Merkmal immer standortgebundenen ‚gesellschaftlichen Bewusstseins‘ und die ‚Klassengebundenheit einer Ideologie‘ oder einer Weltanschauung zu charakterisieren. Aus dieser Sicht ist damit gleichzeitig aber auch die eigene erkenntnistheoretische Position gegenüber der bürgerlichen Philosophie und dem bürgerlichen Objektivismus bzw. gegenüber der Idee einer überparteilichen Objektivität abgegrenzt und gekennzeichnet. Erst der Marxismus-Leninismus leugne die Standortgebundenheit der vertretenen Weltanschauung nicht und bringe sie explizit zum Ausdruck, d.h. er bekenne sich ausdrücklich zur Parteinahme für die Arbeiterklasse und damit nach diesem Verständnis für den historischen Fortschritt. Im Sozialismus (in dieser Phase befand sich nach Auffassung der SED die DDR) falle Parteilichkeit, eben Parteilichkeit für die Arbeiterklasse, d.h. für die SED, mit der wissenschaftlichen Wahrheit – und in dem Sinne auch mit Objektivität – zusammen. Immer wieder, wenn im Kontext des pädagogischen Diskurses auf Wissenschaftlichkeit rekurriert wurde, wenn etwa von der Wissenschaftlichkeit des Unterrichts die Rede war, war sofort auch Parteilichkeit in diesem Sinne mitgedacht. Auf diese Weise konnten immer wieder Positionierungen für Programm und Beschlüsse der SED als Plädoyer für Wissenschaftlichkeit eingefordert werden. Die beschriebene marxistisch-leninistische Konzeption einer parteilichen Wissenschaft und deren Praxis wurde nach der ‚Wende‘ scharf kritisiert, schloss im westlichen Verständnis Wissenschaft Parteilichkeit doch kategorial aus, auch wenn in verschiedenen wissenschaftstheoretischen Ansätzen Standortgebundenheit und Historizität wissenschaftlicher Erkenntnis mitgedacht werden.

Literatur

  • Klaus, G. & Buhr, M. (1965): Parteilichkeit. In: Klaus, G. & Buhr, M. (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. 2. Aufl. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, S. 405–408.

  • Sabrow, M. (1995): Parteiliches Wissenschaftsideal und historische Forschungspraxis. Überlegungen zum Akademie-Institut für Geschichte (1956–1989). In: Sabrow, M. & Walther, P. T. (Hrsg.): Historische Forschung und sozialistische Diktatur: Beiträge zur Geschichtswissenschaft der DDR. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, S. 195–225.

Historiker*innen geben in ihrer Forschungsarbeit der Zeit und den Zeitabschnitten eine Form und unterteilen dabei die Zeit oft in verschiedene Phasen oder Epochen. Sie schaffen Zeitgerüste, indem sie Periodisierungen vornehmen – das gehört zum historischen Handwerk. Aber auch wenn das die alltägliche Arbeit der Historiker*innen ist, ist sie nicht selbstverständlich: „Sie tun dies nicht in penibler Deduktion aus angeblich für sich selbst sprechenden ‚Fakten‘“ (Osterhammel, 2006, S. 47). Periodisierungsvorstellungen liegen oft als verborgene Auffassungsform vor und erst sie geben Fakten als solchen einen Sinn, machen sie denk- und erkennbar. Auch wenn Osterhammel von den großen Epocheneinteilungen und deren Schwierigkeiten spricht und davon, ob diese und wie sie im Kontext einer Globalgeschichte gefasst werden können, gelten sie auch für die Betrachtung kleinerer zeitlicher Einheiten, etwa für die der Geschichte bzw. die Bildungsgeschichte der DDR. Phaseneinteilungen, wie sie etwa ein Blick auf die politisch-revolutionäre Ereignisgeschichte bietet, ist keineswegs eine objektiv gültige Periodisierung. Der Umbau sozialökonomischer, politischer und rechtlicher Rahmensetzungen ist nicht identisch mit konkreten Daten, etwa der Verabschiedung eines Gesetzes, vollzieht sich in längeren Zeiträumen und deckt sich auch nicht mit Wandlungsprozessen von Ideen und Alltagserfahrungen. All die unterschiedlichen Aspekte gilt es zu berücksichtigen, wenn man überzeugende Periodisierungsvorschläge macht. Auch Periodisierungen bzw. Phaseneinteilungen für die DDR-Geschichte und deren Bildungsgeschichte vorzunehmen, ist nicht einfach und ein Blick auf die Historiographie zeigt, dass keinesfalls alle zu einer in jeder Hinsicht überzeugenden und gleichen Einteilung kommen. Eingebürgert hat sich für die Geschichte der DDR oft eine – Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael haben dieses Vorgehen für die Zeitgeschichte des anderen deutschen Staates durchaus kritisch als „dekadologisch“ bezeichnet (Doering-Manteuffel & Raphael, 2012, S. 25) – den Dekaden folgende Einteilung, etwa die nach einer Vorgeschichte zwischen 1945 und 1949 mit der Gründung der DDR einsetzende Aufbauphase, die bis zum Mauerbau 1961 reichte, einer folgenden Stabilisierungsphase bis 1970/1971, wo Ulbricht als erster Sekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zurücktrat und anschließend unter der Ägide Honeckers sich abspielende zwei, oft 1980 noch einmal unterteilte, Phasen der Entstehung von krisenhaften Phänomenen bis 1990. Sichtbar wird hier, wie unterschiedliche Aspekte einbezogen werden, um Phasen und etwas in ihnen Gleichbleibendes zu identifizieren – seien es Amtszeiten von Regierungspersonal, einschneidende Maßnahmen, die sich auf Entscheidungen bzw. Zustimmung der Bevölkerung auswirkten, Kurskorrekturen in Wirtschafts- und Sozialpolitik und anderes. Für die Bildungsgeschichte scheint die Einteilung unterschiedlich je nachdem, was in den Blick genommen wird. Im „Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte“ wird das deutlich, weil es nicht eine alle Teile des Bildungs- und Erziehungswesens, die Systemebene und die Alltagserfahrungen umfassende übergreifende Einteilung gibt. Im Teil über das Allgemeinbildende Schulwesen werden fünf Phasen unterschieden. Nach einer Phase des „Neubeginns“ in der SBZ zwischen 1945 und 1948, einer Übergangsphase zur sozialistischen Schule, die sich bis 1958 erstreckte, einer Phase der „polytechnischen Bildungsreform“ zwischen 1958 und 1963/65, dem schließlich die Phase eines einheitlichen Bildungssystem und neuen Lehrplanwerkes zwischen den Jahren 1963/65 und 1980 folgte. Die letzte Phase begann 1980 und reichte bis zum Ende der DDR (vgl. Baske, 1998). Ein ebenfalls unklares Bild ergibt sich in der Betrachtung der „pädagogischen Wissenschaft“, wo ebenfalls verschiedene Phaseneinteilungen erkennbar sind (vgl. Tenorth & Wiegmann, 2022). Alle Einteilungen der DDR-Bildungsgeschichte gehen allerdings von einem Einschnitt in den 1960er-Jahren aus, oft wird es am Inkrafttreten des „Gesetzes über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ festgemacht, mit dem eine Struktur für das gesamte Erziehungswesen geschaffen wurde, die für den Rest der Existenz der DDR in dieser Form bestehen bzw. prägend blieb. Allemal dann, wenn – wie es inzwischen eher üblich geworden ist – die Geschichte der DDR und ihres Bildungswesens nicht als von der des anderen deutschen Staates komplett getrennte Entwicklung angesehen wird, sondern von vielfältigen Verflechtungen einerseits, aber eben auch von größeren Epochentypiken ausgegangen wird, werden ähnliche Phaseneinteilungen der DDR-Bildungsgeschichte wie der der Bundesrepublik gesehen. So wird auch in dieser Perspektive ein großer Einschnitt in den 1960er-Jahren identifiziert und die Entwicklungen danach als Differenzierung, Modernisierung und Ausbau des Bildungssystems diagnostiziert, in dem dann allerdings immer auch krisenhafte Phänomene – schon in der vorsichtigen Selbstbeobachtung – festgestellt werden können (vgl. Tenorth, 2010)

Literatur

  • Baske, S. (1998): Allgemeinbildende Schulen. In: Führ, C. & Furck, C.-L. (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2, 1945 bis zur Gegenwart. München: Beck, S. 159–201.

