Glossar

Im „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ von 1965 wurde mit der Formulierung von der „Bildung und Erziehung allseitig und harmonisch entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten“ (§1, Abs. 1) das übergreifende Ziel des sozialistischen Bildungssystems der DDR benannt. Die „sozialistische Persönlichkeit“ sollte sich durch Treue zur SED, durch Liebe zur Heimat DDR und zur Arbeit sowie durch die Bereitschaft zum Klassenkampf auszeichnen. Trotz dieser klaren Implikationen haftet der Formel auch etwas Unbestimmtes an. Dies betrifft etwa die Vorgabe, der „Allseitigkeit“ sowie der „harmonischen Entwicklung“, die auch an das Humboldt‘sche Bildungsideal aus dem 19. Jahrhundert anknüpfte. Genau diese Unbestimmtheit ermöglichte jedoch Formen der staatlichen Kontrolle und der spezifischen Auslegung bei der Verfolgung von Personen, die dem Ideal der „sozialistischen Persönlichkeit“ vermeintlich nicht entsprachen. Damit war die Erziehung zur „sozialistischen Persönlichkeit“ ein zentraler Bestandteil des Aufbaus des Sozialismus und seines Erziehungs- und Bildungssystems sowie der Hervorbringung des „neuen Menschen“ (Droit, 2014). Neben der schulischen Bildung und Erziehung wurden auch die außerschulischen Bereiche der Kinder- und Jugendorganisationen der DDR, d.h., die Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ und die FDJ in das Bildungssystem integriert. Sie alle einte das Ziel der „Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit“. Dies betraf auch das gesamte Spektrum der Bildungsmedien, die zur Erziehung der „sozialistischen Persönlichkeit“ beitragen sollten (Baader, Koch/Neumann 2025 i.E.).

In der Schule bedeutete diese Zielvorgabe eine Orientierung an der offiziellen staatlichen Lehre des Marxismus-Leninismus. Auch wenn den Lehrkräften in den einzelnen Unterrichtsfächern ein gewisser Spielraum in der Umsetzung und Gestaltung blieb, war abweichendes Verhalten für Schüler*innen oft mit Repressionen verbunden. Die Wirksamkeit der Erziehung zur „sozialistischen Persönlichkeit“ im Sinne der SED wurde durch das Ministerium für Volksbildung erforscht und der erwartete Erfolg durch das Ministerium für Staatssicherheit überwacht. Aus Sicht der SED blieb die Herausbildung „allseitig gebildeter sozialistischer Persönlichkeiten“ trotz aller Bemühungen bis zum Ende der DDR defizitär, denn die Umsetzung der theoretisch-ideologischen Vorgaben in die gesellschaftliche und pädagogische Praxis war problematisch und ließ sich bis zur ‚Friedlichen Revolution' nicht einlösen.

Literatur

  • Baader, M. S./Koch, S./Neumann, F. (2025): Die Zukunft des sozialistischen Kindes. Zur öffentlichen und privaten Erziehung in Bildungsmedien der DDR. In: Betz, T.& Cloos, P.(Hrsg.): Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern zwischen privater und öffentlicher Verantwortung. Weinheim: Beltz (i.Vb.).

  • Droit, E. (2014): Vorwärts zum neuen Menschen? Die sozialistische Erziehung in der DDR (1949-1989). In: Bösch, F./ Sabrow, M./ Leibniz-Zentrum für zeithistorische Forschung (Hsrg.): Zeithistorische Studien, 54. Köln: Böhlau.

  • Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem (1965). (Abruf 22.04.2024: https://ghdi.ghi-dc.org/sub_do...).

Die ‚außerschulische und außerunterrichtliche Tätigkeit' wurde in der DDR als besonderes Merkmal der Bildung und Erziehung der jungen Generation gesehen (Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem, 1965, § 6 (2)). Maßnahmen hierzu galten als Instrumente einer sinnvollen Freizeitgestaltung ebenso wie der Begabungsförderung und der Persönlichkeitsbildung auf den Grundsätzen der Einheit von Bildung und Erziehung (Gesetz über die Teilnahme der Jugend der Deutschen Demokratischen Republik am Kampf um den umfassenden Aufbau des Sozialismus und die allseitige Förderung ihrer Initiative bei der Leitung der Volkswirtschaft und des Staates, in Beruf und Schule, bei Kultur und Sport, 1964, § 11(1)).

Tätigkeitsfelder, in denen Schüler*innen und Lehrlinge sich ihren Neigungen, Fähigkeiten, Begabungen und Talenten entsprechend betätigen konnten, waren wesentliche, staatspolitische bedeutsame Gebiete der Wissenschaft bzw. Naturwissenschaft, der Technik, des Sports und der Kultur. Zahlreiche außerschulische Träger, etwa die sogenannten Pionierhäuser, Sportvereine, größere Betriebe und diverse staatliche Gesellschaften, bedienten eine Vielzahl von Interessenrichtungen. Schon in den 1950er-, mehr noch seit den 1960er-Jahren entstand zudem eine Vielzahl sogenannte schulischer Arbeitsgemeinschaften (AGs). Sie waren einschließlich des Schulhorts geeignet, zur Ergänzung und Vertiefung des regulären Unterrichts beizutragen sowie Kinder und Jugendliche weitmöglichst an die Schule zu binden. Mit Beginn des Schuljahres 1970/71 wurden für die Klassen 9 und 10 der POS 22 Ar-beitsgemeinschaften nach Rahmenprogramm (AGR) eingeführt. Dieses Nachmittagsangebot eines mit zwei Wochenstunden über zwei Schuljahre fakultativen, nicht benoteten Unterrichts ging im Anspruch über das weitgefächerte System sonstiger AGs und Zirkel hinaus, blieb aber zugunsten des ‚Einheitsprinzips' von einer durchgreifenden Differenzierung etwa im Sinne eines Kursunterrichts weit entfernt. Angenommen wurde es bei erheblichen Unterschieden an den Einzelschulen insgesamt von etwas mehr als ein Drittel der Schulpflichtigen. Vor allem beteiligten sich jene, die nach Klasse 10 den Übergang zur EOS anstrebten.
Im Vergleich zum sonst üblichen, streng systematisierten schulischen Lernen in der POS konnte die außerschulische und außerunterrichtliche Tätigkeit als ein gewisser Freiraum sowohl inhaltlicher als auch methodischer Art erlebt werden, ohne dass damit die übergreifenden staatlichen Bildungs- und Erziehungsziele etwas von ihrer Geltung verloren hätten.

Literatur

  • Adam, H. & Eichler, W. (1990): Versäumnisse und Chancen. Alte und neue Versuche zur Strukturierung der Bildungsinhalte der DDR-Schule. Braunschweig: Technische Universität Verlag.

  • Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem (1965). (Abruf 22.04.2024: https://ghdi.ghi-dc.org/sub_do...).

  • Gesetz über die Teilnahme der Jugend der Deutschen Demokratischen Republik am Kampf um den umfassenden Aufbau des Sozialismus und die allseitige Förderung ihrer Initiative bei der Leitung der Volkswirtschaft und des Staates, in Beruf und Schule, bei Kultur und Sport (1964). (Abruf 30.04.2024: https://www.verfassungen.de/dd...).

In diversen Bezugnahmen auf Bildungs- und Erziehungsprozesse, in pädagogischen Diskursen, in Bildungsmedien ebenso wie in begleitenden und retrospektiven Berichten, (auto-)biographischen Erzählungen und ästhetischen Darstellungen finden sich unterschiedliche Elemente, Motive und Ideen über Bildung und Erziehung, die ein mythisierendes Potenzial aufweisen. Bildungsmythen sind grundlegende Erzählungen, manche sagen hier, weil sie sich oft wiederholen, auch „Narrative“, in denen unterschiedlichen Ideen und Motiven über Bildung und Erziehung zusätzliche Sinndimensionen verliehen werden und der Begriff der Bildung selbst in besonderer Weise aufgeladen wird. So hat Jessen (2004) ein immer wieder für die deutsche Bildungsgeschichte beschriebenes Deutungsmuster (Bollenbeck, 1994) charakterisiert, in dem eine besondere Form der Verschränkung der National- mit einer Bildungs- als Kultursemantik stattfand. Sie leitete im 19. Jahrhundert Wahrnehmungen, veranlasste Institutionalisierungen und motivierte auch das Verhalten einer geisteswissenschaftlichen Bildungselite, auch wenn gegen sie schließlich andere Ideen, etwa die eines Bildungswertes der Wissenschaften und auch der Naturwissenschaften, aufgeboten wurden (vgl. z.B. zur Auseinandersetzung um den ‚Bildungswert‘ der Naturwissenschaft Brüggemann, 1967; Daum, 1998). Bildungsmythen in dem hier genutzten Sinne bestehen aus verschiedenen Elementen, aus Bildern und anderen Versatzstücken, die immer wieder im Zusammenhang mit dem Konzept der Bildung und dem der Erziehung, wie sie sich vor allem in Europa in den letzten etwa 250 Jahren im Zusammenhang mit der Entstehung von Bildungssystemen herausgebildet haben, aufgerufen und neu in Umlauf gesetzt werden. Ein solches mythisierendes Potenzial hat z.B. die Idee eines legitimen, umfassenden Bildungsanspruches für alle Menschen, einer ‚Bildung für alle', zu dem Erzählungen, etwa der sich dafür einsetzenden pädagogischen Helden, von Lehrkräften aber auch Schulpolitiker*innen, die versuchen, diesen Anspruch auf die eine oder andere Weise durchzusetzen oder des armen, sozial benachteiligten, an Bildung zwar interessierten, aber keinen Zugang dazu besitzenden und sich schließlich doch bildenden Kindes gehören. Gegenerzählungen dazu ranken sich um die Ideen einer „Freien Bahn dem Tüchtigen“ oder um die des hochbegabten Kindes. Auch die Vorstellung von einer „schönen Kindheit“ hat mit verschiedenen Elementen – etwa dem freien und unbeaufsichtigten Zugang zur Natur – eine mythisierende Kraft und kann einem Bildungsmythos dienen. Für das Handeln von Akteuren und das Wirken von Institutionen im pädagogischen Feld, sowohl innerhalb von Organisationen selbst, in den pädagogischen Diskursen des Feldes, in Selbstdarstellungen und in der Bildungspolitik wirken solche Bildungsmythen verbindend und orientierend. Beobachtbar sind im pädagogischen Feld und zu unterschiedlichen Zeiten, in verschiedenen Zeitperioden und in spezifischen Kontexten Einsprüche und Widersprüche, Kämpfe und Auseinandersetzungen um solche Bildungsmythen, um ihre Deutung und individuelle Aneignung.

Literatur

  • Bollenbeck, G. (1994): Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters. Frankfurt a.M.: Insel Verlag.

  • Brüggemann, O. (1967): Naturwissenschaft und Bildung. Die Anerkennung des Bildungswertes der Naturwissenschaften in Vergangenheit und Gegenwart. Heidelberg: Quelle & Meyer.

  • Daum, A. W. (1998): Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert. Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und deutsche Öffentlichkeit, 1848–1914. München: Oldenbourg.

  • Jessen, R. (2004): Zwischen Bildungsökonomie und zivilgesellschaftlicher Mobilisierung. Die doppelte deutsche Bildungsdebatte der sechziger Jahre. In: Haupt, H.-G. (Hrsg.): Aufbruch in die Zukunft – die 60er Jahre zwischen Planungseuphorie und kulturellem Wandel. DDR, CSSR und Bundesrepublik Deutschland im Vergleich. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft, S. 209–231.

Mit dem Begriff der „Bildwürdigkeit“ wird angezeigt, dass nicht alles gleichermaßen für Wert gehalten wird, ins Bild gesetzt und damit gerahmt sowie herausgestellt zu werden.

Den Begriff „bildwürdig“ entwickelte Irene Dölling unmittelbar im Rahmen ihrer Analysen zu stereotypen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit in der DDR. Damit weist die Entstehung des Begriffs einen direkten Gegenstandsbezug zur Frage nach den Geschlechterverhältnissen in Bilderwelten der DDR auf. Dölling untersuchte dafür Fotos in auflagenstarken Zeitschriften der DDR, die „Frauen und Männer in ihrer Alltagsrealität zeigen“ (Dölling, 1991, S. 7). Ausgehend von der These, dass es insbesondere im Hinblick auf die Verteilung der Produktions- und Reproduktionsarbeit zwischen den Geschlechtern keine Gleichberechtigung in der DDR gab und bis zum Ende der DDR diese grundsätzliche „Trennung nicht beseitigt“ (ebd., S. 197) wurde, kann Dölling anhand der Bilder zeigen, dass die traditionellen Geschlechterverhältnisse trotz Berufstätigkeit der Frauen „weitgehend ungebrochen“ blieben (ebd., S. 8; vgl. auch für die Illustrationen in Schul- und Kinderbücher der DDR Baader/Koch/Neumann, 2023).

Hintergrund der Bildanalysen von Dölling sind zwei grundsätzliche bildtheoretische Annahmen, nämlich, dass Bilder eine hohe Kraft der Faszination entfalten und, dass sich in Bildern gesellschaftliche und politische „Vorstellungen und Normen“ zeigen (Dölling, 1991, S. 8). Im Rahmen ihrer „Kulturgeschichte der Geschlechterverhältnisse für die DDR“ (ebd., S. 9) maß Dölling Bildern eine große Bedeutung zu und untersuchte u.a., „welche Seiten des Lebens von Frauen und Männern ins Bild beziehungsweise nicht ins Bild kommen, das heißt nicht bildwürdig sind“ (ebd., S. 7). Die Frage nach der Bildwürdigkeit hat bei Dölling eine heuristische als auch methodische Dimension mit Blick auf die Analyse von Lebens- und Geschlechterverhältnissen, die einerseits den Blick auf die Geschlechterverhältnisse schärft und andererseits wichtige Ergebnisse zur gesellschaftlichen Positionierung von Frauen produziert. Zentrale Ergebnisse dieser Studie lassen sich an der „Charakterfigur der berufstätigen Mutter“ (ebd., S. 197) verdeutlichen. Mütterlichkeit wird bspw. bildlich durch die „Symbiose von Frauen- und Kinderkörpern“ (ebd., S. 201) inszeniert, wodurch sich die Vorstellung vermittelt, „daß Frauen eine ‚andere Bestimmung‘ haben als Männer“ (ebd.). Zugleich aber wird die Hausarbeit durch die dominante Darstellung der Berufstätigkeit von Frauen bildlich „an den Rand gedrängt“, (ebd., S. 200), indem diese „keine anschauliche Gestalt“ (ebd., S. 211) erlangte. Ins Bild gesetzt wurde vielmehr die gelungene Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Mutterschaft als Ergebnis einer sozialistischen Erwerbs- und Familienpolitik, nicht oder nur sehr selten ins Bild gesetzt wurde hingegen die damit verbundene Doppelbelastung von Frauen (vgl. ebd., S. 208ff).

Literatur

  • Baader, M. S./ Koch, S./ Neumann, F. (2023): Von Soldaten und Lehrerinnen. Geschlechterverhältnisse in Bildungsmedien der DDR. In: Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 69, S. 21–39.

  • Dölling, I. (1991): Der Mensch und sein Weib. Frauen- und Männerbilder. Geschichtliche Ursprünge und Perspektiven. Berlin: Dietz Verlag.

Als ‚bürgerliche Pädagogik‘ wurde in der DDR die sich seit dem 18. Jahrhundert von der Philosophie ablösende und zu einer eigenständigen Wissenschaft von der Erziehung entwickelnde Theorie und Forschung bezeichnet. Geleitet vom ‚marxistisch-leninistischen‘ Umgang mit dem bürgerlichen Erbe unterschied man in der DDR zunächst grundsätzlich zwischen einer ‚progressiven‘ bzw. ‚klassischen‘ bürgerlichen und einer spätbürgerlichen resp. ‚imperialistischen‘ Pädagogik, die sich seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts herausbildete. Die sog. klassische bürgerliche Pädagogik wurde als ‚fortschrittliche‘ Tradition rezipiert und positiv bewertet. Intensiv beschäftigte man sich in der DDR etwa mit der Pädagogik Wolfgang Ratkes (1571–1635) und Jan Amos Komenskys (1592–1670), aber auch mit der von Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827), Friedrich Wilhelm August Fröbel (1782–1852) und von Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg (1790–1866). Im Ergebnis entstanden hierzu zahlreiche Zeitschriftenaufsätze, Monografien und Editionen. Die in der DDR sogenannte imperialistische oder spätbürgerliche Pädagogik – dazu zählte auch die Reformpädagogik – wurde hingegen ausgesprochen kritisch gesehen; sie galt als Gegenstand politisch-ideologischer Auseinandersetzungen zwischen der ‚revolutionären Arbeiterbewegung' und bürgerlich-reaktionären Bewegungen auf Seiten des ‚Klassengegners'. In den 1980er-Jahren geriet im Kontext der geschichtswissenschaftlichen Diskussion der DDR über ‚Erbe und Tradition' zunehmend auch die Darstellung von nicht-marxistischer Pädagogik in die Diskussion. Zu einer durchgreifenden Revision bisheriger Bewertungen kam es jedoch nicht, auch wenn reformpädagogische Strömungen nun differenzierter gesehen wurden.

Literatur

  • Günther, K.-H. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1987): Geschichte der Erziehung. 14. Aufl. Berlin: Volk und Wissen.

  • Tenorth, H.-E. & Wiegmann, U. (2022): Pädagogische Wissenschaft in der DDR. Ideologieproduktion, Systemreflexion und Erziehungsforschung. Studien zu einem vernachlässigten Thema der Disziplingeschichte deutscher Pädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Als didaktische Grundprinzipien oder Grundprinzipien des Unterrichts wurden in der DDR eine Anzahl von didaktischen Vorgaben bezeichnet, die die Unterrichtsgestaltung in der allgemeinbildenden Schule betrafen. Bis heute finden sich in erziehungswissenschaftlichen und bildungspolitischen Diskursen über die DDR starke Bezüge zu einigen dieser Prinzipien.

Mit der „Verordnung über die Unterrichtsstunde als Grundform der Schularbeit, die Vorbereitung, Organisation und Durchführung der Unterrichtsstunde und die Kontrolle und Beurteilung der Kenntnisse der Schüler“ (MfV, 1950) wurden die didiaktischen Prinzipien während einer bis Juni 1953 andauernden Sowjetisierungsphase ministeriell festgelegt. Diese Verordnung hatte einen Beschluss über die „Lehrpläne und die Schulordnung der Grund- und Mittelschule“ des ZK der KPdSU von 1932 zum Vorbild und orientierte sich am Schulunterricht stalinistischer Prägung (vgl. Anweiler & Meyer, 1961, S. 33-37) ebenso wie an vergleichsweise konservativen Vorstellungen aus deutscher Schultradition. Die Prinzipien waren zumeist auf Synthesen hin dimensioniert. So wurde z.B.: mit dem Prinzip des „systematischen Charakters des Unterrichts“ eine Ausrichtung der Inhalte an aktuelle Erkenntnissen der jeweiligen Fachwissenschaften verbindlich vorgeschrieben, gleichzeitig aber der wissenschaftlichen Grundlage parteiliche Funktion und Dimension zugewiesen: „Die Verbindung der Wissenschaftlichkeit des Unterrichts mit der Erziehung der Schüler zu fortschrittlichen Demokraten (…) im Kampf um den Frieden (…), die Einheit Deutschlands (…), die Umgestaltung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse“. Dieser Duktus richtete sich vorrangig gegen alle didaktischen und methodischen Ansätze, die in der Nähe sog. „bürgerlicher Schulreformer“ (MfV, 1950, II) verortet und als „reaktionär“ und „imperialistisch“, verlangte neben vermehrter Strukturierung und Standardisierung in der Unterrichtsgestaltung auch „Faßlichkeit“, wechselnder Einsatz von Unterrichtsmethoden und Bezugnahmen auf die jeweiligen Bedürfnisse der Schüler*innen.

In der Schulordnung von 1959 (MfV, 1959) und den Gesetzesvorgaben zum einheitlichen sozialistischen Bildungssystem eher fragmentarisch enthalten, blieben diese Prinzipien auch weiterhin kennzeichnend für Theorie und weithin auch die Praxis in der Schule. So wurden noch 1987 im Pädagogischen Wörterbuch der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften (APW) z.B.: „die Einheit von Wissenschaftlichkeit und Parteilichkeit“, die „Verbindung von Theorie und Praxis“, „das Prinzip des individuellen Eingehens auf die Persönlichkeit des Schülers auf der Grundlage der Arbeit mit dem Schülerkollektiv“ und das „Prinzip der führenden Rolle des Lehrers und der Selbstätigkeit der Lernenden“ als „aus den Zielen und Gesetzmäßigkeiten des Unterrichts“ abgeleitete Kategorien (Laabs et al., 1987, S. 84-85) definiert. Das oft auf die ‚führenden Rolle des Lehrers‘ begrenzte Prinzip entwickelte sich zu einem zentralen Terminus in Lehrerbildung und Didaktik. Wie die anderen Prinzipien wurde es einerseits auf fachliche, andererseits auch gesellschaftspolitische Anforderungen bezogen. Es war über die Jahre der DDR hinweg prägend für die Arbeit im Unterricht und in der Schule überhaupt

Literatur

  • Anweiler, O.&Meyer, K. (Hrsg.) (1961): Die sowjetische Bildungspolitik seit 1917. Dokumente und Texte. Heidelberg: Quelle & Meyer.

