Sozialistische Schule zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die Pädagogischen Lesungen in der DDR 1950–1980
Das Rostocker Teilprojekt erforscht verschiedene Facetten des Bildungswesens der DDR und blickt dabei auf pädagogisches und didaktisch-methodisches Professionswissen, auf Weiterbildung sowie den etablierten Erfahrungsaustausch der Pädagog*innen aller DDR-Erziehungs- und Bildungsbereiche. Quellengrundlage hierfür sind im Projekt die Pädagogischen Lesungen. Sie wurden seit den 1950er-Jahren herausgegeben und erlebten seit den 1960er Jahren einen immensen Aufschwung. Auf jeweils etwa 30–50 Seiten haben sich Lehrer*innen und Kindergärtner*innen in den Lesungen mit verschiedenen Unterrichtsfächern und Bildungsgängen ebenso mit allgemeinen pädagogischen wie didaktischen oder psychologischen Fragestellungen befasst. Dabei wurden sie jeweils in einem zentralistisch organisierten Selektionsprozess ausgewählt, in den Pädagogischen Kreis- über die Bezirkskabinetten bis hin zur zentralen Ebene popularisiert und schließlich im Berliner Haus des Lehrers inventarisiert (vgl. Wähler & Hanke, 2018). Insgesamt ist heute in der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung (BBF) ein umfangreiches Konvolut von ca. 9.500 Pädagogischen Lesungen archiviert. Zur Erforschung dieses Korpus entstand eigens eine Arbeitsstelle Pädagogische Lesungen an der Universität Rostock. Sie bietet neben einer einladenden Überblicksausstellung Räumlichkeiten für den gemeinsamen Erfahrungsaustausch und bildet einen Ausgangspunkt zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Lesungen. So wurde z.B. eine elektronische Datenbank erstellt und eine Forschungsbibliothek mit zeitgenössischer Primär- und Sekundärliteratur eingerichtet. Um das Thema DDR auch in schulischen Kontexten verfügbar zu machen, erstellt die Arbeitsstelle darüber hinaus auch Unterrichtsmaterialien. In diesem Rahmen entstanden mehrere Einzelhefte mit biografischen Erzählungen, die Schüler*innen zur Beschäftigung mit dem Lebensalltag in der DDR von verschiedenen DDR-Bürger*innen anregen.
Aufgrund der inhaltlichen Breite der Pädagogischen Lesungen konzentrieren sich die Forschungen der Arbeitsstelle nicht auf ein bestimmtes Unterrichtsfach, sondern widmen sich in Einzeluntersuchungen verschiedenen Themen des DDR-Bildungswesens. Bislang befasste sich das Rostocker Teilprojekt mit dem Sport- und Literaturunterricht, der Wehrerziehung sowie dem Umgang mit geistig beeinträchtigten Kindern in der DDR. Die Beiträge der Forscher*innen werden in der Rostocker Universitätsdatenbank RosDok Schriftenreihe der Arbeitsstelle veröffentlicht und sind zum Teil in der Buchreihe „Beiträge zur Geschichte der Pädagogik in der DDR“ erschienen. Es sind bisher drei Bände herausgegeben worden: Der erste Band bietet einen thematischen Überblick, der zweite präsentiert die verschriftlichten Erinnerungen von insgesamt 23 Zeitzeug*inneninterviews und der dritte legt den Schwerpunkt auf den Selektions- und Distributionsprozess der einzelnen Beiträge der Pädagogischen Lesungen.
Mit Beginn der zweiten Projektförderphase werden nunmehr Fragen zu Leistung, Leistungsermittlung und Beurteilungskompetenz in den Blick genommen. Während in der ersten Förderphase in den Pädagogischen Lesungen vor allem die Perspektive der Lehrkräfte zum Thema betrachtet wurde, sollen nun reale Leistungen von Schüler*innen im Abitur sowie deren Bewertung durch Lehrkräfte analysiert werden. Ein lohnenswertes Sujet bilden hierfür, als Kernelement der abschließenden Leistungsüberprüfung, Abituraufsätze im Fach Deutsch. Materialbasis bildet das in der Arbeitsstelle Pädagogische Lesungen der Universität Rostock aufgebaute Korpus von ca. 2500 Aufsätzen zweier Gymnasien unterschiedlicher Bezirke aus den Jahren 1949–1989. Die Analyse fokussiert Fragen nach dem prägenden Leistungsbegriff, nach Beurteilungspraxen und -kompetenzen, nach Gerechtigkeit in verschiedenen Dimensionen (z.B. Geschlecht) sowie nach eventuellen Spielräumen individualistischer Leistungserbringung.
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Wähler, J. & Hanke, M.-A. (2018): „Erfahrungen der Besten“. Die unikale Sammlung pädagogischer Lesungen der DDR – ein Werkstattbericht. In: Medienimpulse 56, 4. (Abruf 29.04.2024: https://www.pedocs.de/frontdoo...).
Der sogenannte antifaschistische Gründungsmythos gehörte als systemkonsolidierendes Narrativ zum Selbstverständnis der DDR.
Quellenfokus: Pädagogische Lesungen
Institut für Sonderpädagogische Entwicklungsförderung und Rehabilitation (ISER)
Orcid-Nr.: 0009-0008-0227-7229
katja.koch@uni-rostock.deUniversität Rostock
Institut für Germanistik
Orcid-Nr.: 0009-0000-0435-4648
tilman.von-brand@uni-rostock.deUniversität Rostock
Institut für Germanistik
Orcid-Nr.: 0000-0001-6886-089X
Universität Rostock
Institut für Sonderpädagogische Entwicklungsförderung und Rehabilitation (ISER)
Orcid-Nr.: 0009-0004-0257-788X
Universität Rostock
Institut für Sonderpädagogische Entwicklungsförderung und Rehabilitation (ISER)
Orcid-Nr.: 0009-0003-6745-5165
Universität Rostock
Institut für Sonderpädagogische Entwicklungsförderung und Rehabilitation (ISER)
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