  • Doering-Manteuffel, A. & Raphael, L. (2012): Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970. 3. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

  • Osterhammel, J. (2006): Über die Periodisierung der neueren Geschichte. In: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Berichte und Abhandlungen, Bd. 10. Berlin: Akademie Verlag, S. 54–64.

  • Tenorth, H.-E. (2010): Geschichte der Erziehung. Einführung in die Grundzüge ihrer neuzeitlichen Entwicklung. 5. Aufl. Weinheim, München: Juventa.

  • Tenorth, H.-E. & Wiegmann, U. (2022): Pädagogische Wissenschaft in der DDR. Ideologieproduktion, Systemreflexion und Erziehungsforschung. Studien zu einem vernachlässigten Thema der Disziplingeschichte deutscher Pädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Mit der Einführung der obligatorischen achtklassigen Grundschule gelang im bildungspolitischen Selbstverständnis der DDR ab 1946 die Überwindung der traditionellen Volksschule. Im nächsten Schritt strebte die SED-Führung im Kontext des Aufbaus der „Grundlagen des Sozialismus“ danach, die Pflichtschule auf Oberschulniveau zu heben. Um dieses Ziel angesichts öffentlicher Irritationen über die Verlängerung der Pflichtschulzeit auf zehn Jahre und einiger Bedenken gegen die Beteiligung Minderjähriger an produktiver Arbeit zügig zu erreichen, nahm die SED-Führung die vorbereitenden Schritte und das Gesetzgebungsverfahren unmittelbar in die eigenen Hände. Das Schulgesetz vom 2. Dezember 1959 bestimmte die zehnklassige allgemeinbildende Oberschule zur künftigen Pflichtschule. In den 1970er Jahren galt die POS als durchgesetzt. 1988/89 absolvierten 90,4 Prozent der Schülerinnen und Schüler die POS erfolgreich. Bereits 1958 war auf Beschluss der SED-Führung zudem der polytechnische Unterricht mit dem Unterrichtstag in der Produktion und einem Technologieunterricht – wenn auch ohne hinreichende konzeptionelle Vorarbeiten – verordnet worden. Dass Marx diesen Bildungsbereich nach der Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse für unvermeidlich hielt, um die Grundformen des ‚produktive(n) Tuns‘ des Menschen zu verstehen und auf die notwendige Disponibilität des ‚vollseitig‘ entwickelten Produzenten in einer künftigen industriellen Arbeitswelt vorzubereiten, bot eine hinreichende Legitimation. Zudem war in der Sowjetunion das Fach kurz zuvor in etwas anderer Akzentuierung eingeführt worden. Der polytechnische Unterricht umfasste in der DDR Schulgarten- (Klassen 1-4) und Werkunterricht (Klassen 1-6), in den Klassen 7-10 mit 4-5 Wochenstunden „Einführung in die sozialistische Produktion“, Technisches Zeichnen und den Unterrichtstag in der sozialistischen Produktion“ bzw. seit den 1970er Jahren die „produktive Arbeit der Schüler“. In der Regel wechselten sich der theoretische Unterricht und die praktische Arbeit in Schülerwerkstätten (v.a. in der Klasse 7) und sodann möglichst in der unmittelbaren betrieblichen Produktion der Landwirtschaft oder Industrie 14tägig ab. Zugleich wurde Polytechnik als Prinzip des allgemeinbildenden Unterrichts konzipiert. Die polytechnischen Unterrichtsfächer umfassten zusammen mit dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Bildungsbereich rund die Hälfte des gesamten Unterrichts.

Literatur

  • Anweiler, O./ Mitter, W./ Peisert, H./ Schäfer, H.-P./ Stratenwerth, W. (Hrsg.) (1990): Vergleich von Bildung und Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik. Köln: Verlag Wissenschaft und Politik.

  • Marx, K. (1962): Das Kapital. Erster Band. In: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hrsg): Werke, Bd. 23. Berlin: Dietz Verlag, S. 504–530.

  • Neuner, G. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1972): Allgemeinbildung Lehrplanwerk Unterricht. Berlin: Volk und Wissen.

  • Neuner, G. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1988): Allgemeinbildung und Lehrplanwerk. 2. Aufl. Berlin: Volk und Wissen.

  • Uhlig, C. & Wiegmann, U. (1994): Struktur- und Funktionswandel des Schulwesens in der DDR. In: Müller, D. K. (Hrsg.): Pädagogik Erziehungswissenschaft Bildung. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, S. 261–293.

Der polytechnische Unterricht stellte eines der prägenden Merkmale des DDR-Bildungssystems nach 1959 dar. Er bezeichnet eine Konzeption von Schule und Unterricht, die eng mit der marxistischen-leninistischen Theorie- und Politikentwicklung verbunden war. Bereits Marx mahnte eine stärkere Verzahnung von Schule und Arbeit an und sprach sich für eine vielseitige (‚poly-‘) Vorbereitung für alle Bereiche der Arbeitswelt (‚-technisch‘) aus. Nicht nur die Eigentumsfrage sollte adressiert werden, sondern auch die wissensbezogene Beherrschung von Produktionsmitteln sollte dabei ermöglicht werden. In der Sowjetunion wurden Ansätze solchen Unterrichts besonders nach dem Tod Stalins 1953 erprobt. Hauptspannung bei der Einführung des polytechnischen Unterrichts – auch in der DDR – blieb das Verhältnis zur geerbten Fächerstruktur der modernen Schule. Programmatisch beanspruchte die Polytechnik nämlich nicht lediglich als Schulfach berücksichtigt zu werden. Vielmehr sollte das Polytechnische zum Prinzip des schulischen Curriculums insgesamt gemacht werden und somit Fragen der Arbeitssozialisation und Wertebildung, später auch der „Bildung der sozialistischen Persönlichkeit“ tangieren. Der polytechnische Gedanke bildete auch die Grundlage für die Einführung der Polytechnischen Oberschule als verpflichtende, einheitliche, die Primar- und Sekundarstufe I umfassende Institution im Jahre 1965.

Literatur

  • Tietze, A. (2012): Die theoretische Aneignung der Produktionsmittel. Gegenstand, Struktur und gesellschaftstheoretische Begründung der polytechnischen Bildung in der DDR. Frankfurt a.M.: Lang.

