Der Mythos naturwissenschaftlicher Neutralität. Der schulische Lehrfilm im Kalten Krieg

Im schulischen Lehrfilm, d.h. im Film für den Unterricht der DDR, wurden die Naturwissenschaften ins bewegte Bild gesetzt. Diese Filme transportieren nicht nur die fachspezifischen Wissensbestände von Physik, Chemie und Biologie in die Klassenzimmer, sondern auch Bilderwelten moderner Naturwissenschaften in der DDR. Der nachhaltig gute Ruf der naturwissenschaftlichen Bildung in der DDR scheint einherzugehen mit einem Ausblenden seiner ideologischen Ausrichtung. Diese Fallstudie ging der Frage nach, inwiefern in naturwissenschaftlichen Unterrichtsfilmen mit der Vermittlung von Fachwissen politisch und pädagogisch nachwirkende Bilder vermittelt wurden.

Es galt ‚sozialistische Persönlichkeiten‘ auszubilden, die haltungsstark, faktenorientiert und kollektivgebunden waren. Dazu versuchte die pädagogische Forschung der DDR Film als pädagogisches Instrument nach Effizienzgesichtspunkten weiterzuentwickeln und zu nutzen. Die Unterrichtsfilme waren nicht nur Teil einer spezifischen audiovisuellen Kultur und Speicher intentional geprägter Wissensinhalte und Vermittlungspraktiken, sondern auch in medien- und technikhistorische Wandlungsprozesse eingebunden. Das Projekt analysierte die filmisch aktualisierten Sachinhalte und Visualisierungsformen sowie die zeitgenössischen Rezeptionsweisen. Es ermittelte die Institutionen des Unterrichtsfilms und Lehrfilms der DDR und untersuchte die Forschung zu Lehrmitteleinsatz und -wirksamkeit der DDR.

Die Lehrfilmforschung der DDR hatte sich in die Bereiche Schule, Lehreraus- und -weiterbildung sowie Hochschule differenziert. Im Rahmen einer regen, staatlich beauftragten Forschungstätigkeit zur Wirksamkeit von Lehr-Lernmitteln bzw. von Unterrichtsmitteln waren etliche Studien mit Unterrichtsbeobachtungen und Fragebogenauswertungen sowohl zur didaktischen Nutzung als auch zum Lernerfolg im Schul- und Hochschulbereich entstanden. Die Ergebnisse dieser Studien hatten Eingang in Handreichungen, Handbücher und unveröffentlichte Dissertationen gefunden. Anhand der Dokumentenanalyse dieser vielfältigen Schriften konnten Gestaltungsprinzipien der Filmproduktion und Praktiken des Filmeinsatzes in der DDR medienhistorisch erschlossen werden.

Sequenzielle Filmanalysen von DDR-Unterrichtsfilmen gaben überdies Aufschluss über den Einsatz spezifischer Gestaltungsmittel. Gefragt wurde dabei insbesondere nach Wissenschaftsnarrativen und ihrer weltanschaulichen Konnotation. Für das Projekt wurde dazu ein Teilbestand 16mm-Filme der ehemaligen Schulbildstelle Weimar digitalisiert. Zentral ist jedoch der Befund, dass sich der Gesamtbestand der in der DDR produzierten Unterrichtsfilme derzeit nicht erschließen lässt, da bislang keine Filmografie vorliegt und sich der Filmbestand am Bundesarchiv nur unzureichend recherchieren lässt. Für die Projektarbeit wurden aus Lehrmittelkatalogen der DDR die Filmtitel ermittelt, die zwischen 1950 und 1990 für die Unterrichtsfächer Chemie, Biologie und Physik gelistet waren. Zugänglich sind diese Kataloge über die Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung (BBF). Die so gewonnenen Daten wurden mit denen vorhandener Film-Datenbanken abgeglichen und mit projektrelevanten Metadaten ergänzt – dieser Arbeitsprozess ist noch nicht abgeschlossen.

Auch wenn in den lehrfilmtheoretischen Texten der DDR besonders die Motivationskraft dieser audiovisuellen Medien hervorgehoben wurde, fanden sich bislang nur wenige Hinweise darauf, wie Schüler*innen den Filmen begegneten. In der zweiten Projektphase wendet sich die Fallstudie verstärkt den Schüler*innen zu. Betrachtet wird dabei auch, welche Rolle die vermeintlichen Anforderungen einer ‚wissenschaftlich-technischen Revolution' in den schulischen Lehrfilmen spielten, die ab den 1970er-Jahren für die bildungspolitischen Maßnahmen der DDR relevant wurden.

Ergebnisse

In den naturwissenschaftlichen Unterrichtsfilmen der DDR wurden mit der Vermittlung von Fachwissen zugleich auch politisch nachwirkende Bilder vermittelt.

Der Film “Die Atmung des Menschen” ist ohne Ton und etwa viereinhalb Minuten lang. Er wurde 1982 vom Institut für Lehrmittel der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR, für das Fach Biologie in der 8. Klasse herausgegeben und vom DEFA-Studio für Dokumentarfilme produziert. Der Film zeigt Aufnahmen von Jungen in einheitlichen Trikots auf einem Sportplatz in Potsdam, die rennen und ihr Lungenvolumen messen. Kombiniert wurden diese Szenen mit bewegten Röntgenbildern der Lunge und abstrahierenden Trickaufnahmen zur Bewegung des Brustkorbes. Es folgen Unterrichtsszenen in einem Klassenzimmer in welchem ein Fenster geöffnet wird und weitere Aufnahmen von jungen Erwachsenen beim Sport und beim Rauchen auf einer Bank im Freien. Dieser Film setzt Vorwissen voraus und vermittelt gesundheitliche Zusammenhänge, mit der Botschaft die Atmungsorgane gesundzuhalten und einer Ermüdung bei „geistiger Arbeit” vorzubeugen.

Die Organisation von Produktion und Vertrieb der DDR-Unterrichtsfilme wurde staatlich gesteuert und detailliert kontrolliert.

Team
Dr. Kerrin von Engelhardt (ehem. Klinger)

Humboldt-Universität zu Berlin
Abteilung Historische Bildungsforschung
Orcid-Nr.: 0009-0009-9489-5071

kerrin.engelhardt@hu-berlin.de