Pädagogische Psychologie

In der Zeit der DDR konstituierte sich die Pädagogische Psychologie über die Schnittmengen mit ihren Nachbarwissenschaften Klinische Psychologie und Medizin. In den 1950er-Jahren boten physiologische Erkenntnisse des sowjetischen Mediziners Iwan Pawlow (1849–1936) den zunächst vor allem medizinisch-biologischen Inhalt, der ersten „große[n] wissenschaftspolitische[n] Offensive“ der DDR-Wissenschaft, diese nach sowjetischem Vorbild zu entwickeln (Busse, 1998, S. 166). Die junge psychologische Wissenschaft der DDR ist mit diesen Forderungen etwa aus der Arbeitsgruppe „Pädagogische Psychologie“ im Deutschen Pädagogischen Zentralinstitut (DPZI) konfrontiert worden. Dort versprach man sich von der Anwendung der Pawlowschen Reflextheorie Hilfe für die Entwicklung von „objektiven Methoden zur Untersuchung pädagogischer Wirklichkeit“ (Zabel, 2009, S. 149). Nach Stalins Tod 1953 entfiel das in der UdSSR 1936 durch Parteibeschluss ergangene Pädologieverbot womit sich auch in der DDR das Repertoire der in der sozialistischen Pädagogik anwendbaren Forschungsmethoden um testpsychologische Verfahren erweiterte (vgl. Shibanova-Harris, 2022). Die DDR-interne, sowjetisch inspirierte Suche nach geeigneten ‚objektiven Methoden‘ für die pädagogischen Forschungsgegenstände Lehrerbildung, Unterrichtsgestaltung, Fähigkeits- und Schulübergangsbeurteilung führte folglich auch zur Anwendung standardisierter psychologischer Forschungsmethoden (u.a. Experiment, Beobachtung). Es waren vorrangig pädagogische Fragestellungen, denen mithilfe psychologischer Forschung nachgegangen werden sollte. Entsprechende Forderungen wurden zugunsten des Bedeutungsgewinns dieser Forschung nachdrücklich auf dem VI. Pädagogischen Kongress im Jahr 1961 gestellt.

Im Zuge der „Polytechnisierung“ (siehe auch polytechnische Bildung, POS) richtete sich gegen Ende der 1950er-Jahre das Interesse sichtlich stärker als davor auf Wertschöpfung aus ‚Produktivkraft‘, sodass die 1962 neugegründete “Gesellschaft für Psychologie in der DDR” ihren 1. Kongress unter den Titel “Psychologie als gesellschaftliche Produktivkraft” stellte.

Bei alledem wurde die Psychologie in den letzten zwei Jahrzehnten der DDR eher wenig theoretisch beansprucht und stark für die Pädagogik funktionalisiert. Schulpolitisch motivierte Begutachtungen (Kossakowski & Kühn 2010; Malycha, 2008, S.231ff.; 248ff.) führten dazu, dass zentrale Forschungsergebnisse des Instituts für Pädagogische Psychologie an der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften (APW) nur in deren hausinternen Medien, nicht aber allgemein in Buchform zugänglich werden konnten.

Ansonsten bemühte sich die psychologische Wissenschaft erfolgreich um eigenständige fachpolitische Etablierung und Studiengangreformen. Bis 1970 gab es vier Universitäten in der DDR, die Hochschulbildung zum Diplompsychologen anboten. An der Universität Leipzig widmete sich die wissenschaftliche Psychologie „insbesondere der Lehrerbildung“ und operierte dabei unter „personellen Engpässen“ und „anhaltenden Bemühungen zur Reform des Studiums“ (Schönpflug & Lüer, 2011, S. 301). Zuletzt nahmen am prestigeträchtigen „XXII. Internationalen Kongreß für Psychologie“ der Gesellschaft für Psychologie 1980 in Leipzig insgesamt 4000 Wissenschaftler*innen aus sozialistischen und nicht-sozialistischen Ländern teil (vgl. ebd.).

Literatur

Busse, S. (1996): Psychologie in der DDR. Die Verteidigung der Wissenschaft und die Formung der Subjekte. Weinheim: Beltz.

Malycha, A. (2008): Die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR 1970–1990. Zur Geschichte einer Wissenschaftsinstitution im Kontext staatlicher Bildungspolitik. Leipzig: Akademische Verlagsanstalt.

Kossakowski, A. & Kühn, H. (2010): Pädagogische Psychologie im Spannungsfeld von Politik und Wissenschaft. Lausanne: Peter Lang.

Schönpflug, W. & Lüer, G. (2011): Psychologie in der Deutschen Demokratischen Republik. Wissenschaft zwischen Ideologie und Pragmatismus. Wiesbaden: Springer VS.

Shibanova-Harris, V. L. (2022): Eine Geschichte der russischen Pädologie. Ansätze zur Verwissenschaftlichung und Normalisierung der Kindheit (1901–1936) (Diss.). München: Ludwig-Maximilians-Universität.

Zabel, N. (2009): Zur Geschichte des Deutschen Pädagogischen Zentralinstituts der DDR. Eine institutionengeschichtliche Studie (Diss.). Chemnitz: Technische Universität.