Ab den 1950er-Jahren wurde in der DDR ein differenziertes Sonderschulsystem etabliert (Verordnung über die Beschulung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen mit wesentlichen physischen und psychischen Mängeln, 1951). Die Sonderschulen und andere sonderpädagogische Einrichtungen in der DDR, u.a. Hilfsschulen hatten die Bildung und Erziehung aller Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen mit wesentlichen physischen oder psychischen Schädigungen zu gewährleisten (Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem, 1965, § 19). Theoretisch begriff sich die Hilfsschulpädagogik in der DDR als Teil der Allgemeinen Pädagogik, lediglich das methodische Vorgehen an Sonderschulen weist einige Spezifika auf. Für das Sonderschulsystem der DDR war, wie auch für alle anderen Bildungseinrichtungen, das Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem in all seinen Grundsätzen bindend.

Grundlegendes bildungspolitisches und rechtliches Dokument für sonderpädagogische Einrichtungen war der §19 des „Gesetzes über das Einheitliche sozialistische Bildungssystem“ (1965). Der Paragraph stellte sicher, dass Sonderschulen und sonderpädagogische Einrichtungen darauf abzielten, die Bildung und Erziehung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit erheblichen körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen zu gewährleisten. Diese Einrichtungen betreuten Menschen mit Schwerhörigkeit, Gehörlosigkeit, Sehschwäche, Blindheit, Sprach- und Stimmstörungen, geistigen oder körperlichen Behinderungen, Verhaltensstörungen sowie Kinder und Jugendliche mit chronischen Krankheiten oder Krankenhausaufenthalten. Dieses wurde später ergänzt durch die „Fünfte Durchführungsbestimmung zum Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem – Sonderschulwesen –“ vom 20.12.1968. Nunmehr wurde die Schüler*innenschaft eingegrenzt: „In Hilfsschulen werden schulbildungsunfähige schwachsinnige Kinder und Jugendliche aufgenommen. Sie weisen physisch-psychische Ausfälle und Störungen mit Auswirkungen auf die gesamte Persönlichkeit auf, so daß sie die allgemeinen Bildungs- und Erziehungsinhalte nur begrenzt aufnehmen und verarbeiten können.“ (5. Durchführungsbestimmung zum Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem – Sonderschulwesen, 1968, § 3 (1))

Die Hilfsschulklassen an Allgemeinen Hilfsschulen wurden nach dem Schweregrad der „Intelligenzminderung“ in drei „Züge“ kategorisiert, wobei der sogenannte A-Zug für Kinder und Jugendliche mit „leichten Intelligenzminderungen (Debilität)“, die B- und C-Züge für jene mit „Intelligenzminderungen mittleren Grades“ vorgesehen waren. Spätestens ab den 1970er Jahren wurden die C-Züge an Hilfsschulen aufgelöst, womit sich neben den (schulbildungsfähigen) Hilfsschüler*innen eine Gruppe ergab, die als schulbildungsunfähig, jedoch förderungsfähig deklariert wurde. Abgegrenzt von diesen beiden Gruppen wurde die Gruppe von Kindern und Jugendlichen „mit schwerem Grad von ‚Schwachsinn‘ (Idiotie)“, die sogenannten „schulbildungsunfähigen, förderungsunfähigen Kinder“. Sie wurden ab etwa Mitte der 1970er-Jahre in speziellen Fördereinrichtungen, die nicht dem Bildungssystem der DDR, sondern dem Gesundheitswesen angegliedert waren, untergebracht (vgl. Koch & Koebe, 2019).

Literatur

  • Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem (1965). (Abruf 22.04.2024: https://ghdi.ghi-dc.org/sub_do...).

  • Koch, K. & Koebe, K. (2019): Die ‚anderen Kinder‘ in der DDR – Zeitgenössische Quellen und literarische Texte als Quelle für die Illustration, Ergänzung und Relativierung der Diskussion zum Umgang mit geistig behinderten Kindern. In: Schriftenreihe der Arbeitsstelle der Pädagogischen Lesungen an der Universität Rostock 1, 4.

  • Ministerium für Volksbildung (1968): Fünfte Durchführungsbestimmung zum Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem – Sonderschulwesen – Vom 20. Dezember 1968. Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik. Jg. 1969, Teil II, 36 bis 40. In: Kommission für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Hrsg.) (1974): Dokumente zur Geschichte des Schulwesens in der Deutschen Demokratischen Republik. Teil 3: 1968–1972/73. 1. Halbband. Berlin: Volk und Wissen, S. 110–117.

  • Verordnung über die Beschulung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen mit wesentlichen physischen und psychischen Mängeln (1951). In: Gesetzblatt der DDR vom 05.10.1951.

1947 setzte in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) unter den Bedingungen einer sich entwickelnden Ost-West-Konkurrenz ein 1948/49 forcierter Paradigmenwechsel hin zur sogenannten Sowjetpädagogik ein. Dieser folgte der Neuorientierung auf eine sozialistische Gesellschaftsperspektive. Ähnlich der Aburteilung reformpädagogischer Entwicklungen im Jahrzehnt nach der russischen Oktoberrevolution durch die Beschlüsse des Zentralkomitees der KPdSU (B) „Über die Grund- und Mittelschule“ vom 5.09. 1931 und „Über die Lehrpläne und die Schulordnung der Grund- und Mittelschule“ vom 25.08. 1932 richtete sich die Bildungspolitik der SED-Führung im gesellschaftspolitischen und ökonomischem Interesse gegen reformpädagogische Tendenzen der ersten Nachkriegsjahre in der SBZ. Adaptiert wurde im Zeitraum bis zu Stalins Tod (5.3.1953) und dem 17. Juni 1953 die sowjetische Variante einer intentionalen, auf Belehrung in Verbindung mit „politisch-ideologischer“ Erziehung angelegten Lernschulpädagogik. Der Versuch, sich an Entwicklungen des sowjetischen Bildungssystems zu orientieren, scheiterte 1953 in wesentlichen Punkten. Nachhaltige Wirkungen zeitigte die „Verordnung über die Unterrichtsstunde als Grundform der Schularbeit, die Vorbereitung, Organisation und Durchführung der Unterrichtsstunde und die Kontrolle der Kenntnisse der Schüler“ vom 4.7.1950. Angesichts der gesellschaftspolitischen und pädagogischen Neuorientierung verließen zahlreiche Pädagogen die DDR westwärts. Für das verbliebene Personal vereinfachte die Verurteilung der anspruchsvolleren Reformpädagogik und die Rückkehr zum traditionellen Lernschulkonzept die Ausübung des Berufes. Obgleich die Adaption des Modells der sowjetpädagogischen Pädagogik im Weiteren tendenziell einer sowjetischen Einflussnahme wich und schließlich selbst Kooperationsprojekte ermöglichte, hatten die frühen Übersetzungen sowjetischer Pädagogiklehrbücher (Jessipow, B.P./Gontscharow, N.K 1948 und Ogorodnikow, I.T./Schimbiriew, P. N. 1949) gleichwohl ungebrochene erziehungstheoretische Konsequenzen vor allem hinsichtlich der nach wie vor tragenden Begriffe Erziehung, Bildung und Unterricht. Zudem förderte die semantische Aufhebung des traditionellen Gemeinschaftsbegriff im Kollektivbegriff (Makarenko) die Akzeptanz sowjetpädagogischer Grundlagen. Im Zeichen marxistisch-leninistischer Parteiideologie und der ‚führenden Rolle‘ der SED setzte sich der Verzicht der Erziehungswissenschaftler darauf durch, souverän über die Grundlagen der Pädagogik als Wissenschaft zu verfügen. Herausgefordert durch die frühe Orientierung am sowjetpädagogischen Vorbild etablierte sich in der Bundesrepublik während des Kalten Krieges „Sowjetisierung“ als Kampfbegriff. Seitens der DDR wurde dem durch die Rede vom sowjetpädagogischen Vorbild, von Hilfe und Rat sowie von der Vorbildfunktion sowjetischer Bildungspolitik und Pädagogik begegnet. Wirkungen der Aneignung einer solchermaßen verstandenen Sowjetpädagogik lassen sich in Publikationen bis gegen Ende der DDR trotz der späten Distanzierung von sowjetpädagogischen Tendenzen in der Gorbatschow-Ära nachweisen.

