Als ‚bürgerliche Pädagogik‘ wurde in der DDR die sich seit dem 18. Jahrhundert von der Philosophie ablösende und zu einer eigenständigen Wissenschaft von der Erziehung entwickelnde Theorie und Forschung bezeichnet. Geleitet vom ‚marxistisch-leninistischen‘ Umgang mit dem bürgerlichen Erbe unterschied man in der DDR zunächst grundsätzlich zwischen einer ‚progressiven‘ bzw. ‚klassischen‘ bürgerlichen und einer spätbürgerlichen resp. ‚imperialistischen‘ Pädagogik, die sich seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts herausbildete. Die sog. klassische bürgerliche Pädagogik wurde als ‚fortschrittliche‘ Tradition rezipiert und positiv bewertet. Intensiv beschäftigte man sich in der DDR etwa mit der Pädagogik Wolfgang Ratkes (1571–1635) und Jan Amos Komenskys (1592–1670), aber auch mit der von Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827), Friedrich Wilhelm August Fröbel (1782–1852) und von Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg (1790–1866). Im Ergebnis entstanden hierzu zahlreiche Zeitschriftenaufsätze, Monografien und Editionen. Die in der DDR sogenannte imperialistische oder spätbürgerliche Pädagogik – dazu zählte auch die Reformpädagogik – wurde hingegen ausgesprochen kritisch gesehen; sie galt als Gegenstand politisch-ideologischer Auseinandersetzungen zwischen der ‚revolutionären Arbeiterbewegung' und bürgerlich-reaktionären Bewegungen auf Seiten des ‚Klassengegners'. In den 1980er-Jahren geriet im Kontext der geschichtswissenschaftlichen Diskussion der DDR über ‚Erbe und Tradition' zunehmend auch die Darstellung von nicht-marxistischer Pädagogik in die Diskussion. Zu einer durchgreifenden Revision bisheriger Bewertungen kam es jedoch nicht, auch wenn reformpädagogische Strömungen nun differenzierter gesehen wurden.
Literatur
Günther, K.-H. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1987): Geschichte der Erziehung. 14. Aufl. Berlin: Volk und Wissen.
Tenorth, H.-E. & Wiegmann, U. (2022): Pädagogische Wissenschaft in der DDR. Ideologieproduktion, Systemreflexion und Erziehungsforschung. Studien zu einem vernachlässigten Thema der Disziplingeschichte deutscher Pädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.