  • Laabs, H. J./ Dietrich, G./ Drefenstedt, E./ Günther, K.-H ./ Heidrich, T./ Herrmann, A./ Kienitz, W./ Kühn, H./ Naumann, W./ Pruß, W./ Sonnschein-Werner, C./ Uhlig, G. (Hrsg.) (1987): Pädagogisches Wörterbuch. Berlin: Volk und Wissen.

  • Ministerium für Volksbildung (Hrsg.) (1950): Verordnung über die Unterrichtsstunde als Grundform der Schularbeit, die Vorbereitung, Organisation und Durchführung der Unterrichtsstunde und die Kontrolle und Beurteilung der Kenntnisse der Schüler. Berlin: Ders.

  • Ministerium für Volksbildung (Hrsg.) (1959): Verordnung über die Sicherung einer festen Ordnung an den allgemeinbildenden Schulen – Schulordnung, 12.11.1959. In: Günther, K.-H. (Hrsg.) (1969): Dokumente zur Geschichte des Schulwesens in der Deutschen Demokratischen Republik. Teil 2: 1956–1967/68. Berlin: Volk und Wissen, S. 303.

Wenn Erwachsene erwerbstätig sind und zugleich die Hauptverantwortung für die Erziehung und Betreuung von Kindern, für die Versorgung weiterer Personen sowie für den Haushalt tragen, kann dies als „Doppelbelastung“ bezeichnet werden. Da von dieser Konstellation historisch, systemübergreifend wie aktuell Frauen deutlich stärker betroffen sind, ist der Begriff der Doppelbelastung im Kontext der politischen, soziologischen wie historischen Auseinandersetzungen mit der Erwerbstätigkeit von Frauen entstanden. Von Doppelbelastung war erst die Rede, „als sich mit der Durchsetzung industriell kapitalistischer Produktionsverhältnisse die Anforderungen (z.B. Zeitstrukturen) häuslicher, bedarfsorientierter und außerhäuslicher, erwerbsmäßiger Arbeit auseinander zu entwickeln begannen“ (Ostner, 1983, S. 57). Während der Begriff historisch zunächst mit Blick auf die Folgen für den Ehemann benutzt wurde, geriet nach 1945 die Belastung der Frauen durch die verschiedenen Formen der Arbeit, die Erwerbs- und die Hausarbeit, zunehmend in den Blick (ebd.). In der Folge untersuchten sogenannte Zeitbudgetstudien in der alten Bundesrepublik regelmäßig, wieviel Zeit berufstätige Frauen und Männer für die Kindererziehung, für Sorgetätigkeit und für die Hausarbeit aufbringen. Dabei zeigt sich über Jahrzehnte bis heute der gleiche Trend: die Erwerbstätigkeit von Frauen geht nicht mit Kindererziehungs- und Hausarbeitszeiten der Männer einher.

In der DDR zielte sowohl die Arbeits- als auch die Familienpolitik auf die erwerbstätige Frau. Die Erwerbstätigkeit war dabei zugleich der Maßstab für die Gleichberechtigung der Frau, wie sie im Staatsvertrag der DDR festgeschrieben war. Allerdings war es auch in der DDR so, dass Kindererziehung und Hausarbeit gewissermaßen selbstverständlich primär Aufgabe der Frauen waren. Soziologisch gesprochen war dadurch die doppelt vergeschlechtlichte Vergesellschaftung, also die im Produktionsbereich und die im privaten Reproduktionsbereich (vgl. Becker-Schmidt, 2003), auch in der DDR de-thematisiert worden. Damit hatte der in der DDR ‚real existierende Sozialismus‘ die Geschlechterungleichheit in der Praxis nicht lösen können, sondern kam über eine „halbierte Gleichberechtigung“ (vgl. Baader/Koch/Neumann, 2023), bei der die Doppelbelastung nach wie vor vorrangig Frauen betraf, nicht hinaus. Aus der marxistischen Theoriearbeit innerhalb der DDR wurde weder die Naturalisierung der Zuständigkeit der Frauen für die private Reproduktion noch die gesellschaftliche Hierarchisierung von Produktion und Reproduktion infrage gestellt.

Literatur

  • Baader, M. S./ Koch, S./ Neumann, F. (2023): Von Soldaten und Lehrerinnen. Geschlechterverhältnisse in Bildungsmedien der DDR. In: Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 69, S. 21–39.

  • Becker-Schmidt, R. (2003): Zur doppelten Vergesellschaftung von Frauen. Soziologische Grundlegung, empirische Rekonstruktion. In: gender… politik … online, S. 1–18. (Abruf 07.05.2024: https://www.fu-berlin.de/sites...).

  • Ostner, I. (1983): Doppelbelastung. In: Beyer, J./ Lamott, F./ Meyer, B. (Hrsg.): Frauenhandlexikon. Stichworte zur Selbstbestimmung. München: Beck, S. 55–57.

Der Begriff ‚Einheitsschule‘ beschrieb im bildungspolitischen und pädagogischen Selbstverständnis der DDR das auf einheitlichen inhaltlichen und weltanschaulichen Prinzipien aufgebaute und in den Schul- bzw. Bildungsgesetzen von 1946, 1959 und 1965 festgelegte ohne frühe Selektierung strukturell durchgängige Bildungssystem vom Kindergarten bis zur Hochschule. Dies galt als Bedingung für die Verwirklichung einer in der Pflichtschule gleichen, grundlegenden Allgemeinbildung, die das Ziel hatte, ‚allseitig und harmonisch entwickelte Persönlichkeiten‘ heranzubilden.

Über den Zugang zu höherer Bildung entschieden schulische Leistungen, Fähigkeiten, Begabungen sowie soziale, politische und ökonomische Kriterien in unterschiedlicher Gewichtung und mit zum Teil gravierenden sozialen Konsequenzen in der Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR. Der aus der Tradition ‚fortschrittlicher‘ bürgerlicher Bildungsbestrebungen abgeleitete Begriff bezeugte den Willen, auf Einheitlichkeit etwa des Unterrichtsinhalts ohne sonderliche Rücksicht auf die Individualität der Schülerinnen und Schüler zu beharren und sich über die schulische Logik der Erzeugung von Differenz hinweg zu setzen. Komplexe praktische, vor allem soziale und wirtschaftliche Wirkungen eines solchermaßen durchgesetzten Einheitsprinzips wurden weitgehend ignoriert. Die Durchsetzung von Gleichheit zu Ungunsten der Förderung von Begabungen sowie individueller Neigungen und Bildungsinteressen bei gleichzeitig widerwilligen bildungspolitischen Konzessionen gegenüber ökonomischen Notwendigkeiten etwa in Gestalt sog. Spezialschulen oder eines fakultativen Unterrichts war die Folge. In der zweiten Existenzhälfte der DDR wurde über das Verhältnis von Einheitlichkeit und Differenzierung diskutiert und daraus didaktische Folgerungen in Gestalt einer sog. ‚inneren Differenzierung‘ gezogen.

Literatur

  • Drewek, P. (1997): Begriff, System und Ideologie der Einheitsschule. Ein Kommentar zu Gerhart Neuners Beitrag über „Das Einheitsprinzip im DDR-Bildungswesen“. In: Zeitschrift für Pädagogik 14, 4, S. 639–657.

  • Frankiewicz, H. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1963): Pädagogische Enzyklopädie. 2 Bde. Berlin: Deutscher Verlag der Wissenschaften.

  • Geißler, G. (1997): Die konsequente Realisierung des Einheitsprinzips. Bemerkungen, veranlaßt durch einen Analyseversuch Gerhart Neuners. In: Zeitschrift für Pädagogik 14, 4, S. 659–673.

  • Laabs, H. J./ Dietrich, G./ Drefenstedt, E./ Günther, K.-H ./ Heidrich, T./ Herrmann, A./ Kienitz, W./ Kühn, H./ Naumann, W./ Pruß, W./ Sonnschein-Werner, C./ Uhlig, G. (Hrsg.) (1987): Pädagogisches Wörterbuch. Berlin: Volk und Wissen.

  • Waterkamp, D. (1985): Das Einheitsprinzip im Bildungswesen der DDR. Köln, Wien: Böhlau.

Erinnerungen lassen sich aus kulturwissenschaftlicher Perspektive als soziale Phänomene beschreiben (vgl. Moller, 2010). Individuelle Erinnerungen werden durch das soziale und kulturelle Umfeld geprägt, beispielsweise durch Gespräche mit Anderen oder auch aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen. Da in Erinnerungen aus heutiger Perspektive auf frühere Erfahrungen und Erlebnisse geblickt wird, hat die Gegenwart einen bestimmten Einfluss auf Erinnerungen. Das, was Menschen erinnern, wird in gegenwärtigen sozialen Interaktionen immer wieder abgerufen und weiter ausgebildet. So sind Erinnerungen für die Gruppe, in der sie weitergegeben werden, identitätsbildend. Erlebnisse und Erfahrungen, die nicht abgerufen werden, geraten über die Zeit in Vergessenheit (vgl. Welzer, 2011). Somit sind Erinnerungen immer selektiv und perspektivisch (vgl. Assmann, 2013). Neben den sozialen Interaktionen, die die Auswahl der Erinnerungen leiten, sind auch Emotionen bedeutsam für die Bildung von Erinnerungen. Kulturwissenschaftliche Studien haben in diesem Zusammenhang belegt, dass aufgrund der Emotionalisierung auch Filme oder Erzählungen Anderer als eigene Erinnerungen wahrgenommen werden können (vgl. u.a. Welzer, Moller, Tschuggnall, 2002).

Neben individuellen und gemeinschaftlichen Erinnerungen existiert auch eine öffentliche Erinnerungskultur (Assmann, 2013). Hierunter fallen bspw. Gedenktage, mediale Darstellungen oder Gedenkstätten. Im Hinblick auf die Erinnerung an die DDR lassen sich nach Martin Sabrow (2009) drei verschiedene Erinnerungsdimensionen in Bezug auf die DDR ausmachen: Das Diktaturgedächtnis, das Arrangementgedächtnis und das Fortschrittsgedächtnis. Das Diktaturgedächtnis fokussiert auf das politische System und dessen repressive Seiten. Das Arrangementgedächtnis umfasst die Erinnerung an das ‚richtige Leben im falschen‘ und das Fortschrittsgedächtnis stellt die sozialistischen Errungenschaften in den Vordergrund, wie die vermeintlich gleichberechtigtere Rolle der Frau.

Literatur

  • Assmann, A. (2013): Das neue Unbehagen in der Erinnerungskultur. Eine Intervention. München: Beck.

  • Moller, S. (2010): Erinnerung und Gedächtnis. (Abruf 12.04.24: https://docupedia.de/zg/Erinne...).

  • Sabrow, M. (2009): Die DDR erinnern. In: Sabrow, M. (Hrsg.): Erinnerungsorte der DDR. München: Beck, S. 11–27.

  • Welzer, H. (2011): Gedächtnis und Erinnerung. In: Jaeger, F. & Liebsch, B. (Hrsg.): Handbuch der Kulturwissenschaften. Bd. I: Grundlagen und Schlüsselbegriffe, Sonderausgabe. Wiesbaden: Springer, S. 155–174.

  • Welzer, H./ Moller, S./ Tschuggnall, K. (2002): „Opa war kein Nazi“ Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Frankfurt a.M.: Fischer.

Als Konsequenz aus der ab 1959 als künftige allgemeinbildende Pflichtschule vorgesehenen Zehnklassenschule, die in Ablösung von der bisherigen achtklassigen Grundschule nun als polytechnische Oberschule (POS) galt, wurde die bisherige, nach vier Jahren zum Abitur führende Oberschule fortan als ‚Erweiterte Oberschule‘ (EOS) bezeichnet. Die Maßgabe des Gesetzes über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens vom 2. Dezember 1959, Schule und Berufsausbildung miteinander zu verbinden, mündete in die Festlegung, an der EOS gleichzeitig mit der Erlangung allgemeiner Hochschulreife eine Berufsausbildung zu durchlaufen. Die sich seit 1965 abzeichnende Verkürzung der EOS auf zwei an die künftig zehnklassige Pflichtschule anschließende Schuljahre ließ eine gleichzeitige Berufsausbildung jedoch nicht mehr zu. Erheblichen Konfliktstoff barg das mit dem „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ vom 25. Februar 1965 einheitsschulpolitisch fixierte Ziel, nach Abschluss der obligatorischen POS den Übergang zu einer lediglich zwei Schuljahre umfassenden EOS erfolgen zu lassen. In Vorbereitung auf die zeitliche Reduzierung der bislang vierjährigen EOS wurden 1968/69 sog. Übergangsklassen an den EOS eingeführt, für die die Lehrpläne der POS galten. Zudem lief ab dem Jahr 1967 die mit organisatorischen Problemen belastete, ökonomisch unergiebige und keine studienorientierende Wirkung entfaltende Ausbildungsform „Abitur mit Berufsausbildung“ aus. An ihre Stelle trat mit wöchentlich vier Stunden in den Klasse 11 und im ersten Halbjahr von Klasse 12 die „Wissenschaftlich-praktische Arbeit“, die in kleinen Schülergruppen als Projektarbeit in geeigneten Betrieben erfolgte.
Die Hochschulreife konnte außer in den EOS (1,6 Prozent aller Schulen 1990) auch in Spezialschulen (0,6 Prozent), Kinder- und Jugendsportschulen (0,5 Prozent) (vgl. Uhlig & Wiegmann, 1994) und in Einrichtungen der Erwachsenenbildung erworben werden.

Bis zum Ende der DDR erhalten blieb auch die 'Berufsausbildung mit Abitur' (BmA). Diesen Weg nutzten nach der mit guten Leistungen abgeschlossenen 10. Klasse jene studieninteressierten Schülerinnen und Schüler, die sich nach der 8., später der 10. Klasse aus diversen Gründen nicht für die EOS be-worben hatten oder deren Bewerbung abgelehnt worden war. Sie erlangenkonnten so in einer speziellen ›Abiturklasse‹ an einer staatlichen Betriebsberufsschule in einem dreijährigen Lehrgang sowohl die allgemeine Hochschulreife als auch einen Facharbeiterbrief erlangen.

Ab 1982/83 setzte das Volksbildungsministerium die Maßgabe des geltenden Bildungsgesetzes konsequent um. Weiteren gesellschaftlichen Konfliktstoff boten kontinuierlich die nach ökonomischen, sozialen und politischen Kennziffern festgelegten Zugangskriterien, die in der Regel etwa lediglich ein bis zwei Schülerinnen und Schülern einer Klasse den Übergang zur EOS erlaubten. Ein Rechtsanspruch bestand nicht. Ausschlaggebend für die Entscheidung über die Zulassung durch Kommissionen unter Leitung der zuständigen Schulrätin bzw. des Schulrates waren neben schulischen Leistungen das gesellschaftliche Engagement der Schülerinnen und Schüler. Politische Mindestanforderungen an die Elternhäuser und politische Loyalität der Bewerberinnen und Bewerber wurden vorausgesetzt. Die soziale Herkunft (Förderung sog. Arbeiter- und Bauernkinder) und weitere Maßnahmen zur Schaffung einer sog. sozialistischen Intelligenz spielten vor allem in den ersten zwei Jahrzehnten nach 1945 eine bedeutende Rolle. Die Abiturquote aus allen zur Hochschulreife führenden Einrichtungen des Bildungswesens stieg von rund 3 Prozent eines Altersjahrganges in den ersten Nachkriegsjahren auf im Durchschnitt 14 Prozent seit den 1970er-Jahren. Die Absolventen der EOS erreichten einen Anteil von durchschnittlich 8–9 Prozent. Rund 98 Prozent der Abiturienten nahm ein Studium auf, das rund 80 Prozent der Studienanfänger erfolgreich absolvierten (vgl. Geißler, 2023, S. 1143-1220 ).

Literatur

  • Anweiler, O./ Mitter, W./ Peisert, H./ Schäfer, H.-P./ Stratenwerth, W. (Hrsg.) (1990): Vergleich von Bildung und Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik. Köln: Verlag Wissenschaft und Politik.

  • Geißler, G. (2023): Schulgeschichte in Deutschland. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Frankfurt a.M.: Lang.

  • Günther, K.-H. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1978): Quellen zur Geschichte der Erziehung. 8. Aufl. Berlin: Volk und Wissen.

  • Uhlig, C. & Wiegmann, U. (1994): Struktur- und Funktionswandel des Schulwesens in der DDR. In: Müller, D. K. (Hrsg.): Pädagogik. Erziehungswissenschaft. Bildung. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, S. 261–293.

Die Bezeichnung ‚Fachmethodik‘ entspricht dem in der BRD üblichen Terminus ‚Fachdidaktik‘. Beide Begriffe wurden nicht systematisch voneinander abgegrenzt. In der Selbstbezeichnung verschiedener institutioneller Bereiche sind aber unterscheidbare Schwerpunkte ersichtlich. Der Begriff der Didaktik wurde in der DDR zumeist für konzeptuelle allgemeindidaktische Ausführungen genutzt (vgl. Drefenstedt et al., 1976), die in Verbindung mit Traditionslinien ausgehend von Radke und Comenius bis hin zur marxistisch-leninistischen Pädagogik gesetzt wurden. Dabei stand eine enge Eingrenzung auf überfachliche, stark an der Persönlichkeitsbildung orientierte Prinzipien des Lehrens und Lernens im Unterricht im Vordergrund (Laabs et al., 1987, S. 82), die sich z.B. im Institut für Didaktik der Akademie für Pädagogische Wissenschaften (APW) und in dessen Arbeit an einer übergreifenden „Unterrichtstheorie“ (Malycha, 2008, S. 95) niederschlugen. Der Begriff der Fachmethodik bezog sich im Gegensatz dazu immer auf ein spezifisches Unterrichtsfach, wurde also nicht nur als „Methodenlehre des Unterrichts oder einer praktizistischen Sammlung von Handreichungen zur Unterrichtsgestaltung“, sondern auch als „Wissenschaft vom [jeweiligen] Unterrichtsfach“ (Mader, 1959, S. 381) gesehen.

Der Begriff der Fach- bzw. Unterrichtsmethodiken diente entsprechend auch als Ordnungskategorie für die Organisation von Planung und Forschung im Bereich der Unterrichtsfächer in den ‚pädagogischen Leitinstitutionen‘ (Stellenplan des DPZI, 1951). Diesen war die Zielstellung auferlegt, „der Schulpraxis theoretische Grundlagen und praktische Anleitung für einen wissenschaftlichen Unterricht zu liefern“ (APW, 1987, S. 255) und dabei die effektive Gestaltung des Unterrichts und die dafür notwendige Produktion von Unterrichtsmitteln und -medien zu gewährleisten. Orientierungspunkte bildeten dabei einschlägige Veröffentlichungen aus der Sowjetunion und eigene Ausarbeitungen. In der Rezeption von naheliegenden Bereichen der einzelnen universitären Fachwissenschaften, der Erziehungswissenschaft und der Pädagogischen Psychologie wurden internationale Trends bzw. transatlantische Konzepte aufgegriffen.

Ebenso wie die didaktische Forschung standen die Fachmethodiken in der Transformationszeit ab 1989 in öffentlicher Kritik, sie hätten sich von ideologischen Zielstellungen und dogmatischen Vorgaben zumindest vereinnahmen lassen (vgl. Fuhrmann, 1994, S. 269). DDR-Methodiker*innen betonen demgegenüber fachliche und wissenschaftliche Ansprüche in ihrer Arbeit ebenso wie die direkte Verpflichtung gegenüber den Lehramtsstudierenden.

Literatur

  • Drefenstedt, E./ Drews, U./ Jandt, C. (1976): Die didaktisch-methodische Konzeption des Lehrplanwerks und der Unterrichtsprozeß. In: Neuner, G. (Hrsg.): Allgemeinbildung. Lehrplanwerk. Unterricht. Berlin: Volk und Wissen, S. 102–144.

  • Fuhrmann, E. (1994): Didaktik und Unterrichtsforschung in der DDR – Was bleibt? [Symposion 8. Schule und Unterricht in Ost und West]. In: Benner, D. & Lenzen, W. (Hrsg): Bildung und Erziehung in Europa. Beiträge zum 14. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft vom 14.–16. März 1994 in der Universität Dortmund. Weinheim: Beltz, S. 269–272.

  • Laabs, H. J./ Dietrich, G./ Drefenstedt, E./ Günther, K.-H ./ Heidrich, T./ Herrmann, A./ Kienitz, W./ Kühn, H./ Naumann, W./ Pruß, W./ Sonnschein-Werner, C./ Uhlig, G. (Hrsg.) (1987): Pädagogisches Wörterbuch. Berlin: Volk und Wissen.