Literatur

  • Dorst, W. (1953): Erziehung, Bildung und Unterricht in der deutschen demokratischen Schule: Grundlagen. Berlin: Volk und Wissen.

  • Lost, C. (2000): Sowjetpädagogik. Wandlungen Wirkungen Wertungen in der Bildungsgeschichte der DDR. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren.

  • Tenorth, H.-E. & Wiegmann, U. (2022): Pädagogische Wissenschaft in der DDR. Ideologieproduktion, Systemreflexion und Erziehungsforschung. Studien zu einem vernachlässigten Thema der Disziplingeschichte deutscher Pädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Es handelt sich um eine Weltanschauung, die die Überwindung eines auf Konkurrenz und Unterdrückung arbeitender Klassen basierten Gesellschaftssystems postuliert. Diese Überwindung soll in einem Alternativsystem münden, in dem egalitäre Vorstellungen nicht nur auf politische und soziale, sondern auch auf ökonomische Fragen bezogen werden. Der Begriff „Sozialismus“ wurde im 19. Jahrhundert geprägt und popularisiert. Sehr unterschiedliche Richtungen und Gruppen verkündeten, eigene sozialistische, „gerechte“ und „gemeinschaftliche“ Programme zu entwickeln, darunter u.a. Sozialreformer*innen, Christ*innen und Anarchist*innen. Besonders prominent wurde die von Karl Marx (1818–1883) geprägte Version eines sog. wissenschaftlichen Sozialismus, die theoretisch komplex argumentierte und eine Version der Weltgeschichte formulierte, die einen kommenden Kommunismus als Abschaffung von Ausbeutungsverhältnissen prognostizierte. Die seit 1917 existierenden realsozialistischen Länder, darunter die DDR, beriefen sich auf diese Strömung.

Es existierten in der Geschichte seit dem 19. Jahrhundert weitere Versionen des Sozialismus, die entweder kulturelle und geopolitische Unterschiede (afrikanischer Sozialismus), weitere weltanschauliche Komponenten wie Rassismus und Nationalismus (Nationalsozialismus) bzw. weitere politische Positionen wie Partizipation und Antibürokratismus (demokratischer Sozialismus) oder Anpassungen an neue Zeiten (Sozialismus des 21. Jahrhundert) priorisierten. Für diejenigen Gesellschaften, die sich zwischen 1917 und 1991 in unterschiedlicher Ausprägung und Dauer sozialistisch nannten, werden gewisse Gemeinsamkeiten in ihrer Gegenwartsentwicklung vermutet, die man zusammenfassend mit dem Begriff des „Post-Sozialismus“ benennt.

Literatur

  • Deppe, F. (2021): Sozialismus. Geburt und Aufschwung – Widersprüche und Niedergang – Perspektiven. Hamburg: VSA.

  • Meyer, T. (2008): Sozialismus. Wiesbaden: Springer VS.

  • Segert, D. (Hrsg.) (2007): Postsozialismus. Hinterlassenschaften des Staatssozialismus und neue Kapitalismen in Europa. Wien: Wilhelm Braumüller Universitätsverlag.

Allgemeinbildung wurde seit den 1950er-Jahren konzipiert und galt als Grundlage für den weiteren Aufbau des Sozialismus ebenso wie für die individuell Berufsausbildung und den Weg in weiterführende Bildungsinstitutionen des Bildungssystems bis zur Hochschule. In Abgrenzung von einer „subjektiv-idealistischen“ und „abstrakt-humanistischen“ Konzeption der Persönlichkeit (Neuner, 1975, S. 30) galten für die pädagogische Wissenschaft der DDR „alle Erziehungsprozesse [...] unlösbar in lebendige geschichtliche Prozesse eingebettet [...] und von den materiellen Lebensprozessen der Gesellschaft, den politischen Kämpfen der Klassen und ihren ideologischen Reflexionen in Ziel, Inhalt und Methode entscheidend bestimmt“ (ebd., S. 27). Das Allgemeine der sozialistischen Allgemeinbildung war im Kern also eine Orientierung „auf aktive Aneignung der historisch-konkreten Umwelt, der menschlichen Kultur in ihrer Gesamtheit, in der Arbeit, im Lernen, in kulturschöpferischen Tätigkeiten“ (ebd., S. 32). Damit basierte sozialistische Allgemeinbildung (1) auf der marxistisch-leninistischen Interpretation der „Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung“ (ebd., S. 38), sah (2) in der „Verbindung von Unterricht, produktiver Arbeit und Gymnastik“ die Bedingung einer „allseitigen Entwicklung des Menschen“ (ebd., S. 39), die durch (3) „[i]deologische Erziehung“ eine allseitige Entwicklung einer spezifisch „sozialistischen“ Persönlichkeit war (ebd.). Eine so gedachte „[s]ozialistische Persönlichkeitsentwicklung“ galt (4) als Bedingung und Garant für die Einbettung der Erziehung in den „revolutionären Kampf der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeter“ (ebd.).

Mit der Anerkennung der ‚führenden Rolle der SED‘ und in der Konsequenz dem Verzicht darauf, souverän über die Grundlagen der ‚pädagogischen Wissenschaft‘ zu befinden, konzentrierte sich erziehungswissenschaftliche Forschung in der DDR auf diese ihr gesellschafts- und bildungspolitisch zugewiesene Aufgabe, zur Herausbildung allseitig entwickelter und allseitig gebildeter sozialistischer Persönlichkeiten – insbesondere in den Institutionen des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems − beizutragen. Die Berufung auf Marxens Vision einer vollen „Entwicklung jedes Individuums“ in einer „höheren Gesellschaftsform“ klammerte allerdings die von ihm im selben Atemzug erstrebte „freie“ individuelle Entwicklung der Persönlichkeit aus (Marx, 1962, S. 618). Sowohl die „Theorie sozialistischer Allgemeinbildung“ (Neuner, 1975) als auch das in Lehrplanwerken und erläuternden Monografien manifestierte Konzept sozialistischer Allgemeinbildung banden bedeutende erziehungswissenschaftliche Forschungsressourcen in der DDR, zunächst im Deutschen Pädagogischen Zentralinstitut (DPZI) und ab 1970 in der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften (APW). Erst allmählich geriet seit der Mitte der 1970er-Jahre und vor allem gegen Ende der 1980er-Jahre die dogmatische These vom Unterricht als Hauptweg der Verwirklichung der Einheit von Erziehung und Bildung der heranwachsenden Generation (vgl. Tenorth & Wiegmann, S. 382, FN 80) in eine behutsam vorgetragene erziehungswissenschaftliche Kritik. Dennoch vermochte sich die Einsicht von der „Verflochtenheit gesellschaftlicher Prozesse“ bei der Herausbildung sozialistischer Persönlichkeiten (vgl. ebd., S. 419, FN 276) bis zum Zusammenbruch der DDR gegen die herrschende Bildungs- und Wissenschaftspolitik nicht durchzusetzen.

