Bei der Kollektivbiografie handelt es sich um eine sozial- und geschichtswissenschaftliche Methode, in der die Rekonstruktion des Werdegangs eines Kollektivs im Zentrum steht. Diese Rekonstruktion greift zwar auf den auf Individuen bezogenen Begriff der „Biographie“ zurück, geht aber stärker von einer Einbettung des Individuums in geteilte Erfahrungen eines Kollektivs aus. Damit antwortet sie auf eine Kritik, die gegen die Biographieforschung vorgetragen wird: Sie würde eine Heroisierung des Individuellen Vorschub leisten. Der Ansatz der Rekonstruktion von Kollektivbiographien wird seit den 1970er-Jahren in England verfolgt und wurde im deutschsprachigen Raum in den 1980er-Jahren weiterentwickelt. Während die in der Altertumswissenschaft und Mediävistik bekannte Prosopographie die systematische Rekonstruktion eines durch geteilten Raum bzw. geteilte Zeit oder gemeinsame Funktion definierten Personenkreises im Blick hat und entsprechende Personenverzeichnisse aufstellt, entwickelt die Methode der Kollektivbiographie den Begriff des Kollektivs auf Basis relevanter gemeinsamer Merkmale und versucht, vergleichende sowie interaktive Aspekte individueller Biographien einer Gruppe herauszuarbeiten. Kollektivbiographische Forschungen kontextualisieren somit in stärkerem Maße und erfordern eine breitere Datenlage und -dichte als die Prosopographie.
Literatur
Groppe, C. (2016): Die preußischen Reformer. Konzept und Fragestellungen einer kollektivbiographischen Analyse. In: Bios 29, 2, S. 192–207.
Schröder, W. H. (2011): Kollektivbiographie: Spurensuche, Gegenstand, Forschungsstrategie. In: Historical Social Research/Historische Sozialforschung, Supplement 23, S. 74–152. (Abruf 14.05.2024: https://www.ssoar.info/ssoar/b...).