  • Malycha, A. (2008): Die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR 1970–1990. Zur Geschichte einer Wissenschaftsinstitution im Kontext staatlicher Bildungspolitik. Leipzig: Akademische Verlagsanstalt.

  • Mader, O. (1959): Aufgaben der Unterrichtsmethodik beim Aufbau der allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule. In: Pädagogik 14, 5, S. 381– 386.

  • Stellenpläne des Deutschen Pädagogischen Zentralinstituts. Stellenplanüberwachungsliste Berlin und Zweigstellen 1949 – 1951 (1951): DIPF/BBF/Archiv, APW DPZI 1018.

Generationen lassen sich in dreierlei Hinsicht betrachten: So gibt es Generationen innerhalb von Familien, in pädagogischen Beziehungen und im historisch-gesellschaftlichen Sinne. Dabei bestehen familiäre Generationen auf Basis der Ahnenfolge und lassen sich als Kinder-, Eltern-, Großeltern und gegebenenfalls Urgroßelterngeneration beschreiben (vgl. Alexi, 2014). Generationen in pädagogischen Beziehungen umfassen in ihrem klassischen Verständnis eine vermittelnde, ältere Generation und eine aneignende, jüngere Generation. Neuere Theorien hierzu betonen inzwischen jedoch ein gegenseitiges Lernen zwischen den Generationen, sodass diese nicht mehr klar in eine vermittelnde und eine aneignende Generation voneinander abgegrenzt werden können (vgl. Ecarius, 2008).

Das historisch-gesellschaftliche Verständnis von Generationen basiert auf Ideen Karl Mannheims (1964) und beschreibt Generationen als Personengruppen, die aufgrund ihrer Geburtsjahrgänge und ihrer räumlichen Verortung ähnliche historische, kulturelle und soziale Erfahrungen gemacht haben und damit ähnliche Mentalitäten ausbilden. Im Kontext der deutschen Teilungsgeschichte haben Thomas Ahbe und Rainer Gries (2011) eine DDR-spezifische Generationensystematisierung vorgenommen. Sie umfasst die Geburtsjahrgänge 1893 bis 1986 und differenziert sechs verschiedene Generationen: Die Generation der misstrauischen Patriarchen (1893–1916), die Aufbau-Generation (Kernjahrgänge 1925–1934), die funktionierende Generation (Kernjahrgänge 1935–1945), die integrierte Generation (Kernjahrgänge 1949–1956), die entgrenzte Generation (Kernjahrgänge 1960–1972) und die Wende-Jugendlichen und -Kinder (1975–1986). Ausschlaggebend hierfür sind deren Erfahrungen in den jeweiligen politischen Systemen sowie in den miterlebten Entwicklungsprozessen der DDR.

Literatur

  • Ahbe, T. & Gries, R. (2011): Geschichte der Generationen in der DDR und in Ostdeutschland. 3. Aufl. Erfurt: Landeszentrale für politische Bildung.

  • Alexi, S. (2014): Kindheitsvorstellungen und generationale Ordnung. Leverkusen: Budrich.

  • Ecarius, J. (2008): Generation, Erziehung und Bildung. Eine Einführung. Stuttgart: Kohlhammer.

  • Mannheim, K. (1964): Das Problem der Generationen. In: Wolff, K. H. (Hrsg.): Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk. Berlin: Luchterhand, S. 509–613.

Wissenssoziologische Theorien zu Generationen interessieren sich für die spezifische Konstituierung historisch-gesellschaftlicher Generationen (vgl. Mannheim, 1965). In dieser Perspektive entstehen Generationen etwa durch Geburtsjahrgänge, eine ähnliche raumzeitliche Verortung oder gemeinsam geteilte historische, kulturelle und soziale Erfahrungen (vgl. ebd.). Daneben gibt es einen pädagogischen Generationenbegriff, der einen wichtigen Bezugspunkt und „Grundbegriff“ (Müller, 1999) der Erziehungswissenschaft darstellt. Denn zur Frage wird mit Schleiermacher, wie – unter dem Aspekt der Erziehung – das Verhältnis und die Beziehung zwischen den Generationen, d.h. der jüngeren und der älteren Generationen gestaltet ist (Schleiermacher, 1957). Theoretische Weiterentwicklungen zu Generationenverhältnissen arbeiten heraus, dass die Generationenverhältnisse nicht einseitig sind, es also nicht mehr nur darum geht, wie die ältere, die jüngere Generation erzieht, sondern betont wird vielmehr die Relationalität und „Wechselseitigkeit der Beziehungen zwischen den Generationen“ im Erziehungsprozess und damit des Generationenverhältnisses (Baader, 2018, S. 81). Generationenverhältnisse relational zu denken, heißt auch das Generationenverhältnis nicht nur binär zu fassen, sondern Generationenverhältnisse in Relation zu Geschlechterverhältnissen zu entwerfen und u.a. nach den spezifischen Verknüpfungen von Generation und Geschlecht zu fragen, aber auch Machtverhältnisse dabei nicht zu ignorieren. Diese Perspektive hat auch die Neuere Kindheitsforschung fokussiert, die dabei grundsätzlich herausgestellt hat, dass die Generationendifferenz, also die Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen, die jeweils auch mit anderen Rechten ausgestattet sind, Teil der Sozialstruktur moderner Gesellschaften ist (Alanen, 2005).

Mit Blick auf die Erziehung in der DDR ist von einem „doppelten Generationenverhältnis“ auszugehen (vgl. Baader/Koch/Kroschel, 2021). Dies meint, dass ältere Kinder bzw. Jugendliche angehalten wurden, jüngere Kinder mit zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ und zur Orientierung an den offiziellen Werten der DDR zu erziehen. Die damit verbundenen Anrufungen waren ebenfalls stark vergeschlechtlicht, etwa wenn es etwa darum ging, wer wem wobei und wie helfen sollte.

Im Zusammenhang mit der Erziehung in der DDR ist auch von „der prinzipiellen Gleichheit der Generationen“ bzw. von „generationaler Gleichheit“ die Rede (Andresen, 2006, S. 213). Dies muss jedoch mit Blick auf autoritäre und gewaltförmige Erziehungsverhältnisse (Lenski, 2023) zurückgewiesen werden und stellt eher eine staatliche Selbstbeschreibung und keine Analyse von generationalen Machtverhältnissen in der DDR dar.

Literatur

  • Alanen, L. (2005): Kindheit als generationales Konzept. In: Hengst, H.& Zeiher, H. (Hrsg.): Kindheit soziologisch. Wiesbaden: Springer VS, S. 65-82.

  • Baader, M. S. (2018): Kinder als Akteure oder wie ist das Kind als Subjekt zu denken? Historische Kontexte, relationale Verhältnisse, pädagogische Traditionen, neue Perspektiven. In: Bloch, B./Cloos, P./Koch, S./Schulz, M./Smidt, W. (Hrsg.): Kinder und Kindheiten, Weinheim, Basel: Beltz, S. 22-39.

  • Baader, M. S./Koch, S./Kroschel, F. (2021): Kinder und Jugendliche als Erziehende. Umkämpfte Kindheit und Jugend in Bildungsmedien der DDR. In: Baader, M. S. & Kenkmann, A. (Hrsg.): Jugend im kalten Krieg. Zwischen Vereinnahmung, Interessenvertretung und Eigensinn. Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung 16 2020/21, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 159-78.

  • Lenski, K. (2023): Erziehung. Gewalt. Eine Jugend in der DDR. In: Baader, M. S./Kössler, T./Schumann, D. (Hrsg.): Jugend – Gewalt. Erleben – Erörtern – Erinnern. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 145-162.

  • Mannheim, K. (1965,1928): Das Problem der Generationen. In: von Friedeburg, L. (Hrsg.): Jugend in der modernen Gesellschaft. Köln, Berlin: Kiepenheuer & Witsch, S. 23-48.

  • Müller, H.-R. (1999): Das Generationenverhältnis. Überlegungen zu einem Grundbegriff der Erziehungswissenschaft. In: Zeitschrift für Pädagogik, 45, S. 787-805.

  • Schleiermacher, F. (1957): Pädagogische Schriften. Die Vorlesungen aus dem Jahre 1826. Band 1. In: Schulze, T. & Weniger, E.: Pädagogische Texte, Düsseldorf, München: Küpper.

Ideell war das DDR-Gesundheitswesen orientiert am aus der Arbeiterbewegung hervorgegangenen Ziel des Abbaus bzw. der Beseitigung von „Ungleichheit vor Krankheit und Tod“ (Spree, 1981; zit. n. Braun, 2020). Dazu gehörten ein Ausgleich ungleicher Gesundheitsverhältnisse verschiedener Bevölkerungsgruppen, allgemeiner und unentgeltlicher Zugang zu Gesundheitsversorgung und eine umfassende Entkommerzialisierung des Gesundheitswesens (vgl. Süß, 1998). Es wurde eine einheitliche und umfangreiche Sozialversicherung etabliert, die Finanzierung und Zugang zu medizinischer Versorgung für alle Bürger*innen organisieren sollte. Neben der kurativen medizinischen Versorgung spielte dabei die Krankheitsprävention eine hervorgehobene Rolle, wie bspw. durch Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen (vgl. Ahrens, 2002, S. 42). Im Sinne der Prävention war ein deutlicher Ausbau des Gesundheitswesens in Form von Polikliniken und sog. Ambulatorien vorangetrieben worden (vgl. ebd.). Diese an die Sozialpolitik der Weimarer Republik anknüpfenden Einrichtungen spielten in der flächendeckenden Gesundheitsversorgung der Bevölkerung der DDR eine bedeutende Rolle und ihre Anzahl stieg kontinuierlich über die gesamte Dauer der DDR (vgl. Süß, 1998, S. 100).

Um „Struktur und Kosten des Gesundheitswesens auf gesetzlichem Wege in eine umfassende gesamtwirtschaftliche Planung einzuordnen“ (Ahrens, 2002, S. 42) wurde das Gesundheitswesen, zunächst durch eine in der Sowjetischen Besatzungszone etablierte Deutsche Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen und nach Gründung der DDR durch das Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen bzw. ab 1950 das Ministerium für Gesundheitswesen, zentral gesteuert. Dabei nahm das Ministerium eine Schanierfunktion zwischen den planenden, staatlichen Akteuren und staatlich geführten medizinischen Versorgungseinrichtungen ein. Das Schulpflichtgesetz verfügte ab 1950, dass „alle Bildungs- und Erziehungsfragen von Schwererziehbaren aus dem Sonderschulwesen ausgegliedert und den Organen für Jugendhilfe/Heimerziehung übertragen“ (Becker, 1984, S. 61) werden sollten. Anhand der durch die Gesetzgebung geltenden Trennlinie ‚bildungsfähig‘ bzw. ‚bildungsunfähig‘ wurden fortan Kinder und Jugendliche an das Gesundheits- und Sozialwesen delegiert und vom Volksbildungswesen ausgeschlossen (vgl. Hübner, 2000).

Vor dem Hintergrund einer scheinbar umfassenden, unentgeltlichen Gesundheitsversorgung gehört das Gesundheitswesen „zu den wenigen Gesellschaftsbereichen des SED-Staates, die bis heute mit einer Vielzahl positiver Bewertungen und Konnotationen belegt werden“ (Braun, 2020, S. 352–354). Diese allgemeinen Einschätzungen werden von konkreten Analysen konterkariert, in denen kritische Befunde zum Gesundheitswesen ausgewiesen werden. Dabei wird hervorgehoben, dass die pharmazeutische Versorgung häufig ungenügend und vielfach auf Basis sog. „Nachentwicklungen“ im Westen erhältlicher Präparate aufgebaut war (Braun, 2020) und dass entgegen der vermeintlichen Gleichbehandlung eine Sonderversorgung von politischen Funktionären stattfand (ebd.). Insbesondere wird eine Nähe zu sozialutilitaristischen Ideen im Sinne einer Sozialhygiene kritisiert, nach denen die Gesundheit des ‚Volkes‘ bzw. der ‚Volkswirtschaft‘ und eine Steigerung von Leistungsfähigkeit die eigentlichen Ziele der Gesundheitspolitik der DDR gewesen seien (vgl. Süß, 1998; Ahrens, 2002).

Literatur

  • Ahrens, R. (2002): Planwirtschaft, Prävention und Effizienz. Zur Wirtschaftsgeschichte des Gesundheitswesens in der Sowjetischen Besatzungszone und frühen DDR. In: Schagen, U. & Schleiermacher, S. (Hrsg.): Sozialmedizin, Sozialhygiene und Public Health. Konzepte und Visionen zum Verhältnis von Medizin und Gesellschaft in historischer Perspektive. Berlin: Forschungsstelle Zeitgeschichte im Institut für Geschichte der Medizin, S. 41–52.

  • Becker, K.-P. & Autor*innenkollektiv (1984): Rehabilitationspädagogik. 2. erw. Aufl. Berlin: Volk und Wissen.

  • Braun, J. (2020): Politische Medizin. Ideologie und Gesundheitsökonomie im SED-Staat der 1950er- und 1960er-Jahre. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 17, 2, S. 349–361.

  • Hübner, R. (2000): Die Rehabilitationspädagogik in der DDR. Zur Entwicklung einer Profession. Frankfurt a.M.: Lang.

  • Süß, W. (1998): Gesundheitspolitik. In: Hockerts, H.-G. (Hrsg.): Drei Wege deutscher Sozialstaatlichkeit. NS-Diktatur, Bundesrepublik und DDR im Vergleich. München: R. Oldenbourg, S. 54–100.

Der Begriff der Ideologie, wie er in der DDR verwendet wurde, unterschied sich explizit von anderen, etwa wissenssoziologischen Fassungen des Begriffs (etwa von Karl Mannheim) und fußte auf den Überlegungen von Marx und Engels zur Deutschen Ideologie (MEW 3), wo diese zuerst die Ideen und Weltanschauungen von Menschen mit den gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen sie leben und ihrer Stellung in den gesellschaftlichen Verhältnissen, in Verbindung brachten. Ganz allgemein gesprochen wurde Ideologie in der DDR gefasst als ein „System der gesellschaftlichen (politischen, ökonomischen, rechtlichen, pädagogischen, künstlerischen, moralischen, philosophischen u.a.) Anschauungen, die bestimmte Klasseninteressen zum Ausdruck bringen und entsprechende Verhaltensnormen, Einstellungen und Wertungen einschließen“ (Philosophisches Wörterbuch, Bd. 1, S. 546).

Nach dem historischen Materialismus – als solchen charakterisierten Karl Marx und Friedrich Engels ihre Geschichtsauffassung – gebe es eine durch die Entwicklung der ‚Produktivkräfte‘ vorangetriebene, gesetzmäßige Abfolge unterschiedlicher ‚Produktionsverhältnisse‘ in verschiedenen Gesellschaftsformationen. Es wird davon ausgegangen, dass das Bewusstsein die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen die Träger des Bewusstsein leben, eben deren gesellschaftliches Sein, widerspiegele. In einer Klassengesellschaft, wie etwa im Kapitalismus, existieren unterschiedliche Klassen von Menschen, die eben je verschiedene Positionen in den ökonomischen Verhältnissen einnehmen – im Kapitalismus die Klasse der Lohnarbeiter und die der Bourgeoisie, der Kapitalbesitzer. Ihre jeweiligen Sichtweisen auf die Welt, die durch ihre ökonomisch-gesellschaftliche Position bestimmt sind, werden dann als eine Klassenideologie verstanden. Die Gesamtheit der Anschauungen und Interessen einer Klasse ist Widerspiegelung der gesellschaftlichen Lage der Mitglieder der Klasse.

Problematisch ist nun – der marxistischen Position folgend – nicht die Tatsache eines gesellschaftlich bestimmten und partikularen Bewusstseins, sondern diejenige Ideologie, die ein partikulares Interesse zum Interesse aller erkläre: die Ideen der herrschenden Bourgeoisie, die bürgerliche Ideologie. Durch die Trennung der Arbeit in geistige Arbeit (der herrschenden Klasse) und körperliche Arbeit (der ausgebeuteten Klasse) verselbstständige sich das Bewusstsein und verschleiere so die ‚objektiven Verhältnisse‘, die materielle Praxis. Die Arbeiterklasse, die den Kapitalismus zu überwinden helfe, besitze aufgrund ihrer ‚objektiven Stellung‘ in der Gesellschaft eine Ideologie, die als ‚wahrhaft wissenschaftlich‘ angesehen werden könne. Der Antagonismus von bürgerlicher und sozialistischer Ideologie wurde als ‚unversöhnlicher Kampf‘ gesehen, bei dem eine Schwächung der einen Seite eine zwangsläufige Stärkung der jeweils anderen bedeutete.

Sozialistische Ideologie wurde so zur Sache eines/einer jeden: Man hatte parteilich mit der Arbeiterklasse und ihren Interessen zu sein, die bürgerliche Ideologie zu bekämpfen sowie sich für den Aufbau von Sozialismus und Kommunismus einzusetzen. Auf Basis dieses Verständnisses einer notwendig auszubildenden Ideologie wurde ideologische Bildung gegen
‚spontantes', der individiuellen Alltagserfahrung geschuldetes Bewusstsein gesetzt und zu einem wichtigen Erziehungsziel in der DDR. Ziel war die Ausbildung einer ‚allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeit‘, deren Fähigkeiten und Kenntnisse eng mit der ‚wahrhaft wissenschaftlichen‘ Ideologie der Arbeiterklasse verbunden sein sollten (vgl. Neuner, 1973).

Literatur

  • Klaus, G. & Buhr, M. (1976): Ideologie. In: Klaus, G. & Buhr, M. (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. Bd. 1. 12. Aufl. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, S. 546–548.

  • Marx, K. & Engels, F. (1978): Werke. Bd. 3. Berlin: Dietz Verlag.

  • Neuner, G. (1973): Zur Theorie der sozialistischen Allgemeinbildung. Berlin: Volk und Wissen.

Unter Kalter Krieg wird nicht ein Krieg im klassischen Sinne verstanden, sondern eine spannungsreiche Weltlage, die die Weltgeschichte zunächst zwischen 1945 und 1991 maßgeblich bestimmte. Dabei rivalisierten zwei Militärallianzen, die für unterschiedliche Gesellschaftssysteme standen: zum einen die westliche Staatengemeinschaft unter der Führung der Vereinigten Staaten, die sich seit dem Jahr 1949 in dem Nordatlantischen Militärbündnis North Atlantic Treaty Organisation (NATO) versammelte; zum anderen die sozialistische Staatengemeinschaft, die sich 1955 als Warschauer Vertragsstaaten in Reaktion auf die NATO-Gründung konstituierte. Beide militärischen Bündnisse rivalisierten offen auf der Weltbühne. Erste Spannungen waren bereits bei der Blockade des Westteil Berlins durch die Sowjetunion 1948/49 entstanden. Obwohl dieser Krieg „kalt“ in dem Sinne war, dass die Waffen der NATO und des Warschauer Pakts nicht direkt „heiß“ wurden, die Militärmacht also nicht direkt eingesetzt wurde, bestimmte diese Rivalität eine ganze Reihe von sog. stellvertretenden Konflikten, bspw. den Koreakrieg (1950/53) und den Vietnamkrieg (1955/75). Die Staatsgründung der DDR im Oktober 1949 stand im Zeichen der entstehenden Spannungen zwischen diesen sich noch formierenden Staatengemeinschaften und geschah in klarer Abgrenzung von den Militärbündnissen der BRD. Eine Trennlinie – auch „eiserner Vorhang“ genannt – verlief in Europa zwischen den westlichen und den staatssozialistischen Ländern. Diese Trennlinie, im staatlich geteilten Deutschland zunächst als innerdeutsche Grenze gesetzlich festgelegt, materialisierte sich ab 1961 auch physisch in Form von militärisch gesicherten Sperranlagen, der sog. Mauer, die die DDR entlang ihrer ‚Staatsgrenze West' errichtete. Die Systemkonkurrenz der Staatengemeinschaften und Gesellschaftssysteme prägte auch die Politik im Inneren der DDR.

Literatur

  • Leffler, M. P. & Westad, O. A. (Hrsg.) (2010): The Camebridge History of the Cold War. Camebridge: Camebridge University Press.

  • Stöver, B. (2007): Der Kalte Krieg, 1947–1991. Geschichte eines radikalen Zeitalters. München: Beck.

