Wehrerziehung und Wehrunterricht

Wehrerziehung war ein komplexes System der vormilitärischen Ausbildung der DDR, das in einem biographisch gestaffelten System neben dem schulischen auch alle anderen gesellschaftlichen Bereiche umfasste. Als übergeordnete Aufgabe der Wehrerziehung wurde die Entwicklung des Wehrbewusstseins beschrieben, das „Erkenntnisse, Einstellungen, Emotionen sowie Willensakte und Überzeugungen hinsichtlich der Verteidigung des Sozialismus [beinhaltet und sich] im bewußten persönlichen Beitrag zur Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes“ äußerte (Ilter/Herrmann/Stolz, 1974, S. 30).

In einem engen Begriffsverständnis bezog sich Wehrerziehung auf die vormilitärische Ausbildung im Sinne einer Erlangung von Wehrfähigkeit. In diesem Sinne ging es um militärpraktische Übungen zur Vorbereitung auf eine militärische (und wehrsportliche) Grundausbildung in der Nationalen Volksarmee der DDR (NVA), gleichzeitig um die Gewinnung von Berufsnachwuchs und Länderdienenden für die NVA. Eine zentrale Rolle spielten hierbei außerunterrichtliche Aktivitäten wie etwa in der Gesellschaft für Sport und Technik (GST). In einem weiten Begriffsverständnis umfasste Wehrerziehung ebenso Funktionen, Aufgaben und Ziele einer wehrpolitischen Erziehung im Sinne eines ideologischen Erziehungsprogrammes. Hier wurde nicht auf eine militärische Verwendbarkeit reduziert, sondern es ging in mindestens gleichem Maße um die Förderung eines spezifischen Bewusstseins und die Ausformung von Wehrbereitschaft und Wehrmotivation. In den Kontext eines solchen weiter gefassten Verständnisses von „Wehrerziehung“ ließen sich vielfältige Elemente der allgemeinen ideologischen Durchdringung des Unterrichts in verschiedenen schulischen Fächern einordnen.

Der Wehrunterricht war eine spezifische, ab dem Schuljahr 1978/79 (schul-)curricular verankerte Form der Wehrerziehung. Dieser Unterricht, der militärpraktische und ideologische Anteile umfasste (Decker & Koch, 2021, S. 4) besaß nicht den Rang eines Unterrichtsfaches nicht aufgeführt, wurde folglich in der amtlichen Stundentafel nicht aufgeführt und ebenso wenig benotet. Er hat keinen stringenten Lehrplan, war nicht mit der Ausbildung entsprechender Fachlehrer*innen verbunden und bleibt in Lehrwerken und Periodika pädagogischer Provenienz unberücksichtigt (Geißler, 2023,S. 1191-1197). Er wurde für die 9. und 10. Klasse auf je vier Doppelstunden zu Fragen der Landesverteidigung festgelegt. Hinzu kamen über diese Zeit hinweg etwa 3 Wochen Lehrgänge/Ausbildungslager. Während die (theoretischen) Stunden zu Fragen der Landesverteidigung gemeinsam stattfanden, wurden bei der praktischen Ausbildung unterschiedliche geschlechtsspezifische Schwerpunkte gesetzt. Inhaltlicher Fokus für Jungen war die vormilitärische Ausbildung, eng verbunden mit dem Ziel, sie für militärische Berufe zu gewinnen (Lehrplan Lehrgang, 1984). Für Mädchen lag der inhaltliche Schwerpunkt auf der Zivilverteidigung und der Vermittlung von „grundlegende[m] Wissen und Können zum richtigen Verhalten in Gefahrensituationen und zur Durchführung der erforderlichen Maßnahmen zum Schutz des Lebens und der Hilfeleistung“ (ebd., S. 7). Trotz dieser Differenzierung beinhalteten beide Ausbildungsstränge auch Elemente des jeweils anderen (vgl. ebd.). Angesichts auch der zeitgleichen Friedensbewegung in der Bundesrepublik wurde die Einführung des Wehrunterrichts von den Kirchen scharf kritisiert, von Eltern teils auch öffentlich abgelehnt und in einer Anzahl von Fällen, die Aufsehen erzeugten, verweigert.

Literatur

Geißler, G. (2023): Schulgeschichte in Deutschland. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Frankfurt a.M.: Lang.

Ilter, K./ Herrmann, A./ Stolz, H. (Hrsg.) (1974): Handreichung zur sozialistischen Wehrerziehung. Berlin: Volk und Wissen.

Koch, K. & Decker, C. (2021): Zwischen Drill und Lagerfeuerromantik – Wehrerziehung und Wehrunterricht an Hilfsschulen der DDR im Spiegel der Pädagogischen Lesungen. In: Schriftenreihe der Arbeitsstelle der Pädagogischen Lesungen an der Universität Rostock 3, 11.

Ministerium für Volksbildung (1984): Lehrplan Lehrgang Zivilverteidigung. DIPF/BBF, 85.448.