Erweiterte Oberschule (EOS)

Als Konsequenz aus der ab 1959 als künftige allgemeinbildende Pflichtschule vorgesehenen Zehnklassenschule, die in Ablösung von der bisherigen achtklassigen Grundschule nun als polytechnische Oberschule (POS) galt, wurde die bisherige, nach vier Jahren zum Abitur führende Oberschule fortan als ‚Erweiterte Oberschule‘ (EOS) bezeichnet. Die Maßgabe des Gesetzes über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens vom 2. Dezember 1959, Schule und Berufsausbildung miteinander zu verbinden, mündete in die Festlegung, an der EOS gleichzeitig mit der Erlangung allgemeiner Hochschulreife eine Berufsausbildung zu durchlaufen. Die sich seit 1965 abzeichnende Verkürzung der EOS auf zwei an die künftig zehnklassige Pflichtschule anschließende Schuljahre ließ eine gleichzeitige Berufsausbildung jedoch nicht mehr zu. Erheblichen Konfliktstoff barg das mit dem „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ vom 25. Februar 1965 einheitsschulpolitisch fixierte Ziel, nach Abschluss der obligatorischen POS den Übergang zu einer lediglich zwei Schuljahre umfassenden EOS erfolgen zu lassen. In Vorbereitung auf die zeitliche Reduzierung der bislang vierjährigen EOS wurden 1968/69 sog. Übergangsklassen an den EOS eingeführt, für die die Lehrpläne der POS galten. Zudem lief ab dem Jahr 1967 die mit organisatorischen Problemen belastete, ökonomisch unergiebige und keine studienorientierende Wirkung entfaltende Ausbildungsform „Abitur mit Berufsausbildung“ aus. An ihre Stelle trat mit wöchentlich vier Stunden in den Klasse 11 und im ersten Halbjahr von Klasse 12 die „Wissenschaftlich-praktische Arbeit“, die in kleinen Schülergruppen als Projektarbeit in geeigneten Betrieben erfolgte.
Die Hochschulreife konnte außer in den EOS (1,6 Prozent aller Schulen 1990) auch in Spezialschulen (0,6 Prozent), Kinder- und Jugendsportschulen (0,5 Prozent) (vgl. Uhlig & Wiegmann, 1994) und in Einrichtungen der Erwachsenenbildung erworben werden.

Bis zum Ende der DDR erhalten blieb auch die 'Berufsausbildung mit Abitur' (BmA). Diesen Weg nutzten nach der mit guten Leistungen abgeschlossenen 10. Klasse jene studieninteressierten Schülerinnen und Schüler, die sich nach der 8., später der 10. Klasse aus diversen Gründen nicht für die EOS be-worben hatten oder deren Bewerbung abgelehnt worden war. Sie erlangenkonnten so in einer speziellen ›Abiturklasse‹ an einer staatlichen Betriebsberufsschule in einem dreijährigen Lehrgang sowohl die allgemeine Hochschulreife als auch einen Facharbeiterbrief erlangen.

Ab 1982/83 setzte das Volksbildungsministerium die Maßgabe des geltenden Bildungsgesetzes konsequent um. Weiteren gesellschaftlichen Konfliktstoff boten kontinuierlich die nach ökonomischen, sozialen und politischen Kennziffern festgelegten Zugangskriterien, die in der Regel etwa lediglich ein bis zwei Schülerinnen und Schülern einer Klasse den Übergang zur EOS erlaubten. Ein Rechtsanspruch bestand nicht. Ausschlaggebend für die Entscheidung über die Zulassung durch Kommissionen unter Leitung der zuständigen Schulrätin bzw. des Schulrates waren neben schulischen Leistungen das gesellschaftliche Engagement der Schülerinnen und Schüler. Politische Mindestanforderungen an die Elternhäuser und politische Loyalität der Bewerberinnen und Bewerber wurden vorausgesetzt. Die soziale Herkunft (Förderung sog. Arbeiter- und Bauernkinder) und weitere Maßnahmen zur Schaffung einer sog. sozialistischen Intelligenz spielten vor allem in den ersten zwei Jahrzehnten nach 1945 eine bedeutende Rolle. Die Abiturquote aus allen zur Hochschulreife führenden Einrichtungen des Bildungswesens stieg von rund 3 Prozent eines Altersjahrganges in den ersten Nachkriegsjahren auf im Durchschnitt 14 Prozent seit den 1970er-Jahren. Die Absolventen der EOS erreichten einen Anteil von durchschnittlich 8–9 Prozent. Rund 98 Prozent der Abiturienten nahm ein Studium auf, das rund 80 Prozent der Studienanfänger erfolgreich absolvierten (vgl. Geißler, 2023, S. 1143-1220 ).

Literatur

Anweiler, O./ Mitter, W./ Peisert, H./ Schäfer, H.-P./ Stratenwerth, W. (Hrsg.) (1990): Vergleich von Bildung und Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik. Köln: Verlag Wissenschaft und Politik.

Geißler, G. (2023): Schulgeschichte in Deutschland. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Frankfurt a.M.: Lang.

Günther, K.-H. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1978): Quellen zur Geschichte der Erziehung. 8. Aufl. Berlin: Volk und Wissen.

Uhlig, C. & Wiegmann, U. (1994): Struktur- und Funktionswandel des Schulwesens in der DDR. In: Müller, D. K. (Hrsg.): Pädagogik. Erziehungswissenschaft. Bildung. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, S. 261–293.