Ideell war das DDR-Gesundheitswesen orientiert am aus der Arbeiterbewegung hervorgegangenen Ziel des Abbaus bzw. der Beseitigung von „Ungleichheit vor Krankheit und Tod“ (Spree, 1981; zit. n. Braun, 2020). Dazu gehörten ein Ausgleich ungleicher Gesundheitsverhältnisse verschiedener Bevölkerungsgruppen, allgemeiner und unentgeltlicher Zugang zu Gesundheitsversorgung und eine umfassende Entkommerzialisierung des Gesundheitswesens (vgl. Süß, 1998). Es wurde eine einheitliche und umfangreiche Sozialversicherung etabliert, die Finanzierung und Zugang zu medizinischer Versorgung für alle Bürger*innen organisieren sollte. Neben der kurativen medizinischen Versorgung spielte dabei die Krankheitsprävention eine hervorgehobene Rolle, wie bspw. durch Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen (vgl. Ahrens, 2002, S. 42). Im Sinne der Prävention war ein deutlicher Ausbau des Gesundheitswesens in Form von Polikliniken und sog. Ambulatorien vorangetrieben worden (vgl. ebd.). Diese an die Sozialpolitik der Weimarer Republik anknüpfenden Einrichtungen spielten in der flächendeckenden Gesundheitsversorgung der Bevölkerung der DDR eine bedeutende Rolle und ihre Anzahl stieg kontinuierlich über die gesamte Dauer der DDR (vgl. Süß, 1998, S. 100).
Um „Struktur und Kosten des Gesundheitswesens auf gesetzlichem Wege in eine umfassende gesamtwirtschaftliche Planung einzuordnen“ (Ahrens, 2002, S. 42) wurde das Gesundheitswesen, zunächst durch eine in der Sowjetischen Besatzungszone etablierte Deutsche Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen und nach Gründung der DDR durch das Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen bzw. ab 1950 das Ministerium für Gesundheitswesen, zentral gesteuert. Dabei nahm das Ministerium eine Schanierfunktion zwischen den planenden, staatlichen Akteuren und staatlich geführten medizinischen Versorgungseinrichtungen ein. Das Schulpflichtgesetz verfügte ab 1950, dass „alle Bildungs- und Erziehungsfragen von Schwererziehbaren aus dem Sonderschulwesen ausgegliedert und den Organen für Jugendhilfe/Heimerziehung übertragen“ (Becker, 1984, S. 61) werden sollten. Anhand der durch die Gesetzgebung geltenden Trennlinie ‚bildungsfähig‘ bzw. ‚bildungsunfähig‘ wurden fortan Kinder und Jugendliche an das Gesundheits- und Sozialwesen delegiert und vom Volksbildungswesen ausgeschlossen (vgl. Hübner, 2000).
Vor dem Hintergrund einer scheinbar umfassenden, unentgeltlichen Gesundheitsversorgung gehört das Gesundheitswesen „zu den wenigen Gesellschaftsbereichen des SED-Staates, die bis heute mit einer Vielzahl positiver Bewertungen und Konnotationen belegt werden“ (Braun, 2020, S. 352–354). Diese allgemeinen Einschätzungen werden von konkreten Analysen konterkariert, in denen kritische Befunde zum Gesundheitswesen ausgewiesen werden. Dabei wird hervorgehoben, dass die pharmazeutische Versorgung häufig ungenügend und vielfach auf Basis sog. „Nachentwicklungen“ im Westen erhältlicher Präparate aufgebaut war (Braun, 2020) und dass entgegen der vermeintlichen Gleichbehandlung eine Sonderversorgung von politischen Funktionären stattfand (ebd.). Insbesondere wird eine Nähe zu sozialutilitaristischen Ideen im Sinne einer Sozialhygiene kritisiert, nach denen die Gesundheit des ‚Volkes‘ bzw. der ‚Volkswirtschaft‘ und eine Steigerung von Leistungsfähigkeit die eigentlichen Ziele der Gesundheitspolitik der DDR gewesen seien (vgl. Süß, 1998; Ahrens, 2002).
Literatur
Ahrens, R. (2002): Planwirtschaft, Prävention und Effizienz. Zur Wirtschaftsgeschichte des Gesundheitswesens in der Sowjetischen Besatzungszone und frühen DDR. In: Schagen, U. & Schleiermacher, S. (Hrsg.): Sozialmedizin, Sozialhygiene und Public Health. Konzepte und Visionen zum Verhältnis von Medizin und Gesellschaft in historischer Perspektive. Berlin: Forschungsstelle Zeitgeschichte im Institut für Geschichte der Medizin, S. 41–52.
Becker, K.-P. & Autor*innenkollektiv (1984): Rehabilitationspädagogik. 2. erw. Aufl. Berlin: Volk und Wissen.
Braun, J. (2020): Politische Medizin. Ideologie und Gesundheitsökonomie im SED-Staat der 1950er- und 1960er-Jahre. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 17, 2, S. 349–361.
Hübner, R. (2000): Die Rehabilitationspädagogik in der DDR. Zur Entwicklung einer Profession. Frankfurt a.M.: Lang.
Süß, W. (1998): Gesundheitspolitik. In: Hockerts, H.-G. (Hrsg.): Drei Wege deutscher Sozialstaatlichkeit. NS-Diktatur, Bundesrepublik und DDR im Vergleich. München: R. Oldenbourg, S. 54–100.