Das Kollektiv galt als „typische soziale Lebensform“, als „sozialer Organismus“ (Laabs et al., 1987, S. 202f.) im Sozialismus. Bereits im Zuge der ‚Tendenzwende‘ 1948/49 löste der Begriff des Kollektivs den bis dahin im pädagogischen Diskurs gängigen Begriff der Gemeinschaft ab. Einer sachlichen, begrifflichen Auseinandersetzung bedurfte die semantische Ersetzung scheinbar nicht. Die Begriffe unterschieden sich entsprechend nur marginal: Während „Gemeinschaft“ eine „soziale Qualität der gesellschaftlichen Vereinigung von Menschen“ beschrieb (Klaus & Buhr, 1976, S. 449f.), war „Kollektiv“ selbst nicht definiert, wohl aber der „Kollektivbegriff“, der eine „geordnete Gesamtheit“ von Gegenständen oder Individuen beschrieb (ebd., S. 639f.). Vor dem Hintergrund marxistisch-leninistischer Interpretationen der Gesellschaft galt die „menschliche Persönlichkeit weder [als] fatalistisches Produkt der Gemeinschaft [...] noch Mittel übergeordneter sozialer Ganzheiten, sondern [als] Subjekt der sozialen Beziehungen, Träger sozialer Funktionen in einer ganz bestimmten sozialökonomischen Struktur der Gesellschaft“ (Neuner, 1975, S. 37). Diese Auffassung eines „sozialistischen Kollektivismus“ galt als „Wesensmerkmal der gesellschaftlich-sozialen Beziehungen“ (ebd.) und war damit semantisch fast deckungsgleich mit dem oben genannten Begriff der Gemeinschaft, nur sozialistisch spezifiziert. Maßgeblich trug die Propagierung und Aneignung der ‚Sowjetpädagogik‘ dazu bei, den Begriff des Kollektivs in der pädagogischen Fachsprache zu etablieren und den Begriff der Gemeinschaft auf den Terminus Gruppe zu reduzieren (Laabs et al., 1987, S. 145, 162).

Idealerweise fungierten Kollektivmitglieder als kollektive Interessenvertreter*innen und handelten entsprechend. Die Entwicklung der Individuen zu Persönlichkeiten galt dabei als untrennbarer Bestandteil kollektiver Vervollkommnungsprozesse. Mit dem Beginn der Rezeption der Schriften Makarenkos in der Sowjetunion eine Dekade nach dessen Tod und der Herausgabe seiner Werke in deutscher Übersetzung galt Makarenko auch in der DDR als Klassiker sozialistischer Kollektivpädagogik, mithin die in seinen Schriften überlieferten pädagogischen Erfahrungen als lehrreich und vorbildlich für die Praxis sozialistischer Erziehung, vornehmlich für die in Heimen. Gleichwohl blieb die erziehungswissenschaftliche und historische Beschäftigung mit Makarenko randständig. Die Idee, Makarenkos Erziehungsverständnis als reformpädagogische Variante zu interpretieren, wurde erst sehr spät vor dem Ende der DDR diskutiert.

Literatur

  • Laabs, H. J./ Dietrich, G./ Drefenstedt, E./ Günther, K.-H ./ Heidrich, T./ Herrmann, A./ Kienitz, W./ Kühn, H./ Naumann, W./ Pruß, W./ Sonnschein-Werner, C./ Uhlig, G. (Hrsg.) (1987): Pädagogisches Wörterbuch. Berlin: Volk und Wissen.

  • Neuner, G. (1975): Zur Theorie der sozialistischen Allgemeinbildung. 3. Aufl. Hrsg. v. Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR. Berlin: Volk und Wissen.

  • Tenorth, H.-E. & Wiegmann, U. (2022): Pädagogische Wissenschaft in der DDR. Ideologieproduktion, Systemreflexion und Erziehungsforschung. Studien zu einem vernachlässigten Thema der Disziplingeschichte deutscher Pädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Bei der Kollektivbiografie handelt es sich um eine sozial- und geschichtswissenschaftliche Methode, in der die Rekonstruktion des Werdegangs eines Kollektivs im Zentrum steht. Diese Rekonstruktion greift zwar auf den auf Individuen bezogenen Begriff der „Biographie“ zurück, geht aber stärker von einer Einbettung des Individuums in geteilte Erfahrungen eines Kollektivs aus. Damit antwortet sie auf eine Kritik, die gegen die Biographieforschung vorgetragen wird: Sie würde eine Heroisierung des Individuellen Vorschub leisten. Der Ansatz der Rekonstruktion von Kollektivbiographien wird seit den 1970er-Jahren in England verfolgt und wurde im deutschsprachigen Raum in den 1980er-Jahren weiterentwickelt. Während die in der Altertumswissenschaft und Mediävistik bekannte Prosopographie die systematische Rekonstruktion eines durch geteilten Raum bzw. geteilte Zeit oder gemeinsame Funktion definierten Personenkreises im Blick hat und entsprechende Personenverzeichnisse aufstellt, entwickelt die Methode der Kollektivbiographie den Begriff des Kollektivs auf Basis relevanter gemeinsamer Merkmale und versucht, vergleichende sowie interaktive Aspekte individueller Biographien einer Gruppe herauszuarbeiten. Kollektivbiographische Forschungen kontextualisieren somit in stärkerem Maße und erfordern eine breitere Datenlage und -dichte als die Prosopographie.

Literatur

  • Groppe, C. (2016): Die preußischen Reformer. Konzept und Fragestellungen einer kollektivbiographischen Analyse. In: Bios 29, 2, S. 192–207.

  • Schröder, W. H. (2011): Kollektivbiographie: Spurensuche, Gegenstand, Forschungsstrategie. In: Historical Social Research/Historische Sozialforschung, Supplement 23, S. 74–152. (Abruf 14.05.2024: https://www.ssoar.info/ssoar/b...).

Kommunistische Erziehung verwies bis Anfang der 1970er-Jahre auf einen über die „entwickelte sozialistische Gesellschaft“ der DDR hinausführenden erwarteten Übergang zum Kommunismus. Kommunismus wurde dabei als ein System mit ‚wirklich menschlichen Daseinsbedingungen‘ charakterisiert, als Resultat eines „Sprung[es] der Menschheit aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit“ (Engels 1962, S. 264), welcher zu einer materiellen Überflussgesellschaft führe, in der „vollseitig“ (Marx 1962, S. 508) entwickelte Individuen ihr Leben nach Maßgabe eigener Fähigkeiten und Bedürfnissen gestalten könnten. In der vorherigen Entwicklungsstufe – dem aufzubauenden oder später dann „real existierenden“ Sozialismus – bräuchte es zunächst keine kommunistische Erziehung, sondern eine sozialistische bzw. marxistisch-leninistische Pädagogik. Angesichts einer der UdSSR zuerkannten menschheitsgeschichtlichen Vorreiterrolle und unabhängig von der dort herrschenden gesellschaftlichen Realität und der Entwicklung institutionalisierter Erziehung und Bildung galt kommunistische Erziehung daher zunächst als Privileg der Sowjetunion. 1972 irritierte Volksbildungsministerin Margot Honecker dann allerdings damit, dass sie kraft ihres Amtes die kommunistische Erziehung kurzerhand zur Hauptaufgabe für die kommenden Jahre erklärte. Was unter kommunistischer Erziehung in der DDR verstanden werden sollte, war bisher unklar gewesen. Für Margot Honecker war sie im Wesentlichen Erziehung zur kommunistischen Moral. Vor dem Hintergrund des administrativen Auftrags, das Wesen kommunistischer Erziehung zu entschlüsseln, entwickelte sich eine rege erziehungswissenschaftliche Forschung. Sie blieb jedoch ergebnislos und mündete in einen weitgehend intern ausgetragenen Konflikt zwischen zunehmend selbstbewusst agierenden pädagogischen Wissenschaftler*innen und der übergeordneten Volksbildungsadministration.

Literatur

  • Engels, F. (1962): Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft. („Anti-Dühring“). In: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hrsg): Werke, Bd. 20. Berlin: Dietz Verlag, S. 1–303.

  • Günther, K.-H. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1978): Quellen zur Geschichte der Erziehung. 8. Aufl. Berlin: Volk und Wissen.

  • Honecker, M. (1986): Zur Bildungspolitik und Pädagogik in der Deutschen Demokratischen Republik. Ausgewählte Reden und Schriften. Berlin: Volk und Wissen.

  • Marx, K. (1962): Werke, Bd. 23. Berlin: Dietz Verlag.

  • Tenorth, H.-E. & Wiegmann, U. (2022): Pädagogische Wissenschaft in der DDR. Ideologieproduktion, Systemreflexion und Erziehungsforschung. Studien zu einem vernachlässigten Thema der Disziplingeschichte deutscher Pädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Die ‚Lebensverbundenheit‘ beschrieb in der DDR ein allgemeindidaktisches „Prinzip“, das bei der Planung von Lehrplänen und methodischen Vorgaben vor allem im Verlauf der 1970er-Jahre eine immer größere Rolle spielte. Im pädagogischen Wörterbuch, herausgegeben von der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften (APW) der DDR, wurde der Terminus gefasst als „die Beziehungen eines Bildungssystems, eines Erziehungs- oder Unterrichtsprozesses, zum gesellschaftlichen Leben“ (APW, 1987b, S. 223). Die Nutzung des Begriffes verweist einerseits auf Problemerhebungen, die die Schwierigkeiten einer ineffektiven, ‚szientifischen‘ Ausrichtung der Unterrichtspraxis zu adressieren suchten. Im Zuge der angespannten wirtschaftlichen Lage und des sich verschärfenden Fachkräftemangels galt es andererseits, Wissen zu sichern und anwendbar zu machen.

Mit der Vorgabe der Lebensverbundenheit wurden vorrangig Anforderungen an Lehrkräfte gestellt, in ihrem Unterricht zu bestimmten Fähigkeiten und Einstellungen zu erziehen, da „es von den erzieherischen Kräften fordert, die zu Erziehenden auf die Erfordernisse der gesellschaftlichen Praxis vorzubereiten“ (APW, 1987b, S. 223). Allgemeine geistige Fähigkeiten, Flexibilität sowie ein tieferes Verständnis der Unterrichtsinhalte sollten entwickelt werden, selbstständige Problemlösungsfähigkeiten sollten stärker gefördert werden, um insgesamt zu einer erfolgreichen ‚Lebenspraxis‘ beizutragen.

Nach den Vorgaben marxistisch-leninistischer Theorie war dabei dezidiert die gesellschaftspolitisch konnotierte Lebenspraxis gemeint, wie sie im propagierten Sozialismus zu sein bzw. zu erscheinen hatte (APW 1987a, 305): das „sozialistische Leben“ (Drefenstedt, Drews, Jandt, 1976, S. 126). Es handelte sich dabei nicht zwingend um eine – möglicherweise problembehaftete – reale Lebenswelt von Jugendlichen und Schüler*innen, war aufgrund dieser Implikationen also nicht deckungsgleich mit dem Terminus der „Lebensnähe“ zu verstehen. Der Bezug von Unterricht zu Bedarfen des Wirtschaftssystems unter dem Konzept der Polytechnik, der Fokus auf Kinder und Jugendorganisationen als Ort der Freizeitgestaltung und der umfassenden Anspruch gesellschaftspolitischer Erziehung im Unterricht wird dabei deutlich(APW, 1987b S. 223), Lebensverbundenheit steht so in Verbindung mit der ‚Wissenschaftlichkeit des Unterrichts ‘ und der ‚Parteilichkeit ‘.

Literatur

  • APW (1987a): Allgemeinbildung und Lehrplanwerk. Ausgearbeitet von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Gerhart Neuner. Berlin: Volk und Wissen.

  • APW (1987b): Pädagogisches Wörterbuch. Herausgegeben von einem Autorenkollektiv unter der Leitung von Laabs, H. J./ Dietrich, G./ Drefenstedt, E./ Günther, K./ Heidrich, T./ Herrmann, A/ Kienitz, W./ Kühn, H./ Naumann, W./ Pruß, W./ Uhlig, G. Berlin: Volk und Wissen.

  • Drefenstedt, E./ Drews, U./ Jandt, C. (1976): Die didaktisch-methodische Konzeption des Lehrplanwerks und der Unterrichtsprozeß. In: Neuner, G. (Hrsg.): Allgemeinbildung. Lehrplanwerk. Unterricht. Berlin: Volk und Wissen, S. 102–144.

Lehrerbildung in der DDR war ein politisches Großprojekt der Regierungspartei (SED) und des Ministeriums für Volksbildung und dabei bis zum Ende der 1980er-Jahre Gegenstand von Expansion und Reformvorhaben. Bildungshistorisch lassen sich grob zwei Phasen erkennen. Ab Mitte der 1940er-Jahre bis weit in die 1950er-Jahre hinein stand die Lehrerbildung im Zeichen einer als demokratisch und antifaschistisch deklarierten Neuausrichtung. Dem durch Entnazifizeriungsmaßnahmen entstandenen Mangel an geeignetem Personal wurde zunächst durch verschiedenen Kurssysteme der sog. ‚Neulehrerausbildung', seit Beginn der 1950er-Jahre dann durch den Aufbau eines differenzierten Ausbildungssystems begegnet. Mit einer Serie von SED-Beschlüssen wurde der ursprünglich ambitionierte Plan, der ein Universitätsstudium für alle Lehrer vorgesehen und schon in den 1940er-Jahren zur Einrichtung von Pädagogischen Fakultäten geführt hatte, aufgegeben. Stattdessen wurde die Lehrerausbildung entsprechend sowjetischen Vorbilds am Stufensystem der Bildungseinrichtungen ausgerichtet. Es wurden gesonderte Ausbildungseinrichtungen und Kurrikula für Lehrkräfte der achtklassigen Grundschule geschaffen. Unter der Vorbedingung des Abiturs wurden nur die für die Oberschule mit den Klassen 9 bis 12 vorgesehenen Personen an Hochschulen und Universitäten ausgebildet.

Die zweite Phase der Lehrerbildung begann Ende der 1950er-Jahre mit Verabschiedung des Schulgesetzes (1959). Sie zog sich über die Konzeption des polytechnischen Unterrichts und der polytechnischen Schule und das „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ 1965 bis in die 1980er-Jahre (vgl. Schmidt, 1986). Die nicht an das Abitur, aber einen guten POS-Abschluss (siehe auch Polytechnische Oberschule, Polytechnischer Unterricht) gebundene Ausbildung der weithin weiblichen Lehrpersonen für die Unterstufe der POS bleibt wie schon in den 1950er Jahren Instituten für Lehrerbildung (Ifl) übertragen. Ähnlich wie die der Unterstufenlehrer strukturiert war die an Pädagogischen Schulen erfolgende dreijährige Ausbildung des durchweg weiblichen Personals der Kindergärten. Markant war die im Übergang zur den 1970er-Jahren vorgenommen Veränderungen in der Ausbildung von Lehrpersonen für die Klassen 5 bis 10 der POS. Die dafür ab 1953 eingerichteten Pädagogischen Institute (PI) wurden in mit Promotionsrecht versehene Pädagogische Hochschulen (PH) umgewandelt. Die PH bilden in etwa 30 standortbezogen angebotenen Kombinationen von zwei Unterrichtsfächern ‚Diplomlehrer' mit Lehrberechtigung für die Klassen 5 bis 12 der POS und EOS aus, wobei ein Einsatz in der Abiturstufe in der Regel erst nach Bewährung in der POS erfolgte. Die Studiendauer umfasst acht Semester. Die bisher fünfjährige universitäre Ausbildung von Lehrern lief zugunsten des Diplomlehrermodells aus. Im Jahre 1982 wurde das Diplomlehrer-Studium von vier auf fünf Jahre erweitert. Die Ausbildung erfolgte weiterhin in zwei Fächern, es entfiel jedoch die bisherige Unterscheidung von Haupt- und Nebenfach. Größeres Gewicht erhielt mit dem ‚großen Schulpraktikum' die bislang auf das letzte Semester beschränkte praktische Ausbildung. Diese setzt nun bereits im zweiten Studienjahr mit Unterrichtsbeobachtungen ein; es folgen ‚schulpraktische Übungen'. Auch die pädagogisch-psychologischen Studienanteile wurden erweitert. Eine systematische Einführung in das Schulrecht fand hingegen nicht statt. Veranlasst, sich in diesem sachkundig zu machen, waren die Absolvent*innen erst während der späteren Berufstätigkeit und dann oft im Konfliktfall.
Besonders in den Einrichtungen der Lehrerbildung, hier im Anschluss an institutionelle Tradition, war die zu Beginn der 1950er-Jahre an allen Universitäten und Hochschulen eingeführte Zusammenfassung der Studierenden in feststehenden, je 20 bis 30 Personen umfassenden Seminargruppen ausgeprägt. Diese wurden jeweils von einer Lehrperson speziell betreut. Wie auch immer erlebt, war die Seminargruppe zu Studienbeginn eine wichtige Orientierungsinstanz, im weiteren Verlauf konnte sie zu einem Raum vielfältiger sozialer Beziehungen, von Hilfeleistungen, solidarischen Verhaltensweisen werden. Zugleich aber war sie auch ein Raum von hierarchisierten Erziehungs- und Kontrollbemühungen.

Literatur

  • Geißler, G. (2023): Schulgeschichte in Deutschland. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Frankfurt a.M.: Lang.

  • Richter, W. (2018): Die Lehrerbildung in der DDR. Eine Sammlung der wichtigsten Dokumente und gesetzlichen Bestimmungen für die Ausbildung der Lehrer, Erzieher und Kindergärtnerinnen. 2. Aufl. Berlin: Volk und Wissen. (Abruf 24.02.2024: https://www.db-thueringen.de/r...).

  • Schmidt, G. (1986): Lehrerbildung in der DDR: Aspekte einer Umgestaltung in den achtziger Jahren. In: Dilger, B./ Kuebart, F./ Schaefer, H.-P. (Hrsg.): Vergleichende Bildungsforschung. DDR, Osteuropa und interkulturelle Perspektiven. Festschrift für Oskar Anweiler zum 60. Geburtstag. Berlin: Berlin-Verlag Arno Spitz, S. 277–289.

  • Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem (1965). (Abruf 22.04.2024: https://ghdi.ghi-dc.org/sub_do...).

Die Wortschöpfung bezeichnete die vorgeblich von Karl Marx und Friedrich Engels begründete und von Lenin (und bis 1956 auch von Stalin) und weiteren politisch und weltanschaulich (zeitweilig) akzeptierten Theoretikern der Arbeiterbewegung weiterentwickelte „einzig wissenschaftliche“ (Eichhorn 1969 I) materialistische Lehre und Welterklärung. Sie diente als theoretische Grundlage für den Kampf der Arbeiterklasse bis zum globalen (Marx) oder zunächst nationalen (Lenin) Sieg unter Führung von revolutionären Parteien der Arbeiterklasse, der es dann – so die Überzeugung – erlaubte, einen Sozialismus aufzubauen und anschließend den Kommunismus zu erreichen. Der Marxismus-Leninismus umfasste dem eigenen Verständnis nach den ‚philosophischen' bzw. ‚historischen und dialektischen' Materialismus, die ‚politische Ökonomie' und die Lehre vom ‚wissenschaftlichen Kommunismus'. Der Begriff setzte sich seit den 1920er Jahren in der Sowjetunion für die weltanschauliche Lehre der Kommunistischen Partei (in der Sowjetunion also der KPdSU/Bolschewiki) und weiterer nationaler ‚revolutionärer' Arbeiterparteien bzw. ‚Parteien neuen Typs' als Programm und Ideologie (im Sinne einer weltanschaulichen Lehre) durch. Er diente damit auch der Abgrenzung zu programmatisch und weltanschaulich abweichenden und konkurrierenden Arbeiterparteien. Der Marxismus-Leninismus als Ideologie und Programm nationaler Parteien mit Führungsanspruch in allen gesellschaftlichen Belangen verkürzte und verdichtete die Auffassungen insbesondere von Marx, Engels und Lenin zum weltanschaulichen Dogma ebenso, wie er sich teilweise in Widerspruch zu ihren Werken setzte, gegensätzliche Auffassungen überging oder glättete. Nach der sogenannten Errichtung einer ‚Diktatur des Proletariats' in den Staaten des von der Sowjetunion geführten Blocks avancierte der Marxismus-Leninismus zur herrschenden ‚parteilichen' Weltanschauung. Er durchdrang alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und bildete die weltanschauliche Grundlage der Lehrinhalte in allen Teilen des DDR-Bildungssystems.

Literatur

  • Eichhorn I. W. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1969): Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie. Berlin: Dietz Verlag, S. 431–441.

  • Klaus, G. & Buhr, M. (Hrsg.) (1975): Philosophisches Wörterbuch. 2 Bde. 11. Aufl. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts.

  • Schütz, G. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1988): Kleines politisches Wörterbuch. 7. Aufl. Berlin: Dietz Verlag.

