Der Begriff der ‚wissenschaftlich-technischen Revolution‘ wurde 1961 in einem „einflussreichen Werk“ von J.D. Bernal geprägt, bezeichnete ursprünglich eine globale Entwicklung und kam über eine Übersetzung von Ludwig Boll in den Sprachgebrauch der DDR (Laitko, 1996, S. 35). Dabei wurde die ‚wissenschaftlich-technische Revolution‘ als ein Prozess zunehmender Verwissenschaftlichung der Produktionsmittel sowie der Arbeitsformen bzw. -organisationen und der stetigen Anhebung des Bildungsniveaus bzw. steigender Qualifikation der Arbeitenden verstanden (vgl. Bialas, 1978).
Vor dem Hintergrund des sogenannten Systemwettstreits des Kalten Krieges spielte das Konzept der ‚wissenschaftlich-technischen Revolution‘ in der DDR eine wichtige Rolle. Dabei war die marxistische Interpretation ökonomischer Entwicklungen nach 1945 grundlegend: Sprach man zunächst von einer ‚Zweiten industriellen Revolution‘, die als stark technisch geprägt verstanden wurde, wurde nun auch eine wissenschaftliche Revolution diagnostiziert. Da eine grundsätzliche Wichtigkeit des Verständnisses exakter Naturwissenschaft für das Fortkommen sozialistischer Gesellschaften angenommen wurde, galt es für die Eingliederung der Wissenschaft als ‚Produktivkraft‘ zu sorgen. Die wissenschaftlichen und industriellen Entwicklungen der ‚wissenschaftlich-technischen Revolution‘ hätten den Prozess der Entwicklung der Naturwissenschaft zu einer unmittelbaren Produktivkraft erheblich beschleunigt und im Kommunismus könne dieser Prozess schließlich vollendet werden – so das Philosophische Wörterbuch der DDR von 1964 (Klaus & Buhr, 1964, S. 615).
Nicht zuletzt im Bildungsbereich wurde dieses Verständnis gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen genutzt, um Reformen als gesamtgesellschaftlich relevant zu begründen. Gerhart Neuner, Direktor der Akademie für Pädagogische Wissenschaften (APW) bestimmte 1970 die ‚wissenschaftlich-technische Revolution‘ als zeitbestimmende Tendenz, infolge derer Technisierung und Verwissenschaftlichung die Industrie und das gesellschaftliche Leben gleichermaßen durchdringen würden, und das Bildungswesen der DDR habe dem mit seiner Lehrplanreform Rechnung zu tragen.
Literatur
Abele, J. (2009): Technik und nationale Identität in der DDR. In: Schleiermacher, S. & Pohl, N. (Hrsg.): Medizin, Wissenschaft und Technik in der SBZ und DDR. Organisationsformen, Inhalte, Realitäten. Husum: Matthiesen, S. 243–258.
Bialas, V. (1978): Die Konzeption der wissenschaftlich-technischen Revolution und die historische Kategorie ‚Wissenschaftlich-technische Revolution‘. In: Sandkühler, H. J. (Hrsg.): Die Wissenschaft der Erkenntnis und die Erkenntnis der Wissenschaft. Stuttgart: Metzlersche Verlagsbuchhandlung, S. 362–369.
Klaus, G. & Buhr, M. (Hrsg.) (1964): Philosophisches Wörterbuch. 1. Aufl. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts.
Laitko, H. (1996): Wissenschaftlich-technische Revolution: Akzente des Konzepts in Wissenschaft und Ideologie der DDR. In: Utopie kreativ 7, S. 33–50.
Neuner, G. (1970): Wissenschaftlich-technische Revolution und Bildungsreform in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). In: Internationale Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 16, 3, S. 286–297.