Literatur

  • Drefenstedt, E./ Neuner G./ Autorenkollektiv (1970): Lehrplanwerk und Unterrichtsgestaltung. 2. Aufl. Berlin: Volk und Wissen.

  • Marx, K. (1962): Das Kapital. Erster Band. In: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hrsg): Werke, Bd. 23. Berlin: Dietz Verlag.

  • Neuner, G. (1975): Zur Theorie der sozialistischen Allgemeinbildung. 3. Aufl. Hrsg. v. Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR. Berlin: Volk und Wissen.

  • Neuner, G. (1989): Allgemeinbildung. Konzeption – Inhalt – Prozeß. Berlin: Volk und Wissen.

  • Neuner, G. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1972): Allgemeinbildung Lehrplanwerk Unterricht. Berlin: Volk und Wissen.

  • Neuner, G. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1988): Allgemeinbildung und Lehrplanwerk. 2. Aufl. Berlin: Volk und Wissen.

  • Tenorth, H.-E. & Wiegmann, U. (2022): Pädagogische Wissenschaft in der DDR. Ideologieproduktion, Systemreflexion und Erziehungsforschung. Studien zu einem vernachlässigten Thema der Disziplingeschichte deutscher Pädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Die DDR schuf in verschiedenen Etappen – entscheidend mit dem „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ von 1965 (Bildungsgesetz 1965) – ein einfach horizontal aufgebautes Bildungssystem mit der zehnklassigen allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschulen (POS), in denen eine einheitliche sozialistische Allgemeinbildung als polytechnische Bildung allen Kindern und Jugendlichen vermittelt werden sollte. Es existierten aber auch Sonderschulen für Kinder mit „wesentlichen physischen und psychischen Schädigungen“ (§ 19, Bildungsgesetz 1965), die in Zusammenarbeit zwischen dem Volksbildungsministerium und dem Minister für das Gesundheitswesen betrieben wurden, wie Schulen und Klassen für Kinder und Jugendliche mit „hohen Leistungen und besonderen Begabungen“, die im gesellschaftlichen, insbesondere späterhin vor allem im ökonomischen Interesse den „besonderen Erfordernissen der Nachwuchsentwicklung“ und Begabtenförderung dienen sollten (§ 18, Bildungsgesetz 1965). Bereits 1953/54 waren nach sowjetischem Vorbild besondere Schulen für sportlich talentierte Kinder, die „Kinder- und Jugendsportschulen“ (KJS) eingerichtet worden. Sie verbanden Unterricht und Training in einer festgelegten zeitlichen Ordnung, mit modifizierten Lehrplänen und mit politisch-ideologischer Erziehung. Diese Schulen arbeiteten ganztägig und waren materiell deutlich besser ausgestattet als die üblichen allgemeinbildenden Schulen; teilweise besaßen sie Internatseinrichtungen. Schon in den 1950er-Jahren, spätestens mit Beginn des Schuljahres 1952/53, waren an einigen Oberschulen spezielle Sprachklassen, sogenannte R-Klassen eingerichtet worden, die einen erweiterten Russischunterricht boten; eine Spezialschule für Fremdsprachen gab es später in Berlin. Ebenfalls schon in den 1950er-Jahren wurde eine außerschulische Musikförderung für Begabte eingerichtet, die Volksmusikschulen, ab 1961 als Musikschulen, die besondere Angebote zur frühmusikalischen Förderung von interessierten und musikalisch talentierten Kindern machten. Ende der 1950er-Jahre wurden an ausgewählten Schulen zudem musikalische „Spezialklassen“ eingerichtet, die zum Abitur führten und der Vorbereitung auf ein Musikstudium oder die Ausbildung als Berufsmusiker*in dienten. Ab 1962 konnten musikalisch besonders (leistungs-)befähigte und überdurchschnittlich begabte Schüler*innen nach bestandener mehrtägiger Eignungsprüfung ab der 6. Klassenstufe in einer der vier „Spezialschulen für Musik“ (Berlin, Dresden, Weimar, Halle) Aufnahme finden. Weiterhin gab es seit der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre Spezialschulen mathematisch-naturwissenschaftlich-technischer Prägung für die 9. bis 12. Klassenstufe. Zum Ende der DDR bestanden insgesamt 11 Spezialschulen, etwa knapp 10 % aller Abiturient*innen kamen von diesen Schulen (vgl. Schreier, 1996, S. 292). Auch wenn von diesen Schulen keine großen Anregungen für Unterrichtsreformen ausgingen, wie Geißler konstatiert, scheinen Auswahl und individuelle bzw. exklusive Förderung der Begabten, gemessen an Studienerfolgen und überproportional oft erfolgender Promotion, doch erfolgreich gewesen zu sein (vgl. Geißler, 2012, S. 304).

Literatur

  • Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem (1965). (Abruf 22.04.2024: https://ghdi.ghi-dc.org/sub_do...).

  • Geißler, G. (2012): Spezialschulen. In: Sandfuchs, U./ Melzer, W./ Dühlmeier, B./ Rausch, A. (Hrsg.): Handbuch Erziehung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 300–305.

  • Huschner, A. (1997): Fremdsprachliche Spezialklassen als Strukturmerkmal des DDR-Schulsystems (1967/68 bis 1989/90). In: Tenorth, H.-E. (Hrsg.): Kindheit, Jugend und Bildungsarbeit im Wandel. Ergebnisse der Transformationsforschung. Weinheim: Beltz, S. 203–225.

  • Lessing, W. (2017): Erfahrungsraum Spezialschule. Rekonstruktion eines musikpädagogischen Modells. Bielefeld: transcript.

  • Schreier, G. (1996): Förderung und Auslese im Einheitsschulsystem: Debatten und Weichenstellungen in der SBZ/DDR 1946 bis 1989. Weimar: Böhlau.

  • Wiese, R. (2012): Kaderschmieden des "Sportwunderlandes". Die Kinder- und Jugendsportschulen der DDR. Hildesheim: Arete.

‚Staatsbürgerkunde‘ war in der DDR ein Unterrichtsfach. Es wurde 1957 eingeführt und ersetzte damit das bis 1950 unterrichtete Fach Gegenwartskunde. Zu den Inhalten gehörten die Vermittlung u.a. der Ideologie des Marxismus-Leninismus , der Politischen Ökonomie, des wissenschaftlichen Sozialismus, des Aufbau des Staates sowie der Rechte und Pflichten von Bürger*innen der DDR. Unterrichtet wurde das Fach zunächst in den Klassen 9 bis 12, ab 1969 bereits ab Klasse 7 der Polytechnischen Oberschule (POS) (Grammes, 2006, S. 51-69).

‚Staatsbürgerkunde‘ galt in der DDR als wichtiges Mittel der politischen Erziehung im einheitlichen sozialistischen Bildungs- und Erziehungssystem . Schwerpunkte des Faches waren die Herausbildung eines Klassenbewusstseins und das Bekenntnis zum ‚Arbeiter- und Bauernstaat‘ DDR. Der Unterricht war eng verknüpft mit den in die Schulen integrierten politischen Jugendorganisationen (Pioniere , FDJ).