Ein Mythos bzw. Mythen sind dem Alltagsverständnis und im Alltagsgebrauch unwahre Erzählungen über die Welt, ihre Anfänge und Entwicklungen oder auch einfach nur hartnäckig bestehende, falsche Geschichten über in einer Gesellschaft oder Gemeinschaft bedeutungsvolle Ereignisse. Dabei wird zumeist davon ausgegangen, dass es sie, also ihre Unwahrheit, in einer kritischen Haltung zu entlarven gilt. Demgegenüber steht ein in den verschiedenen Geistes- und Kulturwissenschaften genutzter analytischer Begriff des Mythos, der als eine Art Heuristik in der Untersuchung gesellschaftlich bedeutsamer Erzählungen dienen kann (vgl. Segal, 2015). Segal schlägt – angesichts der verschiedenen Aspekte, die von unterschiedlichen Theoretiker*innen und in den verschiedenen Disziplinen für den Mythenbegriff in Anschlag gebracht werden – vor, ein nicht-rigides, also nicht eng an mehrere gleichzeitig auftretende Merkmalsausprägungen gebundenes Konzept von Mythos zu entwickeln (Segal, 2015, S. 3ff.). Mythen sind in diesem Sinne zunächst rudimentäre Erzählungen, haben einen Anfang und ein Ende. Das in ihnen zur Gestaltung kommende, zeitlich sich erstreckende Geschehen entwickelt sich um Hauptfiguren herum, oft in bestimmten Personenkonstellationen. Mythen bestehen also oft aus einer wiederkehrenden Konfiguration von Akteuren und Handlungen. Die Inhalte stellen etwas für die Einzelnen und eine bestimmte Gruppe Bedeutsames dar und entwickeln für eine größere Gruppe von Akteuren Sinn, stiften Identität und erfüllen damit auch soziale Funktionen, z.B. solche der Komplexitätsreduktion und der Legitimation. Mit dem Mythos vermittelt sind starke Überzeugungen oder gar eine Art Glaube an spezifische Deutungen. Der Mythos entfaltet eine bestimmte Macht über diejenigen, die an ihn glauben. Mit Roland Barthes, einem der bekannteren Mythentheoretiker, kann darüberhinausgehend der Mythos als eine Darstellungsweise bestimmt werden, die an die Deutungen appelliert, die in einem kulturellen Kontext als vorausgesetzte oder unterstellte Hintergrundüberzeugungen enthalten sind. Er bezeichnet daher den Mythos als sekundäres Deutungsmuster bzw. als eine Rhetorik der „entwendeten Rede" (Barthes, 2012, S. 273). Die so charakterisierte Funktionsweise des Mythos kann entziffert werden und die ‚Mythologie‘ wird so zu einem Instrument der Gegenwartskritik. Barthes zeigt im Detail auf, wie Geschichte, geschichtliche Gewordenheit in den „Mythen des Alltags" ‚„naturalisiert", in Natur verwandelt wird und damit so wenig wandelbar erscheint wie der Mythos der Rationalität keine Alternativen zulässt (vgl. Hericks, 2017).

Literatur

  • Barthes, R. (1964): Mythen des Alltags. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

  • Hericks, K. K. (2017): Rationalitätsmythos – ein Konzept. In: Kirchner, S./ Krüger, A. K./ Meier, F./ Meyer, U. (Hrsg.): Nano-Papers “Institution – Organisation – Gesellschaft”, 4. München: Technische Universität München.

  • Segal, R.A. (2015): Myth. A very short introduction. 2. Aufl. Oxford: Oxford University Press.

Bei Oral History handelt es sich um einen methodischen Zugang zu historischer Forschung, der sich verstärkt in den 1980er und 1990er-Jahren durchgesetzt hat. Oral History stützt sich dabei nicht auf Schrift, Bild und Materialität als Quelle, sondern auf Befragungen und Interviews mit Zeitzeug*innen, also auf mündliche Quellen. Diese sollen entweder schriftliche Quellen ergänzen oder ganz andere Perspektiven und Sichtweisen einbringen, die stärker am Erleben von Subjekten orientiert sind. Dabei geht es ganz bewusst um die Subjektivität von Erfahrungen, von Erinnerungen und von Emotionen. Oral History knüpft an eine alte Form der Tradierung von Erlebnissen und Lebensgeschichten durch mündliche Erzählungen an. Oral History meint sowohl die Methode der mündlichen Befragung und deren Aufzeichnung als auch die dadurch entstandene Quelle (vgl. Apel, 2022).

Wichtige und große Oral History Projekte befassten sich etwa mit Befragungen und Erinnerungen von 600 ehemaligen Zwangsarbeiter*innen während des Nationalsozialismus, ein Projekt das Anfang der 2000er durchgeführt wurde und einen Einblick in die Erfahrungen von 20 Millionen Zwangsarbeiter*innen gibt. Diese lebensgeschichtlichen Interviews sind in digitalen Archiven archiviert worden und in mehreren Sprachen zugänglich (Pagenstecher, 2016). Die Frage der Nachnutzung von Quellen der Oral History markiert eine der methodischen und archivarischen Diskussionen.

Die verstärkte Reflektion und Bedeutung von Oral History ist eng verbunden mit wissensgeschichtlichen Bewegungen wie „Geschichte von unten“, „Geschichte der kleinen Leute“ oder „Alltagsgeschichte“, das heißt derjenigen Menschen, die aufgrund ihrer Lebensverhältnisse nicht unbedingt schriftliche Quellen hinterlassen. Auch die Erinnerungen von Menschen, die von Verfolgung, Vertreibung und Flucht betroffen sind, nehmen in der Oral History einen großen Raum ein. Eng verbunden ist sie auch mit Erinnerungskulturen und Gedenkstättenarbeit. Berührungspunkte bestehen zudem zur Biographieforschung bzw. zu biographischen Interviews. Da es dabei um die Befragung noch lebender Personen geht, kann Oral History nur im Kontext von Zeitgeschichte erfolgen und ist eng an die Diskussion um Zeitzeug*innenschaft gebunden.

Auch in der DDR-Forschung wurden große und bekannte Oral History Projekte durchgeführt, so etwa die Studie „Die volkseigene Erfahrung. Eine Archäologie des Lebens in der Industrieprovinz der DDR“ von Lutz Niethammer, Alexander von Plato und Dorothee Wierling (1991). Diese Untersuchung präsentiert 30 lebensgeschichtliche Interviews, die in der Wendezeit durchgeführt wurden und durch die Erinnerungen von Menschen an 40 Jahre des Lebens in der DDR bewahrt werden sollten. Diese geben unter anderem Einblicke in privates Leben in der DDR und fragen etwa nach dem Politischen des Privaten (von Plato, 1991) oder thematisieren die „Politische Kultur vor Ort“ (Niethammer, 1991, S. 45).

Literatur

  • Linde A. (Hrsg.) (2022): Erinnern, erzählen, Geschichte schreiben. Oral History im 21. Jahrhundert. Berlin: Metropol.

  • Niethammer, L./von Plato, A./Wierling, D. (1991): Die volkseigene Erfahrung. Eine Archäologie des Lebens in der Industrieprovinz der DDR. Berlin: Rowohlt.

  • Niethammer, L. (1991): Glasnost privat 1987. Reportage über eine Befragung unter den Zeitgenossen Honeckers zur Zeit Gorbatschows. In: Niethammer, L./von Plato, A./Wierling, D.: Die volkseigene Erfahrung. Eine Archäologie des Lebens in der Industrieprovinz der DDR. Berlin: Rowohlt, S. 9-75.

  • Pagenstecher, C. (2016): „Oral History als Methode“. In: Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) online. (Abruf 03.11.2024: http//www.bpb.de/themen/nationalsozialismus-zweiter-weltkrieg/ns-zwangsarbeit/227274/oral-history-als-methode).

  • Von Plato, A. (1991): Ein deutsches Familiendrama oder wie politisch ist das Private? In: Niethammer, L./von Plato, A./Wierling, D. (1991): Die volkseigene Erfahrung. Eine Archäologie des Lebens in der Industrieprovinz der DDR. Berlin: Rowohlt, S. 514-532.

Die Pädagogischen Kongresse der DDR waren ein wichtiges Format für die fachpolitische Auseinandersetzung, damit auch ein zentrales Instrument der politischen Steuerung des Bildungswesens der DDR (siehe auch Volksbildungswesen). Auch in anderen Fachrichtungen, wie Philosophie, Soziologie, Geschichtswissenschaften u.a. wurden ähnliche Kongresse abgehalten. Der I. bis IV. Pädagogische Kongress fanden noch vor der Gründung der DDR sowie jährlich statt und wurden durch die von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) eingerichtete Zentralverwaltung für Volksbildung organisiert. Nach der Staatsgründung, ab dem 01. Januar 1950, wurden die insgesamt fünf weiteren – nun nicht mehr jährlich, sondern in weitaus größeren Zeitabständen stattfindenden – Kongresse (V. in 1956, VI. in 1961, VII. in 1970, VIII. in 1978 und schließlich IX. in 1989) durch das neu gebildete Ministerium für Volksbildung unter Einbindung verschiedener Kommissionen des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (ZK der SED) organisiert. Eingeladen waren zumeist Vertreter*innen der verschiedenen fachpolitischen Abteilungen des Ministeriums für Volksbildung sowie des ZK der SED, Wissenschaftler*innen der größten außeruniversitären Institutionen für die wissenschaftliche Pädagogik (-->Pädagogische Leitinstitutionen), aber auch von Universitäten und Hochschulen sowie Vertreter*innen der pädagogischen Praxis, wie Lehrkräfte, Erzieher*innen, Direktor*innen und Schulfunktionäre. Inhaltlich standen jeweils fachpolitisch aktuelle Fragen im Fokus der Auseinandersetzung. Anhand der Programme sind verschiedene bildungspolitische und pädagogische Zielsetzungen abzulesen, so z.B. Vorgaben für die Lehrerbildung, Jugendpolitik, Verbesserung der Verwaltungsarbeit, die theoretische und praktische Ausrichtung an der Sowjetpädagogik (-->Sowjetpädagogik) oder auch die Entwicklung und Durchsetzung des Polytechnischen Unterrichts (-->Polytechnischer Unterricht).

Das Programm der Kongresse bestand aus Vorträgen und Referaten sowie Arbeitsgruppen und sogenannten Rundtischgesprächen. Ergebnisse der Arbeit waren meist Erörterungen, Berichte und v.a. Beschlüsse zur weiteren Ausrichtung der fachpolitischen Arbeit. Dass die Pädagogischen Kongresse ein wichtiges Instrument der Steuerungspolitik waren, zeigt sich einerseits an den Vorgaben für die inhaltlichen Auseinandersetzungen durch Zentralverwaltung bzw. Ministerium für Volksbildung, die meist in einem Bezug zu den folgenden Fünfjahrplänen und realen politischen Problemen standen, andererseits aber auch in der z.T. intensiven Planung, inhaltlichen Vorbereitung und Organisation der Kongresse in Bezug auf Ablauf, Redebeiträge und die Zusammensetzung der Teilnehmenden. Ein besonders eindrückliches Beispiel hierfür ist der IX. und letzte Pädagogische Kongress vom 12. bis 16. Juni 1989, in dessen Vorbereitung ein „Drehbuch“ bzw. Regie- und Zeitplan entwickelt wurde, in denen sogar „Zeitpunkt und Dauer der Beifallsbekundungen“ geplant waren (Kaack 1993, S. 91; siehe auch Akten zum IX. Pädagogischen Kongress im Bundesarchiv, 1989).

Literatur

  • Akten zu Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der Pädagogischen Kongresse (1989): Bundesarchiv, BArch, DR 2/10849.

  • Baske, S. (1998): Allgemeinbildende Schulen. In: Führ, C. & Furck, C.-L. (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2, 1945 bis zur Gegenwart. München: Beck, S. 159–201.

  • Baske, S. & Engelbert, M. (Hrsg.) (1966): Zwei Jahrzehnte Bildungspolitik in der Sowjetzone Deutschlands. Dokumente. Erster Teil 1945 bis 1958. Berlin: Hildebrandt & Stephan.

  • Kaack, H. (1993): Reform im Wartestand. Die Bildungspolitik der DDR vor der Wende. In: Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 30, S. 89–101.

In Beiträgen zur DDR-Bildungsgeschichte werden das Deutsche Pädagogische Zentralinstitut (DPZI) und nachfolgend die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR (APW) oft als Leiteinrichtung (vgl. Eichler & Uhlig, 1993, S. 118; Malycha, 2009, S.171) oder Leitinstitution (vgl. Zabel, 2009, 88; Tenorth, 2017, S. 207) bezeichnet. Dieser Ausdruck verweist auf die zentralisierte staatliche Ausrichtung und den funktionalen Anspruch beider Einrichtungen, die dem Ministerium für Volksbildung (MfV) direkt unterstellt waren und nach den Beschlüssen des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (ZK der SED) operierten. Von diesen Stellen bekamen sie Aufgaben für die Bildungsforschung und -planung, Konzeption von Lehrmitteln, Lehrerbildung und Kaderbildung zugewiesen. In der Arbeit beider Einrichtungen spielten demnach Ansprüche an eine anerkannte Wissenschaftsinstitution eine ebenso große Rolle wie der Bedarf an umfassender ‚ideologischer‘ Kontrolle durch die SED-Regierung.

Pläne zur Gründung des DPZI gehen bis ins Jahr 1945 zurück. Auf Weisung der Verwaltungsorgane der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) wurde 1949 ein außeruniversitäres pädagogisches Institut geschaffen, das 1954 das unabhängige Promotionsrecht erhielt. Als Hauptarbeitsfelder waren die fachmethodische Forschung (siehe auch Fachmethodiken) und deren Anwendung in Lehrplanarbeit und Lehrerbildung festgelegt. Unterstützend dazu wurden Referate gebildet, die theoretische Analysen erstellen sollten, z.B. „Sowjetpädagogik“ oder „Psychologie“ (vgl. Zabel, 2009, S. 402; siehe auch Pädagogische Psychologie). Ergebnisse dieser inhaltlichen Zuarbeit wurden in die Formulierung grundlegender bildungspolitischer Vorgaben und Gesetze aufgenommen, z.B. im ‚Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem'(1965). Das DPZI wurde während seines Bestehens mehrfach umstrukturiert, dabei kam es Ende der 1950er-Jahre zu eingreifenden politischenDisziplinierungsmaßnahmen und Neubesetzungen von leitenden Positionen (Wiegmann 1993, S. 79f.)

Gegen Ende der 1960er-Jahre wurde die Gründung der APW nach dem gleichnamigen sowjetischen Vorbild aus dem DPZI heraus organisiert, die bisherigen Organisationseinheiten des DPZI gingen darin auf. Strukturiert in Institute, Arbeitsstellen und Abteilungen wurden der Akademie ab 1970 weitreichendere Befugnisse in der Koordination von pädagogischer bzw. fachmethodischer Forschung im Hochschulbereich und Gutachterfunktionen für Unterrichtmittel und Fachpublikationen in Schul- und Lehrerbildung übertragen. Sie sollte eine zentral und zweckrational ausgerichtete ‚Großforschung‘ verwirklichen und diese in Reformen und Evaluationen der Lehrpläne und -materialien in der allgemeinen Schulbildung auf gesamtstaatlicher Ebene implementieren. Ihr wurden darüber hinaus Forschungen und Erhebungen im Bereich der ideologischen Erziehung, der Bildungssoziologie und der pädagogischen Psychologie übertragen. Die dabei entstehenden Konfliktpunkte resultierten gegen Ende der 1980er-Jahre in internen Auseinandersetzungen von APW- und MfV-Führungskadern und der ministeriellen Abwertung zentraler Forschungsergebnisse (Döbert & Geißler, 1999, S.11f.).

In der beginnenden Transformationszeit 1989/90 wurde die Arbeit der APW von Wissenschaftler*innen aus Ost- und Westdeutschland vor allem im Hinblick auf ihre politisch-ideologische Funktion massiv kritisiert. Ihre Auflösung erfolgte zum Ende des Jahres 1990 durch das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (Malycha, 2008, S.160–163). Überlieferte Aktenbestände und Nachlässe beider Institutionen sind im Archiv der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung in Berlin aufbewahrt und einsehbar.

Literatur

  • Beschluss des Politbüros der SED 28. Juni 1949. In: Dietrich, G. (1993): Politik und Kultur in der SBZ. Bern: Peter Lang, S. 412–418.

  • Döbert, H. & Geißler, G. (1999): Zur Entstehungsgeschichte des Bilanzmaterials. In: Hoffmann, D./ Döbert, H./ Geißler, G. (Hrsg.): Die „unterdrückte“ Bilanz. Zum Verhältnis von Erziehungswissenschaft und Bildungspolitik am Ende der DDR. Weinheim: Beltz, S. 11–26.

  • Eichler, W. & Uhlig, C. (1993): Die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR. Was sie wollte, was sie war und wie sie abgewickelt wurde. In: Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 30, S. 115–126.

  • Malycha, A. (2008): Die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR 1970–1990. Zur Geschichte einer Wissenschaftsinstitution im Kontext staatlicher Bildungspolitik. Leipzig: Akademische Verlagsanstalt.

  • Tenorth, H.-E. (2017): „Erziehung gebildeter Kommunisten“ als politische Aufgabe und theoretisches Problem. Erziehungsforschung in der DDR zwischen Theorie und Politik. In: Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 63, S. 207–275.

  • Zabel, N. (2009): Zur Geschichte des Deutschen Pädagogischen Zentralinstituts der DDR. Eine institutionengeschichtliche Studie (Diss.). Chemnitz: Technische Universität.

  • Wiegmann, U. (1993): SED-Führung – Administration – erziehungswissenschaftliche Zentrale. Zur Entwicklung der Machtverhältnisse im Volksbildungsbereich der DDR an der Schwelle zur „entwickelten (real-)sozialistischen Gesellschaft“. In: Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 30, S. 75–88.

In der Zeit der DDR konstituierte sich die Pädagogische Psychologie über die Schnittmengen mit ihren Nachbarwissenschaften Klinische Psychologie und Medizin. In den 1950er-Jahren boten physiologische Erkenntnisse des sowjetischen Mediziners Iwan Pawlow (1849–1936) den zunächst vor allem medizinisch-biologischen Inhalt, der ersten „große[n] wissenschaftspolitische[n] Offensive“ der DDR-Wissenschaft, diese nach sowjetischem Vorbild zu entwickeln (Busse, 1998, S. 166). Die junge psychologische Wissenschaft der DDR ist mit diesen Forderungen etwa aus der Arbeitsgruppe „Pädagogische Psychologie“ im Deutschen Pädagogischen Zentralinstitut (DPZI) konfrontiert worden. Dort versprach man sich von der Anwendung der Pawlowschen Reflextheorie Hilfe für die Entwicklung von „objektiven Methoden zur Untersuchung pädagogischer Wirklichkeit“ (Zabel, 2009, S. 149). Nach Stalins Tod 1953 entfiel das in der UdSSR 1936 durch Parteibeschluss ergangene Pädologieverbot womit sich auch in der DDR das Repertoire der in der sozialistischen Pädagogik anwendbaren Forschungsmethoden um testpsychologische Verfahren erweiterte (vgl. Shibanova-Harris, 2022). Die DDR-interne, sowjetisch inspirierte Suche nach geeigneten ‚objektiven Methoden‘ für die pädagogischen Forschungsgegenstände Lehrerbildung, Unterrichtsgestaltung, Fähigkeits- und Schulübergangsbeurteilung führte folglich auch zur Anwendung standardisierter psychologischer Forschungsmethoden (u.a. Experiment, Beobachtung). Es waren vorrangig pädagogische Fragestellungen, denen mithilfe psychologischer Forschung nachgegangen werden sollte. Entsprechende Forderung wurden zugunsten des Bedeutungsgewinns dieser Forschung nachdrücklich auf dem VI. Pädagogischen Kongress im Jahr 1961 gestellt.

Im Zuge der „Polytechnisierung“ (siehe auch polytechnische Bildung, POS) richtete sich gegen Ende der 1950er-Jahre das Interesse sichtlich stärker als davor auf Wertschöpfung aus ‚Produktivkraft‘, sodass die 1962 neugegründete “Gesellschaft für Psychologie in der DDR” ihren 1. Kongress unter den Titel “Psychologie als gesellschaftliche Produktivkraft” stellte.

Bei alledem wurde die Psychologie in den letzten zwei Jahrzehnten der DDR eher wenig theoretisch beansprucht und stark für die Pädagogik funktionalisiert. Schulpolitisch motivierte Begutachtungen (Kossakowski & Kühn 2010; Malycha, 2008, S.231ff.; 248ff.) führten dazu, dass zentrale Forschungsergebnisse des Instituts für Pädagogische Psychologie an der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften (APW) nur in deren hausinternen Medien, nicht aber allgemein in Buchform zugänglich werden konnten.

Ansonsten bemühte sich die psychologische Wissenschaft erfolgreich um eigenständige fachpolitische Etablierung und Studiengangreformen. Bis 1970 gab es vier Universitäten in der DDR, die Hochschulbildung zum Diplompsychologen anboten. An der Universität Leipzig widmete sich die wissenschaftliche Psychologie „insbesondere der Lehrerbildung“ und operierte dabei unter „personellen Engpässen“ und „anhaltenden Bemühungen zur Reform des Studiums“ (Schönpflug & Lüer, 2011, S. 301). Zuletzt nahmen am prestigeträchtigen „XXII. Internationalen Kongreß für Psychologie“ der Gesellschaft für Psychologie 1980 in Leipzig insgesamt 4000 Wissenschaftler*innen aus sozialistischen und nicht-sozialistischen Ländern teil (vgl. ebd.).

