Kommunistische Erziehung

Kommunistische Erziehung verwies bis Anfang der 1970er-Jahre auf einen über die „entwickelte sozialistische Gesellschaft“ der DDR hinausführenden erwarteten Übergang zum Kommunismus. Kommunismus wurde dabei als ein System mit ‚wirklich menschlichen Daseinsbedingungen‘ charakterisiert, als Resultat eines „Sprung[es] der Menschheit aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit“ (Engels 1962, S. 264), welcher zu einer materiellen Überflussgesellschaft führe, in der „vollseitig“ (Marx 1962, S. 508) entwickelte Individuen ihr Leben nach Maßgabe eigener Fähigkeiten und Bedürfnissen gestalten könnten. In der vorherigen Entwicklungsstufe – dem aufzubauenden oder später dann „real existierenden“ Sozialismus – bräuchte es zunächst keine kommunistische Erziehung, sondern eine sozialistische bzw. marxistisch-leninistische Pädagogik. Angesichts einer der UdSSR zuerkannten menschheitsgeschichtlichen Vorreiterrolle und unabhängig von der dort herrschenden gesellschaftlichen Realität und der Entwicklung institutionalisierter Erziehung und Bildung galt kommunistische Erziehung daher zunächst als Privileg der Sowjetunion. 1972 irritierte Volksbildungsministerin Margot Honecker dann allerdings damit, dass sie kraft ihres Amtes die kommunistische Erziehung kurzerhand zur Hauptaufgabe für die kommenden Jahre erklärte. Was unter kommunistischer Erziehung in der DDR verstanden werden sollte, war bisher unklar gewesen. Für Margot Honecker war sie im Wesentlichen Erziehung zur kommunistischen Moral. Vor dem Hintergrund des administrativen Auftrags, das Wesen kommunistischer Erziehung zu entschlüsseln, entwickelte sich eine rege erziehungswissenschaftliche Forschung. Sie blieb jedoch ergebnislos und mündete in einen weitgehend intern ausgetragenen Konflikt zwischen zunehmend selbstbewusst agierenden pädagogischen Wissenschaftler*innen und der übergeordneten Volksbildungsadministration.

Literatur

Engels, F. (1962): Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft. („Anti-Dühring“). In: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hrsg): Werke, Bd. 20. Berlin: Dietz Verlag, S. 1–303.

Günther, K.-H. & Autor*innenkollektiv (Hrsg.) (1978): Quellen zur Geschichte der Erziehung. 8. Aufl. Berlin: Volk und Wissen.

Honecker, M. (1986): Zur Bildungspolitik und Pädagogik in der Deutschen Demokratischen Republik. Ausgewählte Reden und Schriften. Berlin: Volk und Wissen.

Marx, K. (1962): Werke, Bd. 23. Berlin: Dietz Verlag.

Tenorth, H.-E. & Wiegmann, U. (2022): Pädagogische Wissenschaft in der DDR. Ideologieproduktion, Systemreflexion und Erziehungsforschung. Studien zu einem vernachlässigten Thema der Disziplingeschichte deutscher Pädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.