Allseitig gebildete sozialistische Persönlichkeit

Im „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ von 1965 wurde mit der Formulierung von der „Bildung und Erziehung allseitig und harmonisch entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten“ (§1, Abs. 1) das übergreifende Ziel des sozialistischen Bildungssystems der DDR benannt. Die „sozialistische Persönlichkeit“ sollte sich durch Treue zur SED, durch Liebe zur Heimat DDR und zur Arbeit sowie durch die Bereitschaft zum Klassenkampf auszeichnen. Trotz dieser klaren Implikationen haftet der Formel auch etwas Unbestimmtes an. Dies betrifft etwa die Vorgabe, der „Allseitigkeit“ sowie der „harmonischen Entwicklung“, die auch an das Humboldt‘sche Bildungsideal aus dem 19. Jahrhundert anknüpfte. Genau diese Unbestimmtheit ermöglichte jedoch Formen der staatlichen Kontrolle und der spezifischen Auslegung bei der Verfolgung von Personen, die dem Ideal der „sozialistischen Persönlichkeit“ vermeintlich nicht entsprachen. Damit war die Erziehung zur „sozialistischen Persönlichkeit“ ein zentraler Bestandteil des Aufbaus des Sozialismus und seines Erziehungs- und Bildungssystems sowie der Hervorbringung des „neuen Menschen“ (Droit, 2014). Neben der schulischen Bildung und Erziehung wurden auch die außerschulischen Bereiche der Kinder- und Jugendorganisationen der DDR, d.h., die Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ und die FDJ in das Bildungssystem integriert. Sie alle einte das Ziel der „Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit“. Dies betraf auch das gesamte Spektrum der Bildungsmedien, die zur Erziehung der „sozialistischen Persönlichkeit“ beitragen sollten (Baader, Koch/Neumann 2025 i.E.).

In der Schule bedeutete diese Zielvorgabe eine Orientierung an der offiziellen staatlichen Lehre des Marxismus-Leninismus. Auch wenn den Lehrkräften in den einzelnen Unterrichtsfächern ein gewisser Spielraum in der Umsetzung und Gestaltung blieb, war abweichendes Verhalten für Schüler*innen oft mit Repressionen verbunden. Die Wirksamkeit der Erziehung zur „sozialistischen Persönlichkeit“ im Sinne der SED wurde durch das Ministerium für Volksbildung erforscht und der erwartete Erfolg durch das Ministerium für Staatssicherheit überwacht. Aus Sicht der SED blieb die Herausbildung „allseitig gebildeter sozialistischer Persönlichkeiten“ trotz aller Bemühungen bis zum Ende der DDR defizitär, denn die Umsetzung der theoretisch-ideologischen Vorgaben in die gesellschaftliche und pädagogische Praxis war problematisch und ließ sich bis zur ‚Friedlichen Revolution' nicht einlösen.

Literatur

Baader, M. S./Koch, S./Neumann, F. (2025): Die Zukunft des sozialistischen Kindes. Zur öffentlichen und privaten Erziehung in Bildungsmedien der DDR. In: Betz, T.& Cloos, P. (Hrsg.): Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern zwischen privater und öffentlicher Verantwortung. Weinheim: Beltz (i.Vb.).

Droit, E. (2014): Vorwärts zum neuen Menschen? Die sozialistische Erziehung in der DDR (1949-1989). In: Bösch, F./ Sabrow, M./ Leibniz-Zentrum für zeithistorische Forschung (Hsrg.): Zeithistorische Studien, 54. Köln: Böhlau.

Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem (1965). (Abruf 22.04.2024: https://ghdi.ghi-dc.org/sub_do...).