Literatur

  • Busse, S. (1996): Psychologie in der DDR. Die Verteidigung der Wissenschaft und die Formung der Subjekte. Weinheim: Beltz.

  • Malycha, A. (2008): Die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR 1970–1990. Zur Geschichte einer Wissenschaftsinstitution im Kontext staatlicher Bildungspolitik. Leipzig: Akademische Verlagsanstalt.

  • Kossakowski, A. & Kühn, H. (2010): Pädagogische Psychologie im Spannungsfeld von Politik und Wissenschaft. Lausanne: Peter Lang.

  • Schönpflug, W. & Lüer, G. (2011): Psychologie in der Deutschen Demokratischen Republik. Wissenschaft zwischen Ideologie und Pragmatismus. Wiesbaden: Springer VS.

  • Shibanova-Harris, V. L. (2022): Eine Geschichte der russischen Pädologie. Ansätze zur Verwissenschaftlichung und Normalisierung der Kindheit (1901–1936) (Diss.). München: Ludwig-Maximilians-Universität.

  • Zabel, N. (2009): Zur Geschichte des Deutschen Pädagogischen Zentralinstituts der DDR. Eine institutionengeschichtliche Studie (Diss.). Chemnitz: Technische Universität.

‚Parteilichkeit‘ ist ein Begriff, der in der DDR im Kontext der staatstragenden ‚marxistisch-leninistischen Philosophie und Wissenschaft‘ genutzt wurde, um ein bestimmtes Merkmal immer standortgebundenen ‚gesellschaftlichen Bewusstseins‘ und die ‚Klassengebundenheit einer Ideologie‘ oder einer Weltanschauung zu charakterisieren. Aus dieser Sicht ist damit gleichzeitig aber auch die eigene erkenntnistheoretische Position gegenüber der bürgerlichen Philosophie und dem bürgerlichen Objektivismus bzw. gegenüber der Idee einer überparteilichen Objektivität abgegrenzt und gekennzeichnet. Erst der Marxismus-Leninismus leugne die Standortgebundenheit der vertretenen Weltanschauung nicht und bringe sie explizit zum Ausdruck, d.h. er bekenne sich ausdrücklich zur Parteinahme für die Arbeiterklasse und damit nach diesem Verständnis für den historischen Fortschritt. Im Sozialismus (in dieser Phase befand sich nach Auffassung der SED die DDR) falle Parteilichkeit, eben Parteilichkeit für die Arbeiterklasse, d.h. für die SED, mit der wissenschaftlichen Wahrheit – und in dem Sinne auch mit Objektivität – zusammen. Immer wieder, wenn im Kontext des pädagogischen Diskurses auf Wissenschaftlichkeit rekurriert wurde, wenn etwa von der Wissenschaftlichkeit des Unterrichts die Rede war, war sofort auch Parteilichkeit in diesem Sinne mitgedacht. Auf diese Weise konnten immer wieder Positionierungen für Programm und Beschlüsse der SED als Plädoyer für Wissenschaftlichkeit eingefordert werden. Die beschriebene marxistisch-leninistische Konzeption einer parteilichen Wissenschaft und deren Praxis wurde nach der ‚Wende‘ scharf kritisiert, schloss im westlichen Verständnis Wissenschaft Parteilichkeit doch kategorial aus, auch wenn in verschiedenen wissenschaftstheoretischen Ansätzen Standortgebundenheit und Historizität wissenschaftlicher Erkenntnis mitgedacht werden.

Literatur

  • Klaus, G. & Buhr, M. (1965): Parteilichkeit. In: Klaus, G. & Buhr, M. (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. 2. Aufl. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, S. 405–408.

  • Sabrow, M. (1995): Parteiliches Wissenschaftsideal und historische Forschungspraxis. Überlegungen zum Akademie-Institut für Geschichte (1956–1989). In: Sabrow, M. & Walther, P. T. (Hrsg.): Historische Forschung und sozialistische Diktatur: Beiträge zur Geschichtswissenschaft der DDR. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, S. 195–225.

Historiker*innen geben in ihrer Forschungsarbeit der Zeit und den Zeitabschnitten eine Form und unterteilen dabei die Zeit oft in verschiedene Phasen oder Epochen. Sie schaffen Zeitgerüste, indem sie Periodisierungen vornehmen – das gehört zum historischen Handwerk. Aber auch wenn das die alltägliche Arbeit der Historiker*innen ist, ist sie nicht selbstverständlich: „Sie tun dies nicht in penibler Deduktion aus angeblich für sich selbst sprechenden ‚Fakten‘“ (Osterhammel, 2006, S. 47). Periodisierungsvorstellungen liegen oft als verborgene Auffassungsform vor und erst sie geben Fakten als solchen einen Sinn, machen sie denk- und erkennbar. Auch wenn Osterhammel von den großen Epocheneinteilungen und deren Schwierigkeiten spricht und davon, ob diese und wie sie im Kontext einer Globalgeschichte gefasst werden können, gelten sie auch für die Betrachtung kleinerer zeitlicher Einheiten, etwa für die der Geschichte bzw. die Bildungsgeschichte der DDR. Phaseneinteilungen, wie sie etwa ein Blick auf die politisch-revolutionäre Ereignisgeschichte bietet, ist keineswegs eine objektiv gültige Periodisierung. Der Umbau sozialökonomischer, politischer und rechtlicher Rahmensetzungen ist nicht identisch mit konkreten Daten, etwa der Verabschiedung eines Gesetzes, vollzieht sich in längeren Zeiträumen und deckt sich auch nicht mit Wandlungsprozessen von Ideen und Alltagserfahrungen. All die unterschiedlichen Aspekte gilt es zu berücksichtigen, wenn man überzeugende Periodisierungsvorschläge macht. Auch Periodisierungen bzw. Phaseneinteilungen für die DDR-Geschichte und deren Bildungsgeschichte vorzunehmen, ist nicht einfach und ein Blick auf die Historiographie zeigt, dass keinesfalls alle zu einer in jeder Hinsicht überzeugenden und gleichen Einteilung kommen. Eingebürgert hat sich für die Geschichte der DDR oft eine – Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael haben dieses Vorgehen für die Zeitgeschichte des anderen deutschen Staates durchaus kritisch als „dekadologisch“ bezeichnet (Doering-Manteuffel & Raphael, 2012, S. 25) – den Dekaden folgende Einteilung, etwa die nach einer Vorgeschichte zwischen 1945 und 1949 mit der Gründung der DDR einsetzende Aufbauphase, die bis zum Mauerbau 1961 reichte, einer folgenden Stabilisierungsphase bis 1970/1971, wo Ulbricht als erster Sekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zurücktrat und anschließend unter der Ägide Honeckers sich abspielende zwei, oft 1980 noch einmal unterteilte, Phasen der Entstehung von krisenhaften Phänomenen bis 1990. Sichtbar wird hier, wie unterschiedliche Aspekte einbezogen werden, um Phasen und etwas in ihnen Gleichbleibendes zu identifizieren – seien es Amtszeiten von Regierungspersonal, einschneidende Maßnahmen, die sich auf Entscheidungen bzw. Zustimmung der Bevölkerung auswirkten, Kurskorrekturen in Wirtschafts- und Sozialpolitik und anderes. Für die Bildungsgeschichte scheint die Einteilung unterschiedlich je nachdem, was in den Blick genommen wird. Im „Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte“ wird das deutlich, weil es nicht eine alle Teile des Bildungs- und Erziehungswesens, die Systemebene und die Alltagserfahrungen umfassende übergreifende Einteilung gibt. Im Teil über das Allgemeinbildende Schulwesen werden fünf Phasen unterschieden. Nach einer Phase des „Neubeginns“ in der SBZ zwischen 1945 und 1948, einer Übergangsphase zur sozialistischen Schule, die sich bis 1958 erstreckte, einer Phase der „polytechnischen Bildungsreform“ zwischen 1958 und 1963/65, dem schließlich die Phase eines einheitlichen Bildungssystem und neuen Lehrplanwerkes zwischen den Jahren 1963/65 und 1980 folgte. Die letzte Phase begann 1980 und reichte bis zum Ende der DDR (vgl. Baske, 1998). Ein ebenfalls unklares Bild ergibt sich in der Betrachtung der „pädagogischen Wissenschaft“, wo ebenfalls verschiedene Phaseneinteilungen erkennbar sind (vgl. Tenorth & Wiegmann, 2022). Alle Einteilungen der DDR-Bildungsgeschichte gehen allerdings von einem Einschnitt in den 1960er-Jahren aus, oft wird dieser am Inkrafttreten des „Gesetzes über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ und dem Einsetzen von Prozessen festgemacht, und dem Einsetzen von Prozessen festge­macht, aus denen für das gesamte Bildungs- und Erziehungswesen eine Struktur hervorging, die für den Rest der Existenz der DDR in dieser Form bestehen bzw. prägend blieben. Allemal dann, wenn – wie es inzwischen eher üblich geworden ist – die Geschichte der DDR und ihres Bildungswesens nicht als von der des anderen deutschen Staates komplett getrennte Entwicklung angesehen wird, sondern von vielfältigen Verflechtungen einerseits, aber eben auch von größeren Epochentypiken ausgegangen wird, werden ähnliche Phaseneinteilungen der DDR-Bildungsgeschichte wie der der Bundesrepublik gesehen. So wird auch in dieser Perspektive ein großer Einschnitt in den 1960er-Jahren identifiziert und die Entwicklungen danach als Differenzierung, Modernisierung und Ausbau des Bildungssystems diagnostiziert, in dem dann allerdings immer auch krisenhafte Phänomene – schon in der vorsichtigen Selbstbeobachtung – festgestellt werden können (vgl. Tenorth, 2010)

Literatur

  • Baske, S. (1998): Allgemeinbildende Schulen. In: Führ, C. & Furck, C.-L. (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2, 1945 bis zur Gegenwart. München: Beck, S. 159–201.

  • Doering-Manteuffel, A. & Raphael, L. (2012): Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970. 3. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

  • Osterhammel, J. (2006): Über die Periodisierung der neueren Geschichte. In: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Berichte und Abhandlungen, Bd. 10. Berlin: Akademie Verlag, S. 54–64.

  • Tenorth, H.-E. (2010): Geschichte der Erziehung. Einführung in die Grundzüge ihrer neuzeitlichen Entwicklung. 5. Aufl. Weinheim, München: Juventa.

  • Tenorth, H.-E. & Wiegmann, U. (2022): Pädagogische Wissenschaft in der DDR. Ideologieproduktion, Systemreflexion und Erziehungsforschung. Studien zu einem vernachlässigten Thema der Disziplingeschichte deutscher Pädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Mit der Einführung der obligatorischen achtklassigen Grundschule gelang im bildungspolitischen Selbstverständnis der DDR ab 1946 die Überwindung der traditionellen Volksschule. Im nächsten Schritt strebte die SED-Führung im Kontext des Aufbaus der „Grundlagen des Sozialismus“ danach, die Pflichtschule auf Oberschulniveau zu heben. Um dieses Ziel angesichts öffentlicher Irritationen über die Verlängerung der Pflichtschulzeit auf zehn Jahre und einiger Bedenken gegen die Beteiligung Minderjähriger an produktiver Arbeit zügig zu erreichen, nahm die SED-Führung die vorbereitenden Schritte und das Gesetzgebungsverfahren unmittelbar in die eigenen Hände. Das Schulgesetz vom 2. Dezember 1959 bestimmte die zehnklassige allgemeinbildende Oberschule zur künftigen Pflichtschule. In den 1970er Jahren galt die POS als durchgesetzt. 1988/89 absolvierten 90,4 Prozent der Schülerinnen und Schüler die POS erfolgreich.

Bereits 1958 war auf Beschluss der SED-Führung zudem der polytechnische Unterricht mit dem Unterrichtstag in der Produktion und einem Technologieunterricht – wenn auch ohne hinreichende konzeptionelle Vorarbeiten – verordnet worden. Dass Marx diesen Bildungsbereich nach der Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse für unvermeidlich hielt, um die Grundformen des ‚produktive(n) Tuns‘ des Menschen zu verstehen und auf die notwendige Disponibilität des ‚vollseitig‘ entwickelten Produzenten in einer künftigen industriellen Arbeitswelt vorzubereiten, bot eine hinreichende Legitimation. Zudem war in der Sowjetunion das Fach kurz zuvor in etwas anderer Akzentuierung und nach zwei Jahrzenten seiner Nichtexistenz wieder eingeführt worden. Der polytechnische Unterricht umfasste in der DDR Schulgarten- (Klassen 1-4) und Werkunterricht (Klassen 1-6), in den Klassen 7-10 mit 4-5 Wochenstunden „Einführung in die sozialistische Produktion“, Technisches Zeichnen und den Unterrichtstag in der sozialistischen Produktion“ bzw. seit den 1970er Jahren die „produktive Arbeit der Schüler“. In der Regel wechselten sich der theoretische Unterricht und die praktische Arbeit in Schülerwerkstätten (v.a. in der Klasse 7) und sodann möglichst in der unmittelbaren betrieblichen Produktion der Landwirtschaft oder Industrie 14tägig ab. Zugleich wurde Polytechnik als Prinzip des allgemeinbildenden Unterrichts konzipiert. Die polytechnischen Unterrichtsfächer umfassten zusammen mit dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Bildungsbereich rund die Hälfte des gesamten Unterrichts.

Literatur

  • Anweiler, O./ Mitter, W./ Peisert, H./ Schäfer, H.-P./ Stratenwerth, W. (Hrsg.) (1990): Vergleich von Bildung und Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik. Köln: Verlag Wissenschaft und Politik.

  • Marx, K. (1962): Werke, Bd. 23. Berlin: Dietz Verlag.

  • Neuner, G. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1972): Allgemeinbildung Lehrplanwerk Unterricht. Berlin: Volk und Wissen.

  • Neuner, G. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1988): Allgemeinbildung und Lehrplanwerk. 2. Aufl. Berlin: Volk und Wissen.

  • Uhlig, C. & Wiegmann, U. (1994): Struktur- und Funktionswandel des Schulwesens in der DDR. In: Müller, D. K. (Hrsg.): Pädagogik. Erziehungswissenschaft. Bildung. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, S. 261–293.

Der polytechnische Unterricht stellte eines der prägenden Merkmale des DDR-Bildungssystems nach 1959 dar. Er bezeichnet eine Konzeption von Schule und Unterricht, die eng mit der marxistischen-leninistischen Theorie- und Politikentwicklung verbunden war. Bereits Marx mahnte eine stärkere Verzahnung von Schule und Arbeit an und sprach sich für eine vielseitige (‚poly-‘) Vorbereitung für alle Bereiche der Arbeitswelt (‚-technisch‘) aus. Nicht nur die Eigentumsfrage sollte adressiert werden, sondern auch die wissensbezogene Beherrschung von Produktionsmitteln sollte dabei ermöglicht werden. In der Sowjetunion wurden Ansätze solchen Unterrichts besonders nach dem Tod Stalins 1953 erprobt. Hauptspannung bei der Einführung des polytechnischen Unterrichts – auch in der DDR – blieb das Verhältnis zur geerbten Fächerstruktur der modernen Schule. Programmatisch beanspruchte die Polytechnik nämlich nicht lediglich als Schulfach berücksichtigt zu werden. Vielmehr sollte das Polytechnische zum Prinzip des schulischen Curriculums insgesamt gemacht werden und somit Fragen der Arbeitssozialisation und Wertebildung, später auch der „Bildung der sozialistischen Persönlichkeit“ tangieren. Der polytechnische Gedanke bildete auch die Grundlage für die Einführung der Polytechnischen Oberschule als verpflichtende, einheitliche, die Primar- und Sekundarstufe I umfassende Institution im Jahre 1965.

Literatur

  • Tietze, A. (2012): Die theoretische Aneignung der Produktionsmittel. Gegenstand, Struktur und gesellschaftstheoretische Begründung der polytechnischen Bildung in der DDR. Frankfurt a.M.: Lang.

Ab den 1950er-Jahren wurde in der DDR ein differenziertes Sonderschulsystem etabliert (Verordnung über die Beschulung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen mit wesentlichen physischen und psychischen Mängeln, 1951). Die Sonderschulen und andere sonderpädagogische Einrichtungen in der DDR, u.a. Hilfsschulen hatten die Bildung und Erziehung aller Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen mit wesentlichen physischen oder psychischen Schädigungen zu gewährleisten (Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem, 1965, § 19). Theoretisch begriff sich die Hilfsschulpädagogik in der DDR als Teil der Allgemeinen Pädagogik, lediglich das methodische Vorgehen an Sonderschulen weist einige Spezifika auf. Für das Sonderschulsystem der DDR war, wie auch für alle anderen Bildungseinrichtungen, das Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem in all seinen Grundsätzen bindend.

Grundlegendes bildungspolitisches und rechtliches Dokument für sonderpädagogische Einrichtungen war der §19 des „Gesetzes über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ (1965). Der Paragraph stellte sicher, dass Sonderschulen und sonderpädagogische Einrichtungen darauf abzielten, die Bildung und Erziehung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit erheblichen körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen zu gewährleisten. Diese Einrichtungen betreuten Menschen mit Schwerhörigkeit, Gehörlosigkeit, Sehschwäche, Blindheit, Sprach- und Stimmstörungen, geistigen oder körperlichen Behinderungen, Verhaltensstörungen sowie Kinder und Jugendliche mit chronischen Krankheiten oder Krankenhausaufenthalten. Dieses wurde später ergänzt durch die „Fünfte Durchführungsbestimmung zum Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem – Sonderschulwesen –“ vom 20.12.1968. Nunmehr wurde die Schüler*innenschaft eingegrenzt: „In Hilfsschulen werden schulbildungsunfähige schwachsinnige Kinder und Jugendliche aufgenommen. Sie weisen physisch-psychische Ausfälle und Störungen mit Auswirkungen auf die gesamte Persönlichkeit auf, so daß sie die allgemeinen Bildungs- und Erziehungsinhalte nur begrenzt aufnehmen und verarbeiten können.“ (5. Durchführungsbestimmung zum Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem – Sonderschulwesen, 1968, § 3 (1))

Die Hilfsschulklassen an Allgemeinen Hilfsschulen wurden nach dem Schweregrad der „Intelligenzminderung“ in drei „Züge“ kategorisiert, wobei der sogenannte A-Zug für Kinder und Jugendliche mit „leichten Intelligenzminderungen (Debilität)“, die B- und C-Züge für jene mit „Intelligenzminderungen mittleren Grades“ vorgesehen waren. Spätestens ab den 1970er Jahren wurden die C-Züge an Hilfsschulen aufgelöst, womit sich neben den (schulbildungsfähigen) Hilfsschüler*innen eine Gruppe ergab, die als schulbildungsunfähig, jedoch förderungsfähig deklariert wurde. Abgegrenzt von diesen beiden Gruppen wurde die Gruppe von Kindern und Jugendlichen „mit schwerem Grad von ‚Schwachsinn‘ (Idiotie)“, die sogenannten „schulbildungsunfähigen, förderungsunfähigen Kinder“. Sie wurden ab etwa Mitte der 1970er-Jahre in speziellen Fördereinrichtungen, die nicht dem Bildungssystem der DDR, sondern dem Gesundheitswesen angegliedert waren, untergebracht (vgl. Koch & Koebe, 2019).

Literatur

  • Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem (1965). (Abruf 22.04.2024: https://ghdi.ghi-dc.org/sub_do...).

  • Koch, K. & Koebe, K. (2019): Die ‚anderen Kinder‘ in der DDR – Zeitgenössische Quellen und literarische Texte als Quelle für die Illustration, Ergänzung und Relativierung der Diskussion zum Umgang mit geistig behinderten Kindern. In: Schriftenreihe der Arbeitsstelle der Pädagogischen Lesungen an der Universität Rostock 1, 4.

  • Ministerium für Volksbildung (1968): Fünfte Durchführungsbestimmung zum Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem – Sonderschulwesen – Vom 20. Dezember 1968. Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik. Jg. 1969, Teil II, 36 bis 40. In: Kommission für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Hrsg.) (1974): Dokumente zur Geschichte des Schulwesens in der Deutschen Demokratischen Republik. Teil 3: 1968–1972/73. 1. Halbband. Berlin: Volk und Wissen, S. 110–117.

  • Verordnung über die Beschulung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen mit wesentlichen physischen und psychischen Mängeln (1951). In: Gesetzblatt der DDR vom 05.10.1951.

