Periodisierung / Phasen der DDR-Bildungsgeschichte

Historiker*innen geben in ihrer Forschungsarbeit der Zeit und den Zeitabschnitten eine Form; sie unterteilen die Zeit in verschiedene Phasen oder Epochen; sie schaffen Zeitgerüste, indem sie Periodisierungen vornehmen. Das gehört zum historischen Handwerk. Aber auch wenn das die alltägliche Arbeit der Historiker*innen ist, ist die Einteilung nicht selbstverständlich, denn – so Osterhammel – die Historiker*innen „tun dies nicht in penibler Deduktion aus angeblich für sich selbst sprechenden ‚Fakten‘.“ (Osterhammel, 2006, S. 47). Den Periodisierungsvorstellungen liegen oft verborgene Auffassungen zugrunde, die erst den Fakten, als denen einer bestimmten Zeitepoche, einen Sinn geben, sie als solche denk- und erkennbar machen. Auch wenn Osterhammel über die großen Epocheneinteilungen und deren Schwierigkeiten spricht und darüber, ob diese und wie sie im Kontext einer Globalgeschichte vorgenommen werden können, gelten die Schwierigkeiten doch auch für die Betrachtung kleinerer zeitlicher Einheiten. Phaseneinteilungen, die etwa in der Betrachtung der politische-revolutionären Ereignisgeschichte vorgenommen werden, entsprechen keineswegs einer objektiv gültigen Periodisierung. Der Umbau sozialökonomischer, gesellschaftlicher und politischer Strukturen, etwa staatlicher Verfasstheiten, ist nicht identisch mit einem konkreten Datum, etwa der Verabschiedung einer Verfassung, vollzieht sich vielmehr in längeren Zeiträumen und deckt sich wiederum auch nicht mit Wandlungsprozessen von Ideen und Alltagserfahrungen. All diese unterschiedlichen Aspekte gilt es zu berücksichtigen, wenn man überzeugende Periodisierungsvorschläge machen will.

Periodisierungen bzw. Phaseneinteilungen, die bisher für die Geschichte und Bildungsgeschichte der DDR vorgenommen wurden, zeugen von den Schwierigkeiten, in jeder Hinsicht überzeugende Einteilungen vorzunehmen. Eingebürgert hat sich für die Geschichte der DDR oft eine den Dekaden folgende Einteilung, etwa die nach einer Vorgeschichte zwischen 1945 und 1949 mit der Gründung der DDR einsetzende Aufbauphase, die bis zum Mauerbau 1961 reichte, einer folgenden Stabilisierungsphase bis 1970/1971, wo Ulbricht als erster Sekretär des ZK der SED zurücktrat und anschließend unter der Ägide Honeckers sich abspielende zwei, oft 1980 noch einmal unterteilte, Phasen der Entstehung von krisenhaften Phänomenen bis 1990. Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael haben dieses Vorgehen, für die Zeitgeschichte zu Einteilungen zu kommen, durchaus kritisch als „dekadologisch“ bezeichnet (Doering-Manteuffel & Raphael, 2012, S. 25). Unterschiedliche Aspekte werden berücksichtigt, um etwas in den einzelnen Phasen Gleichbleibendes und sie von den jeweils anderen Unterscheidendes zu identifizieren – seien es Amtszeiten von Regierungspersonal, einschneidende Maßnahmen, die sich auf Entscheidungen bzw. Zustimmung der Bevölkerung auswirkten, oder Kurskorrekturen in Wirtschafts- und Sozialpolitik. Auch für die Bildungsgeschichte der DDR scheint also die Einteilung unterschiedlich je nachdem, was in den Blick genommen wird. Im „Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte“ wird das deutlich; es existiert nicht eine, alle Teile des Bildungs- und Erziehungswesens, die Systemebene und die Alltagserfahrungen umfassende und übergreifende Einteilung. Im Abschnitt über das Allgemeinbildende Schulwesen werden fünf Phasen unterschieden. Nach einer Phase des „Neubeginns“ in der SBZ zwischen 1945 und 1948, einer Übergangsphase zur sozialistischen Schule, die sich bis 1958 erstreckte, folgt eine Phase der „polytechnischen Bildungsreform“ zwischen 1958 und 1963/65, der sich schließlich der Zeitraum eines einheitlichen Bildungssystem und neuen Lehrplanwerkes zwischen den Jahren 1963/65 und 1980 anschloss. Die letzte Phase begann 1980 und reichte bis zum Ende der DDR (vgl. Baske, 1998). Ein anderes Bild ergibt sich in der Betrachtung der „pädagogischen Wissenschaft“, wo davon unterschiedene Phaseneinteilungen erkennbar sind (vgl. Tenorth & Wiegmann, 2022). Alle Einteilungen der DDR-Bildungsgeschichte gehen allerdings von einem Einschnitt in den 1960er Jahren aus, oft wird das am Inkrafttreten des „Gesetzes über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ festgemacht, mit dem eine Struktur für das gesamte Erziehungswesen geschaffen wurde, die für den Rest der Existenz der DDR in dieser Form bestehen blieb. Allemal dann, wenn – wie es inzwischen eher üblich geworden ist – die Geschichte der DDR und ihres Bildungswesens nicht als von der des anderen deutschen Staates komplett getrennte Entwicklung angesehen wird, sondern von vielfältigen Verflechtungen einerseits, aber auch von größeren Epochentypiken andererseits ausgegangen wird, werden ähnliche Phasen der DDR-Bildungsgeschichte wie die der Bundesrepublik gesehen. So wird auch in dieser Perspektive ein großer Einschnitt in den 1960er Jahren identifiziert und die Entwicklungen danach als Differenzierung, Modernisierung und Ausbau des Bildungssystems diagnostiziert, in der dann auch krisenhafte Phänomene – schon in der vorsichtigen Selbstbeobachtung – festgestellt werden können (vgl. Tenorth, 2010).

Literatur

Baske, S. (1998): Allgemeinbildende Schulen. In: Führ, C. & Furck, C.-L. (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2, 1945 bis zur Gegenwart. München: Beck, S. 159–201.

Doering-Manteuffel, A. & Raphael, L. (2012): Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970. 3. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Osterhammel, J. (2006): Über die Periodisierung der neueren Geschichte. In: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Berichte und Abhandlungen, Bd. 10. Berlin: Akademie Verlag, S. 54–64.

Tenorth, H.-E. (2010): Geschichte der Erziehung. Einführung in die Grundzüge ihrer neuzeitlichen Entwicklung. 5. Aufl. Weinheim, München: Juventa.

Tenorth, H.-E. & Wiegmann, U. (2022): Pädagogische Wissenschaft in der DDR. Ideologieproduktion, Systemreflexion und Erziehungsforschung. Studien zu einem vernachlässigten Thema der Disziplingeschichte deutscher Pädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.