Literatur

  • Grammes, T./ Schluß, H./ Vogler, H.-J. (2006): Staatsbürgerkunde in der DDR. Ein Dokumentenband. Wiesbaden: Springer VS.

  • Lehrplanwerk Staatsbürgerkunde – Klasse 7–10 (1983). Berlin: Volk und Wissen. Bundesarchiv, BArch, DR 200/4847.

Transnationale Verflechtungen sind grenzüberschreitend organisierte Verbindungen und Austauschbeziehungen, die auf lokale und nationale Kontexte wirken. Mit dem Begriff des Transnationalen werden viele verschiedene Formen von Verbindungen jenseits der alleinigen Rahmung der Nation zusammengefasst, wie internationale, supranationale und globale. Nachdem die Idee von transnationalen Verflechtungen im Feld der International Relations seit den 1970er-Jahren etabliert worden war, wurden transnationale Verflechtungen seit den 1990er-Jahren zu einem bevorzugten Gegenstand der Sozial-, Kultur- und Geschichtswissenschaften. Sie waren Ausdruck einer neuen Aufmerksamkeit für Prozesse der Überschreitung politischer Grenzen im Kontext der zunehmenden Globalisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Verflechtungen bilden sich in diesem Sinne nicht nur in Situationen der Kontiguität von bestimmten Rahmen und Kontexten, sondern auch als Verflechtungen zwischen entfernten Territorien oder Einheiten. Ab einer bestimmten Dichte können Verflechtungen die Grundlage für Gebilde wie das ‚empire‘ oder die ‚sozialistische Staatengemeinschaft' darstellen. Neuere Forschung hat gezeigt, dass nicht nur wirtschaftliche Zusammenhänge, sondern darüber hinaus auch gesellschaftliche, kulturelle, schulische und bildungsbezogene Zusammenhänge entscheidend auf transnationalen Verflechtungen aufbauen.

Literatur

  • Möller, E. & Wischmeyer, J. (Hrsg.) (2013): Transnationale Bildungsräume. Wissenstransfers im Schnittfeld von Kultur, Politik und Religion. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

  • Pernau, M. (2011): Transnationale Geschichte. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) wurden die Grundsteine für das spätere – zunächst am sowjetischen Schulsystem angelehnte, auf den Marxismus-Leninismus orientierte, dann immer mehr eigenständig entwickelte – Volksbildungswesen der DDR gelegt. Nachdem am 27. Juli 1945 auf Befehl der Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung (von 1946 bis 1949 „Deutsche Verwaltung für Volksbildung“) eingerichtet wurde, begann eine intensive Arbeit an einem „Neubeginn“ des Schul-, Erziehungs- und Bildungssystems. Dabei bezog sich der Neubeginn zum einen auf die Instandsetzung der Schulgebäude und die Akquise von Lehrkräften, zum anderen aber auch auf die Aufgabe und Neuentwicklung der bisherigen „nazistischen“ Lehrbücher und -methoden. Im Fokus stand in dieser ersten Phase eine „demokratische Schulreform“, die zur antifaschistischen und „wahrhaft demokratischen“ Bildung und Erziehung beitragen sollte und deren Zielfigur ein einheitliches demokratisches Schulsystem war (vgl. Gemeinsamer Aufruf von KPD und SPD zur demokratischen Schulreform vom 18.10.1945, zit. n. Baske & Engelbert, 1966, S. 5–7). So befassten sich auch der I. und II. der Pädagogischen Kongresse mit der „Demokratisierung“ von Bildung und Schule (vgl. die Protokolle BArch DR2/2 und DR2/7).

In dieser ersten Phase der Differenzierung war das Volksbildungswesen der DDR gegliedert in Kindergarten, Grundschule, Berufsschule, Fachschule, Oberschule, Volkshochschule, Abendschule, Vorstudienanstalten (den späteren Arbeiter- und Bauernfakultäten) sowie Universität und Hochschule. Volksbildung umfasste zunächst alle diese Bildungs- und Erziehungseinrichtungen, aber auch die Jugendhilfe, außerschulische Erziehung, Wissenschaft, Kunst und Kultur, Rundfunk sowie Sport. Die Zuständigkeiten für Sport, Rundfunk, Hoch- und Fachschulwesen, Kunst, Literatur und Film wurden allerdings in den folgenden Jahren sukzessive an andere Organe abgegeben. Spätestens mit der Einrichtung des Ministeriums für Volksbildung am 1. Januar 1950 rückten weitere Entwicklungsthemen in den Fokus. Einerseits wurde in Verlängerung der Anlehnung an das Sowjetische System nun für eine stärkere „Einheit von ideologischer Erziehung und fachlicher Bildung“ argumentiert und diese auch durch Gesetze und Beschlüsse vorangetrieben (vgl. Baske, 1998, S. 170ff.). Andererseits setzte, ausgelöst durch einen Beschluss des SED-Politbüros, eine Diskussion über die „Polytechnisierung“ von Erziehung, Bildung und Unterricht ein. Dem Ministerium für Volksbildung waren das Deutsche Pädagogische Zentralinstitut (DPZI) sowie der Verlag „Volk und Wissen“, in dem die Schulbücher erschienen, unterstellt. Es hatte somit also auch einen bedeutenden Einfluss auf die wissenschaftliche Pädagogik sowie die schul-/lehrplanbezogene Publikationstätigkeit.

Ab Mitte der 1960er-Jahre folgte eine Phase stärkerer Konsolidierung und Vereinheitlichung. Auf Ebene der Bildungsinhalte wurde seit 1964 an einem einheitlichen Lehrplanwerk gearbeitet. Auf Ebene der Strukturen wurde mit dem „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ (25. Februar 1965) diesem seine ausdifferenzierte Form gegeben: Es bestand aus Kinderkrippen (von 1-3 Jahren) und Kindergärten (ab 3 Jahren bis zum Schuleintritt), einer zehnjährigen, verpflichtenden allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule (mit Unter-, Mittel- und Oberstufe; POS) neben sogenannten Spezialschulen für besonders begabte sowie Hilfsschulen und Sonderschuleinrichtungen für „psychisch oder physisch geschädigte“ Kinder und Jugendliche, Einrichtungen der Berufsausbildung, zur Hochschule führende Erweiterte Oberschulen (EOS), Ingenieur- und Fachschulen, Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung der Werktätigen sowie zuletzt Universitäten und Hochschulen. Dabei war das Ministerium für Volksbildung weiterhin auch für Erziehungsheime und die außerschulische Erziehung zuständig. In diesem Sinne wurde auch immer wieder versucht, eine Verbindung zwischen Schul- und Familienerziehung aufzubauen und Massenorganisationen wie die Jungen Pioniere oder die Freie Deutsche Jugend wurden in erzieherische und bildungspolitische Maßnahmen eingebunden.