1947 setzte in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) unter den Bedingungen einer sich entwickelnden Ost-West-Konkurrenz ein 1948/49 forcierter Paradigmenwechsel hin zur Adaption der sogenannten Sowjetpädagogik ein. Dieser folgte der Neuorientierung auf eine sozialistische Gesellschaftsperspektive. Ähnlich der Aburteilung reformpädagogischer Entwicklungen im Jahrzehnt nach der russischen Oktoberrevolution durch die Beschlüsse des Zentralkomitees der KPdSU (B) „Über die Grund- und Mittelschule“ vom 5.09. 1931 und „Über die Lehrpläne und die Schulordnung der Grund- und Mittelschule“ vom 25.08. 1932 richtete sich die Bildungspolitik der SED-Führung im gesellschaftspolitischen und ökonomischem Interesse gegen reformpädagogische Tendenzen der ersten Nachkriegsjahre in der SBZ. Adaptiert wurde im Zeitraum bis zu Stalins Tod (5.3.1953) und dem 17. Juni 1953 die sowjetische Variante einer intentionalen, auf Belehrung in Verbindung mit „politisch-ideologischer“ Erziehung angelegten Lernschulpädagogik. Der Versuch, sich bis zur Kopie an Entwicklungen des sowjetischen Bildungssystems zu orientieren, scheiterte 1953 in wesentlichen Punkten. Nachhaltige Wirkungen zeitigte jedoch die „Verordnung über die Unterrichtsstunde als Grundform der Schularbeit, die Vorbereitung, Organisation und Durchführung der Unterrichtsstunde und die Kontrolle der Kenntnisse der Schüler“ vom 4.7.1950. Für das bis 1961 nach stetiger Abwanderung in die Bundesrepublik in der DDR verbliebene Personal vereinfachte die Verurteilung der anspruchsvolleren Reformpädagogik und die Rückkehr zum traditionellen Lernschulkonzept die Ausübung des Berufes. Obgleich die Adaption des Modells der sowjetpädagogischen Pädagogik im Weiteren tendenziell einer sowjetischen Einflussnahme wich und schließlich selbst Kooperationsprojekte ermöglichte, hatten die frühen Übersetzungen sowjetischer Pädagogiklehrbücher (Jessipow, B.P./Gontscharow, N.K 1948 und Ogorodnikow, I.T./Schimbiriew, P. N. 1949) gleichwohl ungebrochene erziehungstheoretische Konsequenzen vor allem hinsichtlich der nach wie vor tragenden Begriffe Erziehung, Bildung und Unterricht. Zudem förderte die semantische Aufhebung des traditionellen Gemeinschaftsbegriff im Kollektivbegriff (Makarenko) die Akzeptanz sowjetpädagogischer Grundlagen. . Im Zeichen marxistisch-leninistischer Parteiideologie und der ‚führenden Rolle‘ der SED verloren anders sozialisierte Erziehungswissenschaftler*innen die Möglichkeit, souverän über die Grundlagen der Pädagogik als Wissenschaft zu verfügen. Wirkungen der Aneignung einer solchermaßen verstandenen Sowjetpädagogik lassen sich in Publikationen bis gegen Ende der DDR trotz der späten Distanzierung von sowjetpädagogischen Tendenzen in der Gorbatschow-Ära nachweisen.

Literatur

  • Dorst, W. (1953): Erziehung, Bildung und Unterricht in der deutschen demokratischen Schule: Grundlagen. Berlin: Volk und Wissen.

  • Lost, C. (2000): Sowjetpädagogik. Wandlungen Wirkungen Wertungen in der Bildungsgeschichte der DDR. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren.

  • Tenorth, H.-E. & Wiegmann, U. (2022): Pädagogische Wissenschaft in der DDR. Ideologieproduktion, Systemreflexion und Erziehungsforschung. Studien zu einem vernachlässigten Thema der Disziplingeschichte deutscher Pädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Es handelt sich um staats- und gesellschaftspolitische Vorstellungen, die sich auf die Überwindung eines auf Konkurrenz und Unter­drückung arbeitender Klassen basierten Gesellschaftssystems richteten. Diese Überwindung soll in einem Alternativsystem münden, in dem egalitäre Vorstellungen nicht nur auf politische und soziale, sondern auch auf ökonomische Fragen bezogen werden. Der Begriff „Sozialismus“ wurde im 19. Jahrhundert geprägt und popularisiert. Sehr unterschiedliche Richtungen und Gruppen verkündeten, eigene sozialistische, „gerechte“ und „gemeinschaftliche“ Programme zu entwickeln, darunter u.a. Sozialreformer*innen, Christ*innen und Anarchist*innen. Besonders prominent wurde die von Karl Marx (1818–1883) geprägte Version eines sog. wissenschaftlichen Sozialismus, die theoretisch komplex argumentierte und eine Version der Weltgeschichte formulierte, die einen kommenden Kommunismus als Abschaffung von Ausbeutungsverhältnissen prognostizierte. Die seit 1917 existierenden realsozialistischen Länder, darunter die DDR, beriefen sich auf diese Strömung.

Es existierten in der Geschichte seit dem 19. Jahrhundert weitere Versionen des Sozialismus, die entweder kulturelle und geopolitische Unterschiede (afrikanischer Sozialismus), weitere weltanschauliche Komponenten wie Rassismus und Nationalismus (Nationalsozialismus) bzw. weitere politische Positionen wie Partizipation und Antibürokratismus (demokratischer Sozialismus) oder Anpassungen an neue Zeiten (Sozialismus des 21. Jahrhundert) priorisierten. Für diejenigen Gesellschaften, die sich zwischen 1917 und 1991 in unterschiedlicher Ausprägung und Dauer sozialistisch nannten, werden gewisse Gemeinsamkeiten in ihrer Gegenwartsentwicklung vermutet, die man zusammenfassend mit dem Begriff des „Post-Sozialismus“ benennt.

Literatur

  • Deppe, F. (2021): Sozialismus. Geburt und Aufschwung – Widersprüche und Niedergang – Perspektiven. Hamburg: VSA.

  • Meyer, T. (2008): Sozialismus. Wiesbaden: Springer VS.

  • Segert, D. (Hrsg.) (2007): Postsozialismus. Hinterlassenschaften des Staatssozialismus und neue Kapitalismen in Europa. Wien: Wilhelm Braumüller Universitätsverlag.

Allgemeinbildung wurde seit den 1950er-Jahren konzipiert und galt als Grundlage für den weiteren Aufbau des Sozialismus ebenso wie für die individuell Berufsausbildung und den Weg in weiterführende Bildungsinstitutionen des Bildungssystems bis zur Hochschule. In Abgrenzung von einer „subjektiv-idealistischen“ und „abstrakt-humanistischen“ Konzeption der Persönlichkeit (Neuner, 1975, S. 30) galten für die pädagogische Wissenschaft der DDR „alle Erziehungsprozesse [...] unlösbar in lebendige geschichtliche Prozesse eingebettet [...] und von den materiellen Lebensprozessen der Gesellschaft, den politischen Kämpfen der Klassen und ihren ideologischen Reflexionen in Ziel, Inhalt und Methode entscheidend bestimmt“ (ebd., S. 27). Das Allgemeine der sozialistischen Allgemeinbildung war im Kern also eine Orientierung „auf aktive Aneignung der historisch-konkreten Umwelt, der menschlichen Kultur in ihrer Gesamtheit, in der Arbeit, im Lernen, in kulturschöpferischen Tätigkeiten“ (ebd., S. 32). Damit basierte sozialistische Allgemeinbildung (1) auf der marxistisch-leninistischen Interpretation der „Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung“ (ebd., S. 38), sah (2) in der „Verbindung von Unterricht, produktiver Arbeit und Gymnastik“ die Bedingung einer „allseitigen Entwicklung des Menschen“ (ebd., S. 39), die durch (3) „[i]deologische Erziehung“ eine allseitige Entwicklung einer spezifisch „sozialistischen“ Persönlichkeit war (ebd.). Eine so gedachte „[s]ozialistische Persönlichkeitsentwicklung“ galt (4) als Bedingung und Garant für die Einbettung der Erziehung in den „revolutionären Kampf der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeter“ (ebd.).

Mit alldem konzentrierte sich erziehungswissenschaftliche Forschung in der DDR darauf, zur Herausbildung allseitig entwickelter und allseitig gebildeter sozialistischer Persönlichkeiten – insbesondere in den Institutionen des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems − beizutragen. Die Berufung auf Marxens Vision einer vollen „Entwicklung jedes Individuums“ in einer „höheren Gesellschaftsform“ klammerte allerdings die „freie“ individuelle Entwicklung der Persönlichkeit aus (Marx, 1962, S. 618). Sowohl die „Theorie sozialistischer Allgemeinbildung“ (Neuner, 1975) als auch das in Lehrplanwerken und erläuternden Monografien manifestierte Konzept sozialistischer Allgemeinbildung banden bedeutende erziehungswissenschaftliche Forschungsressourcen in der DDR, zunächst im Deutschen Pädagogischen Zentralinstitut (DPZI) und ab 1970 in der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften (APW). Erst allmählich geriet seit der Mitte der 1970er-Jahre und vor allem gegen Ende der 1980er-Jahre wich die dogmatische These vom Unterricht als Hauptfeld der Erziehung und Bildung der heranwachsenden Generation (vgl. Tenorth & Wiegmann, S. 382, FN 80), einer behutsam vorgetragenen erziehungswissenschaftlichen Kritik. Dennoch vermochte sich die Einsicht von der „Verflochtenheit gesellschaftlicher Prozesse“ bei der Herausbildung sozialistischer Persönlichkeiten (vgl. ebd., S. 419, FN 276) bis zum Zusammenbruch der DDR gegen die herrschende Bildungs- und Wissenschaftspolitik nicht durchzusetzen.

Literatur

  • Drefenstedt, E./ Neuner G./ Autorenkollektiv (1970): Lehrplanwerk und Unterrichtsgestaltung. 2. Aufl. Berlin: Volk und Wissen.

  • Marx, K. (1962): Werke, Bd. 23. Berlin: Dietz Verlag.

  • Neuner, G. (1975): Zur Theorie der sozialistischen Allgemeinbildung. 3. Aufl. Hrsg. v. Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR. Berlin: Volk und Wissen.

  • Neuner, G. (1989): Allgemeinbildung. Konzeption – Inhalt – Prozeß. Berlin: Volk und Wissen.

  • Neuner, G. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1972): Allgemeinbildung Lehrplanwerk Unterricht. Berlin: Volk und Wissen.

  • Neuner, G. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1988): Allgemeinbildung und Lehrplanwerk. 2. Aufl. Berlin: Volk und Wissen.

  • Tenorth, H.-E. & Wiegmann, U. (2022): Pädagogische Wissenschaft in der DDR. Ideologieproduktion, Systemreflexion und Erziehungsforschung. Studien zu einem vernachlässigten Thema der Disziplingeschichte deutscher Pädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Zum DDR Schulwesen zählten schon ab 1950, seit den 1960er-Jahren vermehrt Schulen und Klassen für Kinder und Jugendliche mit „hohen Leistungen und besonderen Begabungen“. Das entsprach gesellschaftlichen, später vor allem auch ökonomischen Interesselagen, nämlich den „besonderen Erfordernissen der Nachwuchsentwicklung“ und Begabtenförderung (§ 18, Bildungsgesetz 1965). Bereits 1953/54 waren nach sowjetischem Vorbild besondere Schulen für sportlich talentierte Kinder, die „Kinder- und Jugendsportschulen“ (KJS) eingerichtet worden. Sie verbanden Unterricht und Training in einer festgelegten zeitlichen Ordnung, mit modifizierten Lehrplänen und mit politisch-ideologischer Erziehung. Diese Schulen arbeiteten ganztägig und waren materiell deutlich besser ausgestattet als die üblichen allgemeinbildenden Schulen; teilweise besaßen sie Internatseinrichtungen. Schon in den 1950er-Jahren, spätestens mit Beginn des Schuljahres 1952/53, waren an einigen Oberschulen spezielle Sprachklassen, sogenannte R-Klassen eingerichtet worden, die einen erweiterten Russischunterricht boten; eine Spezialschule für Fremdsprachen gab es später in Berlin. Ebenfalls schon in den 1950er-Jahren wurde eine außerschulische Musikförderung für Begabte eingerichtet, die Volksmusikschulen, ab 1961 als Musikschulen, die besondere Angebote zur frühmusikalischen Förderung von interessierten und musikalisch talentierten Kindern machten. Ende der 1950er-Jahre wurden an ausgewählten Schulen zudem musikalische „Spezialklassen“ eingerichtet, die zum Abitur führten und der Vorbereitung auf ein Musikstudium oder die Ausbildung als Berufsmusiker*in dienten. Ab 1962 konnten musikalisch besonders (leistungs-)befähigte und überdurchschnittlich begabte Schüler*innen nach bestandener mehrtägiger Eignungsprüfung ab der 6. Klassenstufe in einer der vier „Spezialschulen für Musik“ (Berlin, Dresden, Weimar, Halle) Aufnahme finden. Weiterhin gab es seit der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre Spezialschulen mathematisch-naturwissenschaftlich-technischer Prägung für die 9. bis 12. Klassenstufe. Zum Ende der DDR bestanden insgesamt 11 Spezialschulen, etwa knapp 10 % aller Abiturient*innen kamen von diesen Schulen (vgl. Schreier, 1996, S. 292). Auch wenn einrzuäumen ist, dass von diesen Schulen keine großen Anregungen für Unterrichtsreformen ausgingen, scheinen Auswahl und individuelle bzw. exklusive Förderung der Begabten, gemessen an Studienerfolgen und überproportional oft erfolgender Promotion, doch erfolgreich gewesen zu sein (vgl. Geißler, 2012, S. 304).

Literatur

  • Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem (1965). (Abruf 22.04.2024: https://ghdi.ghi-dc.org/sub_do...).

  • Geißler, G. (2022): Spezialschulen und Spezialklassen in der DDR. Ein Überblick. In: Fleischhauer, T./Müller, C. (Hrsg.): Die Jenaer ›Spezi‹. Von der Spezialschule (1963) zum Carl-Zeiss-Gymnasium Jena (2021). Jena: DominoPlan, S. 56-65.

  • Huschner, A. (1997): Fremdsprachliche Spezialklassen als Strukturmerkmal des DDR-Schulsystems (1967/68 bis 1989/90). In: Tenorth, H.-E. (Hrsg.): Kindheit, Jugend und Bildungsarbeit im Wandel. Ergebnisse der Transformationsforschung. Weinheim: Beltz, S. 203–225.

  • Lessing, W. (2017): Erfahrungsraum Spezialschule. Rekonstruktion eines musikpädagogischen Modells. Bielefeld: transcript.

  • Schreier, G. (1996): Förderung und Auslese im Einheitsschulsystem: Debatten und Weichenstellungen in der SBZ/DDR 1946 bis 1989. Weimar: Böhlau.

  • Wiese, R. (2012): Kaderschmieden des "Sportwunderlandes". Die Kinder- und Jugendsportschulen der DDR. Hildesheim: Arete.

‚Staatsbürgerkunde‘ war in der DDR ein Unterrichtsfach. Es wurde 1957 eingeführt und ersetzte damit das bis 1950 unterrichtete Fach Gegenwartskunde. Zu den Inhalten gehörten die Vermittlung u.a. der Ideologie des Marxismus-Leninismus , der Politischen Ökonomie, des wissenschaftlichen Sozialismus, des Aufbau des Staates sowie der Rechte und Pflichten von Bürger*innen der DDR. Unterrichtet wurde das Fach zunächst in den Klassen 9 bis 12, ab 1969 bereits ab Klasse 7 der Polytechnischen Oberschule (POS) jeweils mit einer Wochenstunde (Grammes, 2006, S. 51-69).

‚Staatsbürgerkunde‘ galt in der DDR als wichtiges Mittel der politischen Erziehung im einheitlichen sozialistischen Bildungs- und Erziehungssystem . Schwerpunkte des Faches waren die Herausbildung eines Klassenbewusstseins und das Bekenntnis zum ‚Arbeiter- und Bauernstaat‘ DDR. Der Unterricht war eng verknüpft mit den in die Schulen integrierten Kinder- und Jugendorganisationen (Pioniere , FDJ).

Literatur

  • Grammes, T./ Schluß, H./ Vogler, H.-J. (2006): Staatsbürgerkunde in der DDR. Ein Dokumentenband. Wiesbaden: Springer VS.

  • Lehrplanwerk Staatsbürgerkunde – Klasse 7–10 (1983). Berlin: Volk und Wissen. Bundesarchiv, BArch, DR 200/4847.

Während des Kalten Krieges standen die beiden deutschen Staaten in vielen gesellschaftlichen Bereichen in einem Wettstreit darum, welches System – Sozialismus oder Kapitalismus – technologisch, ökonomisch und politisch das erfolgreichere, friedlichere und gerechtere Gesellschaftsmodell sei. Diese Konkurrenz zog sich durch viele Themen, insbesondere wurde sie jedoch im Bereich der Familienpolitik (Frevert, 2000) und im Bildungs- und Erziehungssystem ausgetragen. Dies führte z.B. zu Gegensätzen in Grundfragen der Bildungspolitik: Während seit dem Beutelsbacher Konsens (1976) in der BRD ein Überwältigungsverbot herrschte, wurde die Praxis in der DDR von der Forschung auch als eine Art „Überwältigungsgebot“ (Mathes, 2022, S. 130) bezeichnet. Dabei wurden Inhalte stark emotionalisiert vermittelt, um die Menschen zu regieren und politisch zu steuern.

Eine wichtige Rolle der konkurrierenden Bildungssysteme spielte auch der Umgang mit dem Nationalsozialismus. So warf die DDR der BRD vor, sich in der Lehrerschaft nicht vom nationalsozialistischen Personal getrennt zu haben, während sie selbst sich mit den sogenannten „Neulehrern“ einen erneuerten Lehrkörper aus jungen, als unbelastet geltenden Personen geschaffen habe. Zudem erhob der Sozialismus in der DDR den Anspruch, anders als die BRD, ihren Schüler*innen die gleichen Bildungschancen unabhängig von sozialer Herkunft und Geschlecht zu bieten (Baader/Koch/Neumann, 2023). Die Erziehungs- und Bildungspolitik der SED und insbesondere die Bildungsministerin Margot Honecker versprachen der Bevölkerung der DDR, nur im Sozialismus könnten Kinder und Jugendliche zu glücklichen Menschen heranwachsen.

Im Jahr 1978 führte die Einführung des Wehrunterrichts allerdings zu Unmut bei Bürger*innen und schadete dem Image der DDR als „Friedensstaat“ (Sachse, 2022). Insbesondere aber die Ungerechtigkeit im Bildungssystem, wie beispielsweise fehlende Entfaltungs- und Aufstiegschancen sowie verhinderte Bildungswege, führten zu starker Kritik, die sich in der Friedlichen Revolution äußerte und zum Niedergang der DDR beitrug. Dabei spielte auch eine Rolle, dass es das Erziehungs- und Bildungssystem der DDR seit den frühen 1980er Jahren nicht mehr schaffte, dass sich die Jugendlichen mit dem sozialistischen System identifizierten (Wierling, 2000).

Literatur

  • Baader, M. S./ Koch, S./ Neumann, F. (2023): Von Soldaten und Lehrerinnen. Geschlechterverhältnisse in Bildungsmedien der DDR. In: Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 69, S. 21–39.

  • Frevert, U. (2000): Umbruch der Geschlechterverhältnisse? Die 60er Jahre als geschlechterpolitischer Experimentierraum. In: Schildt, A./Siegfried, D./Lammers, C. (Hrsg.): Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in beiden deutschen Gesellschaften. Hamburg: Hans Christians Verlag, S. 624-660.

  • Mathes, E. (2022): Schulbücher und sonstige Unterrichtsmittel in der DDR. In: Benecke, J. (Hrsg.): Erziehungs- und Bildungsverhältnisse in der DDR. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 125-139.

  • Sachse, C. (2022): Wehrerziehung von Kindern und Jugendlichen in der DDR. In: Benecke, J. (Hrsg.): Erziehungs- und Bildungsverhältnisse in der DDR. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 172-189.

  • Wierling, D. (2000): Erzieher und Erzogene. Zu Generationenprofilen in der DDR der 60er Jahre. In: Schildt, A./Siegfried, D./Lammers, C. (Hrsg.): Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in beiden deutschen Gesellschaften. Hamburg: Hans Christians Verlag, S. 624-641.

Transnationale Verflechtungen sind grenzüberschreitend organisierte Verbindungen und Austauschbeziehungen, die auf lokale und nationale Kontexte wirken. Mit dem Begriff des Transnationalen werden viele verschiedene Formen von Verbindungen jenseits der alleinigen Rahmung der Nation zusammengefasst, wie internationale, supranationale und globale. Nachdem die Idee von transnationalen Verflechtungen im Feld der International Relations seit den 1970er-Jahren etabliert worden war, wurden transnationale Verflechtungen seit den 1990er-Jahren zu einem bevorzugten Gegenstand der Sozial-, Kultur- und Geschichtswissenschaften. Sie waren Ausdruck einer neuen Aufmerksamkeit für Prozesse der Überschreitung politischer Grenzen im Kontext der zunehmenden Globalisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Verflechtungen bilden sich in diesem Sinne nicht nur in Situationen der Kontiguität von bestimmten Rahmen und Kontexten, sondern auch als Verflechtungen zwischen entfernten Territorien oder Einheiten. Ab einer bestimmten Dichte können Verflechtungen die Grundlage für Gebilde wie das ‚empire‘ oder die ‚sozialistische Staatengemeinschaft' darstellen. Neuere Forschung hat gezeigt, dass nicht nur wirtschaftliche Zusammenhänge, sondern darüber hinaus auch gesellschaftliche, kulturelle, schulische und bildungsbezogene Zusammenhänge entscheidend auf transnationalen Verflechtungen aufbauen.

Literatur

  • Möller, E. & Wischmeyer, J. (Hrsg.) (2013): Transnationale Bildungsräume. Wissenstransfers im Schnittfeld von Kultur, Politik und Religion. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

  • Pernau, M. (2011): Transnationale Geschichte. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) wurden die Grundsteine für das spätere – zunächst am sowjetischen Schulsystem angelehnte, auf den Marxismus-Leninismus orientierte, dann immer mehr eigenständig entwickelte – Volksbildungswesen der DDR gelegt. Nachdem am 27. Juli 1945 auf Befehl der Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung (von 1946 bis 1949 „Deutsche Verwaltung für Volksbildung“) eingerichtet worden war, begann eine intensive Arbeit an einem „Neubeginn“ des Schul-, Erziehungs- und Bildungssystems. Dabei bezog sich der Neubeginn nach dem 2. Weltkrieg zum einen auf die Instandsetzung der z.T. zerstörten Schulgebäude und zum anderen auf die vor dem Hintergrund der Entnazifizierung dringliche Aufgabe der Gewinnung neuer Lehrkräften sowie der Neuentwicklung der bisherigen „nazistischen“ Lehrbücher und -methoden. Erklärtes bildungspolitisches Ziel dieser ersten Phase war also eine „demokratische Schulreform“, die zur antifaschistischen und „wahrhaft demokratischen“ Bildung und Erziehung beitragen sollte und ein einheitliches demokratisches Schulsystem grundlegen sollte (vgl. Gemeinsamer Aufruf von KPD und SPD zur demokratischen Schulreform vom 18.10.1945, zit. n. Baske & Engelbert, 1966, S. 5–7). So befassten sich auch der I. und II. der Pädagogischen Kongresse mit der „Demokratisierung“ von Bildung und Schule (vgl. die Protokolle BArch DR2/2 und DR2/7).

In dieser ersten Phase der Differenzierung war das Volksbildungswesen der DDR gegliedert in Kindergarten, Grundschule, Berufsschule, Fachschule, Oberschule, Volkshochschule, Abendschule, Vorstudienanstalten (den späteren Arbeiter- und Bauernfakultäten) sowie Universität und Hochschule. Volksbildung umfasste zunächst alle diese Bildungs- und Erziehungseinrichtungen, aber auch die Jugendhilfe, außerschulische Erziehung, Wissenschaft, Kunst und Kultur, Rundfunk sowie Sport. Die Zuständigkeiten für Sport, Rundfunk, Hoch- und Fachschulwesen, Kunst, Literatur und Film wurden in den folgenden Jahren sukzessive an andere Organe abgegeben. Spätestens mit der Einrichtung des Ministeriums für Volksbildung am 1. Januar 1950 rückten weitere Entwicklungsthemen in den Mittelpunkt der Schul- und Bildungspolitik. Einerseits wurde in direkter Anlehnung an das Sowjetische System nun auf eine stärkere „Einheit von ideologischer Erziehung und fachlicher Bildung“ gedrungen und diese auch durch Gesetze und Beschlüsse vorangetrieben (vgl. Baske, 1998, S. 170ff.). Andererseits setzte, ausgelöst durch einen Beschluss des SED-Politbüros, eine Diskussion über die „Polytechnisierung“ von Erziehung, Bildung und Unterricht ein. Dem Ministerium für Volksbildung waren das Deutsche Pädagogische Zentralinstitut (DPZI) sowie der staatsmonopolistische Schulbuchverlag „Volk und Wissen“ unterstellt. Es hatte somit also auch einen bedeutenden Einfluss auf die wissenschaftliche Pädagogik sowie die schul-/lehrplanbezogene Publikationstätigkeit.

Ab Mitte der 1960er-Jahre folgte eine Phase stärkerer Konsolidierung und Vereinheitlichung. Auf Ebene der Bildungsinhalte wurde seit 1964 an einem einheitlichen Lehrplanwerk für alle Klassen und Fächer der Zehnklassenschule gearbeitet. Auf Ebene der Strukturen wurde mit dem „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ (25. Februar 1965) diesem seine ausdifferenzierte Form gegeben: Es bestand aus Kinderkrippen (von 1-3 Jahren) und Kindergärten (ab 3 Jahren bis zum Schuleintritt), einer zehnjährigen, verpflichtenden allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule (mit Unter-, Mittel- und Oberstufe; POS). Hinzu kamen sogenannte Spezialschulen für besonders begabte sowie Hilfsschulen und Sonderschuleinrichtungen für „psychisch oder physisch geschädigte“ Kinder und Jugendliche. An die POS schlossen die Einrichtungen der Berufsausbildung, zur Hochschule führende Erweiterte Oberschulen (EOS), Ingenieur- und Fachschulen, Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung der Werktätigen an. Universitäten und Hochschulen wiederum bauten im Wesentlichen auf der EOS und der BmA auf. Dabei war das Ministerium für Volksbildung weiterhin auch für Erziehungsheime und die außerschulische Erziehung zuständig. Vielgestaltig waren die Bemühungen, eine feste Verbindung zwischen Schul- und Familienerziehung aufzubauen, erfolgreich vor allem jene, die es vermochten, die Massenorganisationen der Jungen Pioniere und der Freie Deutschen Jugend (FDJ) in die Schularbeit einzubinden.

Unter der bildungspolitischen Maxime „Stabilität und Kontinuität“ blieb das Volksbildungswesen in seinen Strukturen bis in die späten 1980er-Jahre relativ stabil. Nicht nur im pädagogischen Diskurs, auch statistisch sind trotz der strukturellen Kontinuität von 1965 bis 1980 Entwicklungen und Veränderungen auffällig. So ist der Anteil der Schüler*innen, die die zehnjährige Oberschulpflicht erfüllten von 52,7 % (1965) auf 86,8 % (1980) gestiegen. Der Anteil der EOS-Absolvent*innen am jeweiligen Altersjahrgang ist wiederum zwar von 9,1 % (1966) zunächst auf 9,8 % (1970) gestiegen, jedoch schließlich auf 7,7 % (1980) gesunken. Durch insgesamt sinkende Schüler*innenzahlen und eine steigende Anzahl vollbeschäftigter Lehrkräfte sank die Zahl der Schüler*innen je Klasse von 27,6 (1965) auf 22,6 (1980) an den POS und von 26,1 (1965) auf 20,4 (1980) an den EOS. Obwohl eine gewisse Modernisierung, wie die Aufnahme von Informatik und Computerbildung ins Lehrplanwerk oder das Aufgreifen neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, zu verzeichnen war, kam es insgesamt bis zum Ende der DDR zu keinen tiefgreifenden Reformen mehr.

Literatur

  • Baske, S. (1998): Allgemeinbildende Schulen. In: Führ, C. & Furck, C.-L. (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2, 1945 bis zur Gegenwart. München: Beck, S. 159–201.

  • Baske, S. & Engelbert, M. (Hrsg.) (1966): Zwei Jahrzehnte Bildungspolitik in der Sowjetzone Deutschlands. Dokumente. Erster Teil 1945 bis 1958. Berlin: Hildebrandt & Stephan.

  • Geißler, G. (2000): Geschichte des Schulwesens in der sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik 1945 bis 1962. Frankfurt a.M.: Lang.

Wehrerziehung war ein komplexes System der vormilitärischen Ausbildung der DDR, das in einem biographisch gestaffelten System neben dem schulischen auch alle anderen gesellschaftlichen Bereiche umfasste. Als übergeordnete Aufgabe der Wehrerziehung wurde die Entwicklung des Wehrbewusstseins beschrieben, das „Erkenntnisse, Einstellungen, Emotionen sowie Willensakte und Überzeugungen hinsichtlich der Verteidigung des Sozialismus [beinhaltet und sich] im bewußten persönlichen Beitrag zur Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes“ äußerte (Ilter/Herrmann/Stolz, 1974, S. 30).

In einem engen Begriffsverständnis bezog sich Wehrerziehung auf die vormilitärische Ausbildung im Sinne einer Erlangung von Wehrfähigkeit. In diesem Sinne ging es um militärpraktische Übungen zur Vorbereitung auf eine militärische (und wehrsportliche) Grundausbildung in der Nationalen Volksarmee der DDR (NVA), gleichzeitig um die Gewinnung von Berufsnachwuchs und Länderdienenden für die NVA. Eine zentrale Rolle spielten hierbei außerunterrichtliche Aktivitäten wie etwa in der Gesellschaft für Sport und Technik (GST). In einem weiten Begriffsverständnis umfasste Wehrerziehung ebenso Funktionen, Aufgaben und Ziele einer wehrpolitischen Erziehung im Sinne eines ideologischen Erziehungsprogrammes. Hier wurde nicht auf eine militärische Verwendbarkeit reduziert, sondern es ging in mindestens gleichem Maße um die Förderung eines spezifischen Bewusstseins und die Ausformung von Wehrbereitschaft und Wehrmotivation. In den Kontext eines solchen weiter gefassten Verständnisses von „Wehrerziehung“ ließen sich vielfältige Elemente der allgemeinen ideologischen Durchdringung des Unterrichts in verschiedenen schulischen Fächern einordnen.

Der Wehrunterricht war eine spezifische, ab dem Schuljahr 1978/79 (schul-)curricular verankerte Form der Wehrerziehung. Dieser Unterricht, der militärpraktische und ideologische Anteile umfasste (Decker & Koch, 2021, S. 4) besaß nicht den Rang eines Unterrichtsfaches nicht aufgeführt, wurde folglich in der amtlichen Stundentafel nicht aufgeführt und ebenso wenig benotet. Er hat keinen stringenten Lehrplan, war nicht mit der Ausbildung entsprechender Fachlehrer*innen verbunden und bleibt in Lehrwerken und Periodika pädagogischer Provenienz unberücksichtigt (Geißler, 2023,S. 1191-1197). Er wurde für die 9. und 10. Klasse auf je vier Doppelstunden zu Fragen der Landesverteidigung festgelegt. Hinzu kamen über diese Zeit hinweg etwa 3 Wochen Lehrgänge/Ausbildungslager. Während die (theoretischen) Stunden zu Fragen der Landesverteidigung gemeinsam stattfanden, wurden bei der praktischen Ausbildung unterschiedliche geschlechtsspezifische Schwerpunkte gesetzt. Inhaltlicher Fokus für Jungen war die vormilitärische Ausbildung, eng verbunden mit dem Ziel, sie für militärische Berufe zu gewinnen (Lehrplan Lehrgang, 1984). Für Mädchen lag der inhaltliche Schwerpunkt auf der Zivilverteidigung und der Vermittlung von „grundlegende[m] Wissen und Können zum richtigen Verhalten in Gefahrensituationen und zur Durchführung der erforderlichen Maßnahmen zum Schutz des Lebens und der Hilfeleistung“ (ebd., S. 7). Trotz dieser Differenzierung beinhalteten beide Ausbildungsstränge auch Elemente des jeweils anderen (vgl. ebd.). Angesichts auch der zeitgleichen Friedensbewegung in der Bundesrepublik wurde die Einführung des Wehrunterrichts von den Kirchen scharf kritisiert, von Eltern teils auch öffentlich abgelehnt und in einer Anzahl von Fällen, die Aufsehen erzeugten, verweigert.

Literatur

  • Geißler, G. (2023): Schulgeschichte in Deutschland. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Frankfurt a.M.: Lang.

  • Ilter, K./ Herrmann, A./ Stolz, H. (Hrsg.) (1974): Handreichung zur sozialistischen Wehrerziehung. Berlin: Volk und Wissen.

  • Koch, K. & Decker, C. (2021): Zwischen Drill und Lagerfeuerromantik – Wehrerziehung und Wehrunterricht an Hilfsschulen der DDR im Spiegel der Pädagogischen Lesungen. In: Schriftenreihe der Arbeitsstelle der Pädagogischen Lesungen an der Universität Rostock 3, 11.

  • Ministerium für Volksbildung (1984): Lehrplan Lehrgang Zivilverteidigung. DIPF/BBF, 85.448.

‚Wende‘ ist ein Begriff, den Zeitgenoss*innen selbst nutzten, um den fundamentalen Umbruch in der DDR zu bezeichnen, der sich in den Jahren zwischen 1989 und 1990 vollzog. Zwischen den sich ausweitenden Massendemonstrationen, den Aktionen der Bürgerrechts- und Oppositionsbewegung, dem Zerfall der Macht der SED, der Etablierung der Runden Tische, neuen Wahlen, dem Entwurf einer Verfassung – später oft zusammenfassend auch als ‚friedlichen Revolution‘ bezeichnet – und dem zunehmend lauter werdenden Wunsch nach einem gemeinsamen deutschen Staat entwickelte sich eine folgenreiche Dynamik, bis es schließlich am 3. Oktober 1990 zum formalen Beitritt der sogenannten neuen Länder auf dem Territorium der DDR zur Bundesrepublik Deutschland kam. Die ‚Wende‘ vollzog sich auf verschiedenen Ebenen, der Ebene des politischen Systems und der institutionellen Ordnung wie aber auch auf der Ebene der Lebenswelt und des Alltags der Bevölkerung; dabei zeigten sich Ungleichzeitigkeiten und widersprüchliche (Alltags-)Erfahrungen, die sich auch weit über 1989/90 hinaus erstreckten. Die verschiedenen Erfahrungen von Aufbrüchen und Unsicherheiten der Menschen in Ostdeutschland und ihr daraus entstehendes spezifisches Wissen darüber deckten sich keineswegs immer mit einer einfachen Chronologie der politischen Ereignisse und den Veränderungen der rechtlich-politischen Regelungen. Sozial- und Politikwissenschaftler*innen, die diesen Umbruch zeitgenössisch beobachteten und dazu verschiedene Daten – etwa auch in biographischen Interviews – erhoben, sprachen von ihm als von einer ‚Transformation‘ und meinten damit häufig den Übergang zur Marktwirtschaft und zur Demokratie. Während der Historiker Philipp Ther einen tiefgreifenden, das ökonomische und politische System aber auch viele verschiedene Bereiche der Gesellschaft grundlegend verändernden und beschleunigten Prozess einen „Transformationsprozess“ nennt, der seiner Auffassung nach als neoliberale Transformation viele Länder Europas und des früheren ‚Ostblocks‘ – allerdings jeweils unterschiedlich – erfasste (vgl. Ther 2014, S. 28, insb. S. 26-40), hat die Zeithistorikerin Kerstin Brückweh den Begriff einer „langen Geschichte der ‚Wende‘“ geprägt (Brückweh, 2020). Sie adressiert damit die komplexen Prozesse struktureller Umbauten, verschiedener Erfahrungen und des sich ändernden Erinnerns daran. Sie kann gemeinsam mit einer Forschungsgruppe deutlich machen, dass die Geschichte der Veränderungen, die sich um 1989 herum vollzogen, weit zurückreicht und Auswirkungen über die unmittelbare ‚Wende‘-Zeit hinaus hat. Für deren Verständnis ist eine lange Perspektive vonnöten. In den Blick genommen werden sollte auf jeden Fall der zwischen der Mitte der 1970er-Jahre und etwa 2000er-Jahre liegende Zeitraum, um möglichst viele Entwicklungsaspekte und Phänomene zu erfassen (Brückweh, Villinger, Zöller, 2020). Gerade für die Institution Schule konnte gezeigt werden, wie sich deren langlebige Strukturen und mit ihr zusammenhängende Mentalitäten und Vorstellungen der Akteure – vor allem das Paradigma der ‚Leistung‘ und die Idee der ‚Meritokratie‘, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts herausbildeten – gegenseitig angesichts der Herausforderungen durch die ‚Wende‘ verstärkten und Schule als Lebenswelt stabilisierten, auch wenn die Strukturen des Schulsystems sehr wohl nach 1990 verändert wurden und sich denen in der alten Bundesrepublik annäherten. Dass Erfahrungen in der Schule nicht zwangsläufig gut waren, auch wenn die Erinnerung an die Schulzeit positiv ist, zeigt sich nicht nur im Rückblick auf die DDR, aber eben auch in der „langen Geschichte der ‚Wende‘“ (Zöller, 2020).

Literatur

  • Brückweh, K. (2020): Die lange Geschichte der „Wende“ – Lebenswelt und Systemwechsel in Deutschland vor, während und nach 1989. In: Deutschland Archiv, 08.09.2020. (Abruf 26.05.2024: www.bpb.de/314982).

  • Brückweh, K. /Villinger, C. /Zöller, K. (Hrsg.) (2020): Die lange Geschichte der Wende. Geschichtswissenschaft im Dialog. Berlin: Ch. Links.

  • Ther, P. (2014): Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Eine Geschichte des neoliberalen Europa. Berlin: Suhrkamp.

  • Zöller, K. (2020): Erinnerung, Wandel und Neubewertung – Die Schulzeit in der langen Geschichte der „Wende“. In: Deutschland Archiv, 18.09.2020. (Abruf 26.05.2024: www.bpb.de/315771).

Der Begriff der ‚wissenschaftlich-technischen Revolution‘ wurde 1961 in einem „einflussreichen Werk“ von J.D. Bernal geprägt, bezeichnete ursprünglich eine globale Entwicklung und kam über eine Übersetzung von Ludwig Boll in den Sprachgebrauch der DDR (Laitko, 1996, S. 35). Dabei wurde die ‚wissenschaftlich-technische Revolution‘ als ein Prozess zunehmender Verwissenschaftlichung der Produktionsmittel sowie der Arbeitsformen bzw. -organisationen und der stetigen Anhebung des Bildungsniveaus bzw. steigender Qualifikation der Arbeitenden verstanden (vgl. Bialas, 1978).

Vor dem Hintergrund des sogenannten Systemwettstreits des Kalten Krieges spielte das Konzept der ‚wissenschaftlich-technischen Revolution‘ in der DDR eine wichtige Rolle. Dabei war die marxistische Interpretation ökonomischer Entwicklungen nach 1945 grundlegend: Sprach man zunächst von einer ‚Zweiten industriellen Revolution‘, die als stark technisch geprägt verstanden wurde, wurde nun auch eine wissenschaftliche Revolution diagnostiziert. Da eine grundsätzliche Wichtigkeit des Verständnisses exakter Naturwissenschaft für das Fortkommen sozialistischer Gesellschaften angenommen wurde, galt es für die Eingliederung der Wissenschaft als ‚Produktivkraft‘ zu sorgen. Die wissenschaftlichen und industriellen Entwicklungen der ‚wissenschaftlich-technischen Revolution‘ hätten den Prozess der Entwicklung der Naturwissenschaft zu einer unmittelbaren Produktivkraft erheblich beschleunigt und im Kommunismus könne dieser Prozess schließlich vollendet werden – so das Philosophische Wörterbuch der DDR von 1964 (Klaus & Buhr, 1964, S. 615).

Nicht zuletzt im Bildungsbereich wurde dieses Verständnis gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen genutzt, um Reformen als gesamtgesellschaftlich relevant zu begründen. Gerhart Neuner, Direktor der Akademie für Pädagogische Wissenschaften (APW) bestimmte 1970 die ‚wissenschaftlich-technische Revolution‘ als zeitbestimmende Tendenz, infolge derer Technisierung und Verwissenschaftlichung die Industrie und das gesellschaftliche Leben gleichermaßen durchdringen würden, und das Bildungswesen der DDR habe dem mit seiner Lehrplanreform Rechnung zu tragen.

Literatur

  • Abele, J. (2009): Technik und nationale Identität in der DDR. In: Schleiermacher, S. & Pohl, N. (Hrsg.): Medizin, Wissenschaft und Technik in der SBZ und DDR. Organisationsformen, Inhalte, Realitäten. Husum: Matthiesen, S. 243–258.

  • Bialas, V. (1978): Die Konzeption der wissenschaftlich-technischen Revolution und die historische Kategorie ‚Wissenschaftlich-technische Revolution‘. In: Sandkühler, H. J. (Hrsg.): Die Wissenschaft der Erkenntnis und die Erkenntnis der Wissenschaft. Stuttgart: Metzlersche Verlagsbuchhandlung, S. 362–369.

  • Klaus, G. & Buhr, M. (Hrsg.) (1964): Philosophisches Wörterbuch. 1. Aufl. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts.

  • Laitko, H. (1996): Wissenschaftlich-technische Revolution: Akzente des Konzepts in Wissenschaft und Ideologie der DDR. In: Utopie kreativ 7, S. 33–50.

  • Neuner, G. (1970): Wissenschaftlich-technische Revolution und Bildungsreform in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). In: Internationale Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 16, 3, S. 286–297.