Unter der bildungspolitischen Maxime „Stabilität und Kontinuität“ blieb das Volksbildungswesen in seinen Strukturen bis in die späten 1980er-Jahre relativ stabil. Durchaus wurden aber didaktische Diskussionen geführt, die auch immer wieder einsetzende Korrekturen am (v.a. durch das DPZI, ab 1970 dann durch die Akademie für pädagogische Wissenschaften (APW) unter Leitung Gerhart Neuners erarbeiteten) Lehrplanwerk nach sich zogen und zusammen mit der Entwicklung neuer Studien- und Lehrprogramme als Korrekturen im Sinne einer Weiterentwicklung verstanden werden können (vgl. Baske, 1998, S. 194ff.). Auch statistisch können trotz der strukturellen Kontinuität von 1965 bis 1980 einige besondere zahlenmäßige Entwicklungen beschrieben werden. So ist der Anteil der Schüler*innen, die die zehnjährige Oberschulpflicht erfüllten von 52,7 % (1965) auf 86,8 % (1980) gestiegen. Der Anteil der EOS-Absolvent*innen am jeweiligen Altersjahrgang ist wiederum zwar von 9,1 % (1966) zunächst auf 9,8 % (1970) gestiegen, jedoch schließlich auf 7,7 % (1980) gesunken. Durch insgesamt sinkende Schüler*innenzahlen und eine steigende Anzahl vollbeschäftigter Lehrkräfte sank die Zahl der Schüler*innen je Klasse von 27,6 (1965) auf 22,6 (1980) an den POS und von 26,1 (1965) auf 20,4 (1980) an den EOS. Obwohl eine gewisse Modernisierung, wie die Aufnahme von Informatik und Computerbildung ins Lehrplanwerk oder das Aufgreifen neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, zu verzeichnen war, kam es insgesamt bis zum Ende der DDR zu keinen tiefgreifenden Reformen mehr.

Literatur

  • Baske, S. (1998): Allgemeinbildende Schulen. In: Führ, C. & Furck, C.-L. (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2, 1945 bis zur Gegenwart. München: Beck, S. 159–201.

  • Baske, S. & Engelbert, M. (Hrsg.) (1966): Zwei Jahrzehnte Bildungspolitik in der Sowjetzone Deutschlands. Dokumente. Erster Teil 1945 bis 1958. Berlin: Hildebrandt & Stephan.

  • Geißler, G. (2000): Geschichte des Schulwesens in der sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik 1945 bis 1962. Frankfurt a.M.: Lang.

Wehrerziehung war ein komplexes System der vormilitärischen Ausbildung der DDR, das in einem biographisch gestaffelten System neben dem schulischen auch alle anderen gesellschaftlichen Bereiche umfasste. Als übergeordnete Aufgabe der Wehrerziehung wurde die Entwicklung des Wehrbewusstseins beschrieben, das „Erkenntnisse, Einstellungen, Emotionen sowie Willensakte und Überzeugungen hinsichtlich der Verteidigung des Sozialismus [beinhaltet und sich] im bewußten persönlichen Beitrag zur Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes“ äußerte (Ilter/Herrmann/Stolz, 1974, S. 30).

In einem engen Begriffsverständnis bezog sich Wehrerziehung auf die vormilitärische Ausbildung im Sinne einer Erlangung von Wehrfähigkeit. In diesem Sinne ging es um militärpraktische Übungen zur Vorbereitung auf eine militärische (und wehrsportliche) Grundausbildung in der Nationalen Volksarmee der DDR (NVA), gleichzeitig um die Gewinnung von Berufsnachwuchs für die NVA. Eine zentrale Rolle spielten hierbei außerunterrichtliche Aktivitäten wie etwa in der Gesellschaft für Sport und Technik (GST). In einem weiten Begriffsverständnis umfasste Wehrerziehung ebenso Funktionen, Aufgaben und Ziele einer wehrpolitischen Erziehung im Sinne eines ideologischen Erziehungsprogrammes. Hier wurde nicht auf eine militärische Verwendbarkeit reduziert, sondern es ging in mindestens gleichem Maße um die Förderung eines spezifischen Bewusstseins und die Ausformung von Wehrbereitschaft und Wehrmotivation. In den Kontext eines solchen weiter gefassten Verständnisses von „Wehrerziehung“ ließen sich vielfältige Elemente der allgemeinen ideologischen Durchdringung des Unterrichts in verschiedenen schulischen Fächern einordnen.

Der Wehrunterricht war eine spezifische, ab dem Schuljahr 1978/79 (schul-)curricular verankerte Form der Wehrerziehung in einem eigenen Unterrichtsfach, in welchem militärpraktische und ideologische Anteile verbunden wurden und das für die Schüler*innen unbenotet blieb (Decker & Koch, 2021, S. 4). Für den Wehrunterricht wurden für die 9. und 10. Klasse je vier Doppelstunden zu Fragen der Landesverteidigung festgelegt. Hinzu kamen über diese Zeit hinweg etwa 3 Wochen Lehrgänge/Ausbildungslager. Während die (theoretischen) Stunden zu Fragen der Landesverteidigung gemeinsam stattfanden, wurden bei der praktischen Ausbildung unterschiedliche geschlechtsspezifische Schwerpunkte gesetzt. Inhaltlicher Fokus für Jungen war die vormilitärische Ausbildung, eng verbunden mit dem Ziel, sie für militärische Berufe zu gewinnen (Lehrplan Lehrgang, 1984). Für Mädchen lag der inhaltliche Schwerpunkt auf der Zivilverteidigung und der Vermittlung von „grundlegende[m] Wissen und Können zum richtigen Verhalten in Gefahrensituationen und zur Durchführung der erforderlichen Maßnahmen zum Schutz des Lebens und der Hilfeleistung“ (ebd., S. 7). Trotz dieser Differenzierung beinhalteten beide Ausbildungsstränge auch Elemente des jeweils anderen (vgl. ebd.).

Literatur

  • Ilter, K./ Herrmann, A./ Stolz, H. (Hrsg.) (1974): Handreichung zur sozialistischen Wehrerziehung. Berlin: Volk und Wissen.

  • Koch, K. & Decker, C. (2021): Zwischen Drill und Lagerfeuerromantik – Wehrerziehung und Wehrunterricht an Hilfsschulen der DDR im Spiegel der Pädagogischen Lesungen. In: Schriftenreihe der Arbeitsstelle der Pädagogischen Lesungen an der Universität Rostock 3, 11.

  • Ministerium für Volksbildung (1984): Lehrplan Lehrgang Zivilverteidigung. DIPF/BBF, 85.448.

‚Wende‘ ist ein Begriff, den Zeitgenoss*innen selbst nutzten, um den fundamentalen Umbruch in der DDR zu bezeichnen, der sich in den Jahren zwischen 1989 und 1990 vollzog. Zwischen den sich ausweitenden Massendemonstrationen, den Aktionen der Bürgerrechts- und Oppositionsbewegung, dem Zerfall der Macht der SED, der Etablierung der Runden Tische, neuen Wahlen, dem Entwurf einer Verfassung – später oft zusammenfassend auch als ‚friedlichen Revolution‘ bezeichnet – und dem zunehmend lauter werdenden Wunsch nach einem gemeinsamen deutschen Staat entwickelte sich eine folgenreiche Dynamik, bis es schließlich am 3. Oktober 1990 zum formalen Beitritt der sogenannten neuen Länder auf dem Territorium der DDR zur Bundesrepublik Deutschland kam. Die ‚Wende‘ vollzog sich auf verschiedenen Ebenen, der Ebene des politischen Systems und der institutionellen Ordnung wie aber auch auf der Ebene der Lebenswelt und des Alltags der Bevölkerung; dabei zeigten sich Ungleichzeitigkeiten und widersprüchliche (Alltags-)Erfahrungen, die sich auch weit über 1989/90 hinaus erstreckten. Die verschiedenen Erfahrungen von Aufbrüchen und Unsicherheiten der Menschen in Ostdeutschland und ihr daraus entstehendes spezifisches Wissen darüber deckten sich keineswegs immer mit einer einfachen Chronologie der politischen Ereignisse und den Veränderungen der rechtlich-politischen Regelungen. Sozial- und Politikwissenschaftler*innen, die diesen Umbruch zeitgenössisch beobachteten und dazu verschiedene Daten – etwa auch in biographischen Interviews – erhoben, sprachen von ihm als von einer ‚Transformation‘ und meinten damit häufig den Übergang zur Marktwirtschaft und zur Demokratie. Während der Historiker Philipp Ther einen tiefgreifenden, das ökonomische und politische System aber auch viele verschiedene Bereiche der Gesellschaft grundlegend verändernden und beschleunigten Prozess einen „Transformationsprozess“ nennt, der seiner Auffassung nach als neoliberale Transformation viele Länder Europas und des früheren ‚Ostblocks‘ – allerdings jeweils unterschiedlich – erfasste (vgl. Ther 2014, S. 28, insb. S. 26-40), hat die Zeithistorikerin Kerstin Brückweh den Begriff einer „langen Geschichte der ‚Wende‘“ geprägt (Brückweh, 2020). Sie adressiert damit die komplexen Prozesse struktureller Umbauten, verschiedener Erfahrungen und des sich ändernden Erinnerns daran. Sie kann gemeinsam mit einer Forschungsgruppe deutlich machen, dass die Geschichte der Veränderungen, die sich um 1989 herum vollzogen, weit zurückreicht und Auswirkungen über die unmittelbare ‚Wende‘-Zeit hinaus hat. Für deren Verständnis ist eine lange Perspektive vonnöten. In den Blick genommen werden sollte auf jeden Fall der zwischen der Mitte der 1970er-Jahre und etwa 2000er-Jahre liegende Zeitraum, um möglichst viele Entwicklungsaspekte und Phänomene zu erfassen (Brückweh, Villinger, Zöller, 2020). Gerade für die Institution Schule konnte gezeigt werden, wie sich deren langlebige Strukturen und mit ihr zusammenhängende Mentalitäten und Vorstellungen der Akteure – vor allem das Paradigma der ‚Leistung‘ und die Idee der ‚Meritokratie‘, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts herausbildeten – gegenseitig angesichts der Herausforderungen durch die ‚Wende‘ verstärkten und Schule als Lebenswelt stabilisierten, auch wenn die Strukturen des Schulsystems sehr wohl nach 1990 verändert wurden und sich denen in der alten Bundesrepublik annäherten. Dass Erfahrungen in der Schule nicht zwangsläufig gut waren, auch wenn die Erinnerung an die Schulzeit positiv ist, zeigt sich nicht nur im Rückblick auf die DDR, aber eben auch in der „langen Geschichte der ‚Wende‘“ (Zöller, 2020).

Literatur

  • Brückweh, K. (2020): Die lange Geschichte der „Wende“ – Lebenswelt und Systemwechsel in Deutschland vor, während und nach 1989. In: Deutschland Archiv, 08.09.2020. (Abruf 26.05.2024: www.bpb.de/314982).

  • Brückweh, K. /Villinger, C. /Zöller, K. (Hrsg.) (2020): Die lange Geschichte der Wende. Geschichtswissenschaft im Dialog. Berlin: Ch. Links.

  • Ther, P. (2014): Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Eine Geschichte des neoliberalen Europa. Berlin: Suhrkamp.

  • Zöller, K. (2020): Erinnerung, Wandel und Neubewertung – Die Schulzeit in der langen Geschichte der „Wende“. In: Deutschland Archiv, 18.09.2020. (Abruf 26.05.2024: www.bpb.de/315771).

Der Begriff der ‚wissenschaftlich-technischen Revolution‘ wurde 1961 in einem „einflussreichen Werk“ von J.D. Bernal geprägt, bezeichnete ursprünglich eine globale Entwicklung und kam über eine Übersetzung von Ludwig Boll in den Sprachgebrauch der DDR (Laitko, 1996, S. 35). Dabei wurde die ‚wissenschaftlich-technische Revolution‘ als ein Prozess zunehmender Verwissenschaftlichung der Produktionsmittel sowie der Arbeitsformen bzw. -organisationen und der stetigen Anhebung des Bildungsniveaus bzw. steigender Qualifikation der Arbeitenden verstanden (vgl. Bialas, 1978).

Vor dem Hintergrund des sogenannten Systemwettstreits des Kalten Krieges spielte das Konzept der ‚wissenschaftlich-technischen Revolution‘ in der DDR eine wichtige Rolle. Dabei war die marxistische Interpretation ökonomischer Entwicklungen nach 1945 grundlegend: Sprach man zunächst von einer ‚Zweiten industriellen Revolution‘, die als stark technisch geprägt verstanden wurde, wurde nun auch eine wissenschaftliche Revolution diagnostiziert. Da eine grundsätzliche Wichtigkeit des Verständnisses exakter Naturwissenschaft für das Fortkommen sozialistischer Gesellschaften angenommen wurde, galt es für die Eingliederung der Wissenschaft als ‚Produktivkraft‘ zu sorgen. Die wissenschaftlichen und industriellen Entwicklungen der ‚wissenschaftlich-technischen Revolution‘ hätten den Prozess der Entwicklung der Naturwissenschaft zu einer unmittelbaren Produktivkraft erheblich beschleunigt und im Kommunismus könne dieser Prozess schließlich vollendet werden – so das Philosophische Wörterbuch der DDR von 1964 (Klaus & Buhr, 1964, S. 615).

Nicht zuletzt im Bildungsbereich wurde dieses Verständnis gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen genutzt, um Reformen als gesamtgesellschaftlich relevant zu begründen. Gerhart Neuner, Direktor der Akademie für Pädagogische Wissenschaften (APW) bestimmte 1970 die ‚wissenschaftlich-technische Revolution‘ als zeitbestimmende Tendenz, infolge derer Technisierung und Verwissenschaftlichung die Industrie und das gesellschaftliche Leben gleichermaßen durchdringen würden, und das Bildungswesen der DDR habe dem mit seiner Lehrplanreform Rechnung zu tragen.

Literatur

  • Abele, J. (2009): Technik und nationale Identität in der DDR. In: Schleiermacher, S. & Pohl, N. (Hrsg.): Medizin, Wissenschaft und Technik in der SBZ und DDR. Organisationsformen, Inhalte, Realitäten. Husum: Matthiesen, S. 243–258.

  • Bialas, V. (1978): Die Konzeption der wissenschaftlich-technischen Revolution und die historische Kategorie ‚Wissenschaftlich-technische Revolution‘. In: Sandkühler, H. J. (Hrsg.): Die Wissenschaft der Erkenntnis und die Erkenntnis der Wissenschaft. Stuttgart: Metzlersche Verlagsbuchhandlung, S. 362–369.

  • Klaus, G. & Buhr, M. (Hrsg.) (1964): Philosophisches Wörterbuch. 1. Aufl. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts.

  • Laitko, H. (1996): Wissenschaftlich-technische Revolution: Akzente des Konzepts in Wissenschaft und Ideologie der DDR. In: Utopie kreativ 7, S. 33–50.

  • Neuner, G. (1970): Wissenschaftlich-technische Revolution und Bildungsreform in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). In: Internationale Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 16, 3, S. 286–297.